Radioaktivität gegen Mücken

In Süddeutschland lassen Schädlingsbekämpfer Mücken frei, deren Erbgut per Radioaktivität geschädigt wurde. Nun sind sie unfruchtbar und sollen helfen, Infektionskrankheiten auszurotten.

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Von
  • Susanne Donner

Gerade hat Norbert Becker noch einmal telefoniert. Sein Lastwagen mit den sterilen Mücken steht kurz vor der Brenner-Autobahn, sagte ihm der Fahrer an diesem 27. Juli 2017. Wenn ihn keine Staus aufhalten, sollte er um Mitternacht in Heidelberg eintreffen. Dort soll seine Fracht eine wichtige Mission erfüllen. Der Lkw hat fünfzehn Käfige mit jeweils tausend sterilen Männchen der Tigermücke geladen. Die Tiere wird Becker gemeinsam mit seinen Studenten in der Nacht freilassen. Wenn sie sich mit frei lebenden Tigermücken paaren, stirbt der Nachwuchs. "Die Tigermücke überträgt viele gefährliche Krankheiten wie das Denguefieber", sagt Kampagnenleiter Becker. "Deshalb wollen wir sie loswerden."

TR 9/2017

Jede Woche setzt sein Team dafür zurzeit 15.000 bis 20.000 manipulierte Männchen aus. Mückenspezialist Romeo Bellini vom Centro Agricoltura Ambiente Giorgio Nicoli in Bologna hat ihr Erbgut mit radioaktiver Gammastrahlung so massiv geschädigt, dass die Männchen keinen lebensfähigen Nachwuchs bekommen. Da die Männchen kleiner sind als die Weibchen, lassen sich beide Geschlechter voneinander trennen, indem die verpuppte Brut einfach ausgesiebt wird.

Die sterile Insektentechnik auf Basis von radioaktiver Strahlung gibt es schon seit fünfzig Jahren. Mit derart sterilen Tsetsefliegen entledigte sich die Insel Sansibar der gefährlichen Schlafkrankheit. Aber die radioaktive Strahlung schädigt das Erbgut der Insekten wahllos und massiv. Deshalb sind sie weniger fit als ihre wild lebenden Artgenossen. Bei der Malariamücke versagte die Methode deshalb. Die Weibchen paarten sich einfach zu ungern mit den unfitten Männchen aus dem Labor.

Die mangelnde Fitness der radioaktiv bestrahlten Männchen muss Beckers Team mit schierer Masse wettmachen. Auf ein wild lebendes Tigermückenmännchen bringt er zehn sterile Männchen aus, dreitausend pro Hektar. Nur weil es lediglich einige Hundert der Plagegeister in Heidelberg gibt, könnte der Plan von der lokalen Ausrottung aufgehen. Die Tigermücken sind nämlich hierzulande nicht heimisch und kommen nur sporadisch vor. Güterzüge und Lkws schleppen sie aus Südeuropa vor allem entlang der Autobahn A5 ein. Nachgewiesen hat sie Beckers Team bisher in Freiburg, Heidelberg und Sinzheim.

Noch ist die Wirkung des Eingriffs allerdings ungewiss. Im vergangenen Sommer seien nach der Freilassung der sterilen Männchen 15 Prozent weniger Tigermücken geschlüpft, zählte eine Studentin. Für eine Ausrottung ist das nicht genug. Die Ergebnisse aus diesem Jahr liegen noch nicht vor.

Verily geht daher einen anderen Weg. Die Alphabet-Tochter verwendet zum Sterilisieren das Bakterium Wolbachia, das in 60 Prozent aller Insektenarten, aber nicht in Aedes aegypti natürlich vorkommt. Im Labor infizierte Männchen seien "in ihrer Fitness nicht eingeschränkt wie nach radioaktiver Bestrahlung", erklärt der Forscher Jacob Crawford von Verily. Das Unternehmen hat bereits mit der Freilassung von 20 Millionen sterilen Mücken der Spezies Aedes aegypti in Kalifornien begonnen, die Gelb- und Denguefieber, aber auch das Zika- Virus verbreiten.

Um diese Menge herzustellen, verfügt Verily eigenen Angaben zufolge über automatisierte Aufzuchtstationen, in denen die Mückenlarven bis zum Puppenstadium gehalten werden. Wie die Trennung der beiden Geschlechter dann erfolgt, hält das Unternehmen geheim. Die Wolbachia-Technik kommt im Freiland seit 2016 zum Einsatz. Noch stehen die Ergebnisse der Kampagne aus. Beide Ansätze haben gemeinsam, dass sie ohne Gentechnik auskommen – ganz im Gegensatz zu mehreren Projekten in Brasilien.

Das Land wollte pünktlich zu den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr das Zika-Virus zurückdrängen. Das britische Unternehmen Oxitec hatte die Insekten mit einem gentechnischen Todesschalter versehen, wenn das Antibiotikum Tetrazyklin in der Nahrung fehlt, was außerhalb des Labors der Fall ist. Zigtausende sterilisierte Mücken setzte das Land von 2015 bis 2017 in der Kleinstadt Piracicaba aus, gut hundert Kilometer nordwestlich von São Paulo. Die Mückenpopulation soll daraufhin phasenweise um 82 Prozent eingebrochen sein. Der Städtische Epidemiologische Dienst berichtet von einer Halbierung der Denguefieber-Fälle in der gesamten Stadt – von 3487 in den Jahren 2013/2014 auf 1676 in den Jahren 2015 und 2016.

Die US-Genehmigungsbehörde FDA bewilligte Oxitec auch ein Projekt auf den Florida Keys, wo die Mückenplage den Bewohnern jedes Jahr zu schaffen macht. Doch die Bürger der Kleinstadt New Haven wehrten sich dagegen – vorerst mit Erfolg. Auch "hierzulande wäre die Gentechnik nicht akzeptabel", sagt Becker. Ganz anders seine jetzige Methode mit radioaktiver Bestrahlung. "Wir dürfen sogar Grundstücke betreten, um unsere Bekämpfungsaktion durchzuführen", sagt Becker. "Und die Bürger sind froh, wenn sie die Plagegeister los sind." Eine wirkliche Alternative sieht er darin jedoch nicht. "Der Gentechnik gehört die Zukunft, weil sie viel präziser ist."

Doch eine Schwäche haben alle diese Methoden: Die Massenfreisetzung der Insekten ist immer ein Dauerauftrag für den Hersteller. Die Mückenpopulation bricht allenfalls lokal ein. Wild lebende Mücken aus umliegenden Gegenden wandern nach Beendigung einer Kampagne sofort in das behandelte Gebiet ein. Und auch in Süddeutschland werden Güterzüge und Lkws aufs Neue Tigermücken einschleppen. (bsc)