Heftige Kritik an geplanter Überwachung der Kommunikation

Wirtschaftsverbände und Politiker fürchten, dass die Telekommunikations-Überwachungsverordnung kleine Provider in den Ruin treibt und den Datenschutz aushöhlt.

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Mit dem neuen Entwurf für eine Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) sollte alles besser werden. Erleichtert sind Sprecher von Verbänden und Politiker aus der Regierungskoalition tatsächlich über die Ausnahmeregelungen. "Zum Glück fällt die unselige Forderung weg, dass jedes noch so kleine Telekommunikationsgerätchen eine Überwachungsschnittstelle haben sollte", freut sich Gerhard Tamm, Telekommunikationsspezialist beim Branchenverband BITKOM. Doch die Reaktionen aus der Wirtschaft, die den Rest der Auflagen betreffen, reichen von "geschockt" bis "nichts dazugelernt".

"Wir müssen aufpassen, dass die Wirtschaft nicht mit unerfüllbaren Forderungen überzogen wird und die Sucht zur Perfektion bei deutschen Beamten Blüten treibt", fasst Tamm die Bedenken des BITKOM zusammen. Sorgen macht er sich vor allem um die kleinen Internet-Provider, die "in Deutschland überwiegen". Die würden durch die Verpflichtung zum Vorhalten teurer Überwachungsgeräte "erschlagen". Denn während große Online-Dienste wie AOL oder T-Online längst die Spitzeltechnik vorrätig hätten, seien die kleineren Provider "organisatorisch und technisch überfordert".

Michael Rotert, Vorsitzender des Verbands der deutschen Internet-Wirtschaft eco, kündigte an, dass die Internet-Provider "Sturm laufen" werden gegen den Referenten-Entwurf. "Wir müssen nicht den Hilfssheriff der Nation auf eigene Kosten spielen", wehrt sich Rotert gegen die Pläne des Wirtschaftsministeriums, die er als "technisch völlig unausgegoren" bezeichnet.

Da die Strafverfolger die zu überwachenden "Kennungen" äußerst weit gefasst hätten und selbst E-Mail-Adressen und Kreditkarten-Nummern darunter fielen, gleichzeitig aber Soft- und Hardware zum Ausfiltern nicht angeforderten Datenmaterials sowie zum Verschlüsseln der Mitschnitte erforderlich seien, schätzt Rotert die Kosten pro "Abhörkiste" auf 140.000 bis 150.000 Mark. Wegen technischer Besonderheiten des Routings von Datenpaketen seien Provider gezwungen, gleich mehrere solcher Geräte anzuschaffen. Angesichts dieser Belastungen rechnet eco mit dem Konkurs von einem Drittel der Internet-Provider.

Dass die Abhörspezialisten aus dem Ministerium die TKÜV trotzdem als "insgesamt kostendämpfend" zu verkaufen suchen, irritiert Verbände und Oppositionspolitiker. "Von einer Ersparnis kann keine Rede sein", ärgert sich Niels Lau, Justiziar des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Hans-Joachim Otto, medienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, schimpft gar, dass die Regierung die Wirtschaft "für dumm verkaufen wolle". Statt Erleichterungen zu schaffen, habe das Ministerium "ein bürokratisches Monstrum" in die Welt gesetzt.

Auch wenn die Beamten den vom Telekommunikationsgesetz vorgegebenen "Spielraum" zur Ausdehnung des Kreises der Verpflichteten durch die Ausnahmeregelungen dieses Mal nicht voll ausgeschöpft haben, können auch in der Regierungskoalition nicht alle Abgeordneten die geplanten Bestimmungen verstehen. Auf "keinen Fall akzeptieren" will Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, die Verpflichtungen für die TK-Anbieter. Die von Providern befürchtete Verteuerung des Internet-Anschlusses sei von den Regierungsfraktionen "nicht gewollt". Auch dürfe das Recht der Netzbürger auf "informationelle Selbstbestimmung" nicht untergraben werden.

Denn nach wie vor sind die Grauzonen, die sich durch den neuen TKÜV-Entwurf ergeben, groß. "Man muss sich schon fragen, wo der Datenschutz bleibt", sagt Tamm vom BITKOM. Allein wenn es um die Überwachung von Headern der IP-Pakete gehe, sei darin schließlich schon ein Teil der Nachricht enthalten. Zahlreiche Widersprüche zu den eigentlich fürs Internet geltenden Datenschutzbestimmungen hat auch der BDI-Jurist Lau in dem Papier ausgemacht.

Dazugelernt hat das federführende Bundeswirtschaftsministerium aber zumindest insofern, dass es das Papier, die dazugehörige Begründung und die technische Richtlinie seit dem gestrigen Dienstag im Web veröffentlicht hat. Eine Anhörung soll Anfang April stattfinden – in Bonn, weitab von der großen Politik und den Hauptsitzen der Wirtschaftsverbände. (Stefan Krempl) / (jk)