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Devcom: "Die Spielepresse war früher der heilige Gral"

Gerade Indie-Spieleentwickler haben es schwer, Käufer auf ihre Neuerungen aufmerksam zu machen. Während positive Presseberichte die Verkaufszahlen oft genug nicht voranbringen, lassen YouTube-Channel sie nach oben schnellen.

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"Streamer sind der heilige Gral"

Verblüfft über verpuffende Presseberichte zu Spielen – Matthijs Dierckx vom niederländischen Indie-Entwickler Ludomotion.

(Bild: Torsten Kleinz)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Noch vor der Spielemesse Gamescom haben auf dem Kölner Messegelände die Entwickler-Konferenzen Devcom und Respawn begonnen. Neben den neuesten Spieletrends geht es vor allem für die kleinen Indie-Studios um die Frage: Wie können sie im von Konzernen dominierten Markt ihren Lebensunterhalt verdienen?

Wesentliche Voraussetzung für den kommerziellen Erfolg eines Titels ist es, die Aufmerksamkeit der Käufer zu erlangen. Auf der Respawn zog Matthijs Dierckx vom niederländischen Indie-Entwickler Ludomotion eine enttäuschende Bilanz über den Effekt der Gaming-Presse, der er selbst lange angehörte: Sogar Artikel in international viel gelesenen Portalen steigerten die Verkäufe nicht oder nur gering. O-Ton: "Die Spielepresse war früher der heilige Gral, um Aufmerksamkeit zu bekommen, heute sind es eher die Streamer."

Dierckx und sein Partner hatten im Februar das Spiel Unexplored veröffentlicht – allerdings mit einem enttäuschenden Start: Lediglich 243 Kopien verkaufte das junge Entwicklerstudio am ersten Tag – normalerweise der wichtigste Verkaufstag für Indie-Spiele. Doch ein erster enthusiastischer Testbericht auf dem Portal "Rock Paper Shotgun" trieb die Verkäufe etwas in die Höhe. Über 2000 Käufer konnten die Entwickler in der ersten Woche verzeichnen. Nicht viel, aber da nicht einmal zwei Entwickler in Vollzeit an dem Spiel gearbeitet hatten, war dies zunächst ausreichend.

Als im Mai dann ein positiver Testbericht auf der populäreren Website PCGamer erschien, die über 1,8 Millionen Twitter-Follower und 3,8 Millionen Fans auf Facebook hat, wähnte sich Dierckx schon auf der sicheren Erfolgsschiene. Doch weit gefehlt: Am Tag der Veröffentlichung verzeichnete Ludomotion gerade mal 109 bezahlte Downloads, 50 bis 70 mehr als normal. Das Muster wiederholte sich: Ein Interview in einer TV-Show führte zu lediglich einem zusätzlichen Download, ebenso ein positives Review auf einer italienischen Website zu drei zusätzlichen Verkäufen.

Dierckx höre sich bei Entwickler-Kollegen um und erfuhr, dass die ganz ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Selbst Artikel auf hochfrequentierten Websites wie Kotaku oder Polygon brachten den Entwicklern gerade Mal eine Handvoll zusätzlicher Verkäufen. Die Auszeichnung "Spiel der Woche" in einer Publikumszeitschrift veränderte die Downloadzahlen überhaupt nicht. Ausnahmen gab es nur, wenn eine Besprechung so enthusiastisch ausfiel, dass es aus dem allgemeinen Ton der jeweiligen Website herausragte.

Absatzsprünge brachten hingegen andere Kanäle: So berichteten die Indie-Entwickler, dass sie mit Hunderten oder Tausenden von Extra-Verkäufen rechnen konnten, wenn ein populärer YouTube-Star ihr Spiel in seinen Stream aufnahm. Als wirkungsvoller erwies sich nur Netflix: Entwickler, die in der Netflix-Show "Bill Nye saves the World" auftraten, konnten sich über ein Verkaufsplus von 40 Prozent über mehrere Monate freuen. Mehr noch: Sie wurden auf zahlreiche Games-Konferenzen als Redner eingeladen.

Auf die Spielepresse ganz verzichten möchte Dierckx dennoch nicht. "Ein Großteil der Startseite von Plattformen wie Steam wird von Algorithmen bestimmt, aber einige Slots werden noch von Menschen bestückt", erklärt Dierckx in Köln und ergänzt: "Und diese Menschen lesen die Spielepresse." (ps)