Baustoffe: Aus Sand gebaut

Gerhard Dust und Gunther Plötner fertigen stapelbare Steine aus Wüstensand. Menschen in Slums sollen sich daraus selbst ein Zuhause bauen können.

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Von
  • Daniel Hautmann

Zäh plätschert der graue Brei in die Z-förmige Kiste. Eine Station weiter, auf dem Rütteltisch, wird er schwungvoll in alle Ecken verteilt. Jetzt heißt es warten. 20 Minuten lang härtet der Brei aus – und zwar ohne Energiezufuhr, wie ein Kleber. Das Ergebnis ist ein überdimensionaler, Z-förmiger Legostein, 40 mal 40 Zentimeter groß und mit einem Gewicht von 15 Kilogramm.

Geht es nach Gerhard Dust, Geschäftsführer von Polycare Research Technology im thüringischen Gehlberg, dann haben die unscheinbaren Steine das Zeug, die Welt zu verbessern: Laien sollen sich aus ihnen eigenhändig Häuser bauen, und zwar aus einem Grundstoff, der bislang als unbrauchbar galt – Wüstensand. Der ist vom Wind so rund geschliffen, dass ihn kein Zement der Welt zusammenhält.

TR 7/2017

Für die Hochhäuser in Abu Dhabi etwa wird deshalb Sand aus Indonesien importiert, was schwerwiegende Konsequenzen hat: Strände verschwinden, Inseln rutschen ab, Meeresströmungen verändern sich. Die kleinen Körnchen sind inzwischen sogar zur lukrativen Schmugglerware avanciert. Doch Polycare will nun – nach jahrelanger Entwicklungsarbeit – einen Weg gefunden haben, der diesem Irrsinn ein Ende bereiten könnte: Statt mit Zement werden die Sandkörnchen mit Polyesterharz gebunden. Das Resultat nennt man Polymerbeton.

Polymerbeton wird zwar längst verbaut, etwa in Maschinenfundamenten oder Abwassersystemen, doch bislang kam niemand auf die Idee, ihn in Steinform zu gießen und für Häuser zu verwenden. "Die Bauindustrie ist äußerst konservativ und für neue Ansätze nur schwer zu gewinnen", sagt Dust. Stefan Caba, der an der Technischen Universität Ilmenau die Arbeitsgruppe Verbundstrukturen und Leichtbau leitet, sieht das ähnlich: "Die Zementlobby ist einfach zu mächtig."

Und so brauchte es Quereinsteiger, um die Idee umzusetzen. Dust brachte das nötige Geld mit, Plötner das technische Know-how. Als einstiger Logistikchef des Buchgroßhändlers Libri hatte Dust bereits vor Jahren seine Anteile am Unternehmen verkauft und sich in Florida zur Ruhe gesetzt. Doch als 2010 in Haiti die Erde bebte, Hunderttausende Menschen starben oder auf einen Schlag obdachlos wurden, konnte er nicht länger ruhigen Gewissens über den Golfplatz schlendern.

Er wollte etwas Sinnvolles tun und erinnerte sich an ein Gespräch mit dem Ingenieur Gunther Plötner. Der hatte schon in der DDR an neuartigen Baustoffen gearbeitet, darunter an einer Methode, um aus Schlacke und Harz einen Werkstoff zu machen. Dann erzählte er Dust vor ein paar Jahren von dem Polymerbeton aus Wüstensand. Nach dem Beben in Haiti wusste Dust plötzlich, wozu das Material gut sein könnte. Er rief Plötner an, zog kurz darauf zurück nach Deutschland und gründete zusammen mit ihm Polycare.

Heute sitzen die beiden in Gehlberg im Thüringer Wald und feilen weiter an ihrem Plan. Der Standort hat Tradition: Hinter den alten Mauern wurden früher Glaskolben für Wilhelm Conrad Röntgen gefertigt. Die Gegend und der ehrwürdige Bau, sagt Dust, faszinieren seine Gäste immer wieder. Kein Wunder – fast alle kommen aus Gegenden, in denen Wald und Wasser Mangelware sind: "Auf dem Weg hierher musste ich mit einem Scheich schon einmal anhalten, weil er den Bach ansehen wollte."

Die Anlage im Inneren der Fabrikhalle ist nur etwa so groß wie ein Kleinlaster. Schläuche saugen Sand und Harz an und vermischen beides, bevor die Pampe in die Formen plätschert. Von Hightech ist hier wenig zu sehen – das Geheimnis von Dust und Plötner ist eher die Rezeptur.

Um zu begreifen, was den beiden vorschwebt, muss man ihnen nur ein paar Meter aus der alten Fabrikhalle folgen, und schon steht man vor zweien ihrer "Legohäuser". Die sind klein, schmucklos und haben weder Bad noch Küche. Das eine ist ein zweigeschossiger Bau, das andere ein Bungalow von etwa 40 Quadratmetern. Wer eintritt, versteht schnell, worum es geht: Menschen, die sonst in Baracken, Zelten oder sonstigen Notunterkünften hausen, bekommen ein stabiles Zuhause.

Aufbauen kann die Häuser quasi jeder. "Wir wollten etwas schaffen, das Leute befähigt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen", sagt Dust. Was man dafür braucht? Genügend Steine und einen simplen Bauplan, den Polycare mitliefert – aber auch Eigenkreationen sind möglich. "Es ist wie bei Lego: Alle Steine lassen sich aufeinandersetzen und sind auf den Plänen farblich markiert", erklärt Dusts Kompagnon Plötner. Es gibt fünf verschiedene Steinformen, wobei der Z-förmige am meisten verbaut wird. Und genau wie Legosteine haben auch die Polymerbetonsteine unten Ausbuchtungen und oben Noppen – so lassen sie sich zu stabilen Mauern stapeln.

Die Steine werden einfach auf Grundleisten gesetzt – dem Pendant zur Lego-Grundplatte. Selbst auf sandigen Böden sollen die Gebäude standhaft sein. "Die Pyramiden in Ägypten stehen auch auf Sand, da ist kein Betonfundament drunter", sagt Dust. Ähnlich einfach wie beim Aufbau sollen die Häuser auch wieder abgebaut und anderswo errichtet werden können. Zudem lassen sie sich beliebig erweitern.

Polymerbeton besitzt eine höhere Tragkraft und ist zugfester als gewöhnlicher Beton. "Aus einem Kubikmeter lassen sich 20 Quadratmeter Wand herstellen. Aus einem Kubikmeter Beton nur vier", sagt Dust. Rechnet man das auf große Strukturen wie Hochhäuser oder Brücken hoch, ergeben sich Einsparpotenziale und Gestaltungsspielräume. "Polymerbeton ist ein vielseitiger Werkstoff mit einem heute noch nicht ausgenutzten Potenzial", bestätigt Andrea Osburg von der Bauhaus-Universität Weimar.

Laut Dust sind Häuser aus Polymerbeton sogar umweltfreundlich. Der Großteil besteht aus Wüstensand, der in vie-len armen Ländern vor Ort abgebaut werden kann. Lediglich 13 Prozent sind Polyesterharz, was Leichtbau-Experte Caba als "nicht übermäßig gefährlich" bezeichnet. Um die Häuser zu errichten, müssen keine großen Massen bewegt werden. Die Steine werden in einer kleinen Fabrik vor Ort fabriziert. Das senkt die Transportemissionen.

Insgesamt kommen die Häuser nach Angaben von Polycare auf nur 15 Prozent der CO2-Last eines normalen Betonhauses. "Kunststoffe haben einen klaren CO2-Vorteil", bestätigt Caba.

Zwar sind die Steine aus Polymerbeton relativ teuer, doch laut Dust werden Häuser damit trotzdem billiger als gewöhnliche. Seine Begründung: Man braucht dafür weder einen Kran noch Bauprofis und zudem weniger Material. Eine schlüsselfertige 37-Quadratmeter-Unterkunft soll sich auf diese Weise für rund 15000 Euro errichten lassen, der Rohbau sogar für nur 5000 Euro. Verkaufen wollen Dust und Plötner aber keine Häuser, sondern Fabriken für die Produktion der Steine. "Sie passt in einen 40-Fuß-Container, und dann braucht man eigentlich nur noch das Bindemittel", sagt Dust.

Als Standorte haben die beiden vor allem Katastrophengebiete, Elendsviertel oder Flüchtlingslager im Blick. Gegenden, in denen die Infrastruktur schlecht ist, und wo es eine Mammutaufgabe ist, Baumaterial heranzuschaffen. Orte, an denen es plump gesagt kaum mehr gibt als Sand und Elend. "Allein in Namibia fehlen 300000 Wohnungen. Die wollen sie so schnell wie möglich haben", sagt Dust. Deshalb baut Polycare dort gerade eine Testfabrik auf, mit einer Kapazität für rund 40 Häuser pro Monat. Stehen sollen sie binnen zwei Tagen.

Die Testfabrik in Namibia könnte den lang ersehnten Durchbruch bringen. Denn bislang haben Dust und Plötner zwar viel Lob, Preise und Anerkennung für ihre Idee erhalten. Aufträge aber blieben aus.

Namibia hat aber auch auf andere Weise Symbolcharakter: Es geht dort um mehr als reines Wohnen. Nämlich darum, abgehängte Menschen in die Lage zu versetzen, am Wirtschaftsleben teilzunehmen. Photovoltaikmodule auf ihren Häusern könnten dabei helfen. "Strom wird in Namibia dringend gebraucht. Bislang importiert man den aus Südafrika", sagt Dust. Dabei könnten 50 Quadratmeter Dachfläche in Namibia pro Jahr rund 1300 Euro einspielen. Über den dafür erforderlichen Anschluss ans Stromnetz wird Dust zufolge derzeit diskutiert. "Damit können die Menschen ihre Häuser finanzieren", sagt er. "Das schafft ganz neue Eigentumsverhältnisse."

Inzwischen gibt es sogar Interesse aus einer unerwarteten Gegend. In London denken immer mehr große Unternehmen darüber nach, ihre teuren Arbeitsplätze in der City in Home-Offices zu verwandeln, sagt Gerhard Dust. Das Kalkül: Statt die Häuser umzubauen, könnte man modulare Lego-Büros in die Gärten stellen. Im Juni soll das erste Garden-Office stehen, etwas kleiner als die Standardunterkünfte für arme Länder, aber wegen schicker Schiebetüren in etwa gleich teuer. Klingt fast so, als würde der Polymerbeton bald in Strömen fließen. (bsc)