Über die Niederlande ins Paradies

Forscher haben in einer aufwendigen Datenanalyse den Fluss von Kapital in Offshore-Finanzzentren untersucht. Wie sich zeigte, scheinen vier EU-Länder eine entscheidende Rolle dabei zu spielen.

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Von
  • Sascha Mattke
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Seit der globalen Finanzkrise rücken immer wieder so genannte Offshore-Finanzzentren, umgangssprachlich auch Steuerparadiese genannt, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Mehrere internationale Organisationen haben Listen mit Ländern veröffentlicht, die ihrer Ansicht nach Steuerintransparenz und -hinterziehung fördern. Doch die Erstellung dieser Listen ist hochgradig politisiert. Niederländische Forscher haben deshalb einen neuen Ansatz gewählt: Allein anhand von massenhaft Unternehmensdaten analysierten sie, wie Kapital aus Industrienationen abgezogen wird und an exotischen Standorten wieder auftaucht.

Die Studie ist eine Kooperation von Sozialwissenschaftlern und Informatikern in der Gruppe Corpnet der Universität Amsterdam. Sie beruht auf Informationen aus der Unternehmensdatenbank Orbis, in der nach Angaben der Forscher Daten von rund 200 Millionen privaten und börsennotierten Gesellschaften enthalten sind. Auf dieser Grundlage ließen sich mehr als 11 Millionen sogenannte "ownership chains" erstellen, also Ketten, die zeigen, welches Unternehmen letztlich zu welchem gehört.

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Die Ergebnisse bestätigen zum Teil bisherige Einschätzungen, zum Teil bringen sie Korrekturen, zum Teil sind sie neu und durchaus spektakulär.

Unter den so genannten "sink"-Offshorezentren, also den Ländern, die das letztliche Ziel von Investitionen aus dem Ausland sind, finden sich die üblichen Verdächtigen – die Cayman-Inseln zum Beispiel sind auch nach den neuen Berechnungen ein bedeutendes Steuerparadies, ebenso wie Curacao oder die Bermuda-Inseln. Allerdings verschiebt sich zum Teil die Reihenfolge. Die britischen Jungferninseln etwa, in der Liste des Tax Justice Network relativ weit abgeschlagen, sind laut der Corpnet-Studie das drittwichtigste Offshore-Finanzzentrum überhaupt. Neu als "verstecktes" Offshore-Finanzzentrum wird Taiwan identifiziert, und das EU-Land Luxemburg soll sogar das Offshore-Ziel Nummer 1 sein.

Gänzlich neu aber ist, dass die niederländischen Forscher nicht nur die wichtigsten Offshore-Ziele ermittelt haben, sondern auch diejenigen Länder, die als Zwischenstation ("conduit") für das dorthin transferierte Kapital dienen. Neben in diesem Zusammenhang vertraut klingenden Namen wie Schweiz und Singapur finden sich auf dieser Liste auch die Niederlande, Großbritannien und Irland. Die größte Überraschung in dieser Aufzählung dürften die Niederlande sein, die bislang nicht als bedeutender Standort für internationale Finanz-Tricks galten. Tatsächlich aber fließen laut der Studie volle 23 Prozent des weltweiten Kapitals, das auf dem Weg in ein Offshore-Finanzzentrum ist, durch dieses Land.

Auf Platz 2 der Zwischen-Paradiese liegt demnach Großbritannien, das noch zur EU gehört, derzeit aber über Konditionen für den Ausstieg verhandelt und bereits als internationales Finanzzentrum bekannt ist. Laut der Studie machen 12 Prozent des Kapitals, das in Offshore-Zentren landet, in Großbritannien Station. Befürchtungen, das Land könne nach dem EU-Austritt zu einem hochmodernen Offshore-Standort nach dem Vorbild Singapurs werden, verlieren insofern etwas an Schrecken – wie die Daten zeigen, hat Großbritannien diese Position im Grunde genommen schon jetzt.

Anhand ihrer Daten konnten die Forscher zudem nachvollziehen, welche Zwischenstation für welche Ziele am wichtigsten ist. Hier zeigen sich alte koloniale Verbindungen: Über Großbritannien fließt Geld vor allem auf die Bermudas, nach Jersey, auf die Jungferninseln und die Kaimaninseln, über die Niederlande unter anderem nach Curacao. Auch bei Investitionen in Luxemburg (das laut der Studie das größte Ziel-Offshorezentrum von allen ist, in anderen Listen aber gar nicht erscheint) werden gern die Niederlande als Zwischenstation genutzt.

Die Schlussfolgerung der Forscher: Bislang konzentriere sich der Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung auf kleine exotische Inseln, was nicht angemessen sei, weil hochentwickelte Länder wie Luxemburg und Hongkong die wichtigsten Ziele für Offshore-Kapital seien. Ohnehin sei es wahrscheinlicher effektiver, nicht bei den Zielen anzusetzen, sondern bei den Zwischenstationen: Länder, die mit niedrigen Steuern und wenig Transparenz um Investitionen buhlen, werde es immer wieder geben, die Infrastruktur einer modernen Offshore-Zwischenstation mit Steuerabkommen, starken Rechtssystemen und guter Reputation dagegen lasse sich nicht so einfach replizieren.

Allerdings ist auch die Datenbasis für die niederländische Studie lückenhaft: Wie die Forscher selbst anmerken, müssen etwa im US-Bundesstaat Delaware registrierte Unternehmen keine einschlägigen Informationen melden. Wenn das anders wäre – wer weiß, vielleicht hätten es auch die USA erstmals zumindest als Zwischenstation auf eine Steuerparadies-Liste geschafft.

(sma)