Genetik in eigener Sache

Bestsellerautor Siddhartha Mukherjee verknüpft die Geschichte der Vererbungslehre mit seiner Familienhistorie.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Inge Wünnenberg

Die Entwicklung der Genetik mag heutzutage vielen präsent sein. Siddhartha Mukherjee gewinnt den Leser aber vor allem mit seiner eigenen Familiengeschichte für seinen besonderen Rückblick. Indem der Mediziner in "Das Gen" immer wieder auf die psychischen Erkrankungen in der Familie seines Vaters zurückkommt, behandelt er ein zentrales Problem der noch jungen Disziplin: Bisher weiß man noch zu wenig über die Gene, die etwa Schizophrenie auslösen können. Aber selbst wenn alle identifiziert wären, könnte man nicht sagen, ob und wann die Krankheit ausbricht oder was man dagegen tun kann. Wie soll aber Mukherjee damit umgehen? Und wie soll er sich im Falle seiner beiden Töchter verhalten? Das ist ein Knackpunkt, der immer wieder zur Sprache kommt.

Der gebürtige Inder, der 2011 für sein Debüt "Der König aller Krankheiten: Krebs – eine Biografie" den Pulitzer-Preis erhielt, beschränkt sich in dem Band nicht auf materielle Grundlagen oder spektakuläre Funde. Er stellt zwar die Stationen der Genetik von Mendels Kreuzungsexperimenten bis hin zu den ersten Gentherapien und dem derzeit viel beachteten Genediting vor. Zugleich reflektiert er aber immer die gesellschaftliche Dimension. So "erlaubt uns die auf CRISPR/Cas9 gestützte Technik, dem Genom Informationen hinzuzufügen", sagt Mukherjee etwa über die neuen Genscheren. "Aber können Menschen ihr eigenes Genom verantwortungsbewusst 'verbessern'?"

Die Eugenik dient ihm dazu als mahnendes Beispiel. Bekannt ist entsprechendes Gedankengut aus Deutschland. Aber bei Mukherjee erfährt man auch, wie präsent solche Vorstellungen in Amerika waren. Sie führten 1927 etwa zur Sterilisation von Carrie Buck, der man gerichtlich Schwachsinn attestiert hatte. Mukherjee führt auch andere Beispiele an – zum Beispiel Fruchtwasseruntersuchungen, die für ihn immer wieder zu der Frage führen: "Welches Leben ist lebenswert?" Und vor allem: "Wer entscheidet das?" Es zählt zu den Leistungen des Buchs, das Thema Eugenik nicht als historisch abgehakt und erledigt zu betrachten.

Doch seine wirkliche Stärke gewinnt "Das Gen" durch lebensnahe, bisweilen warmherzige Porträts der Protagonisten. Als er von dem Sündenfall der Gentherapie berichtet, durch den Jesse Gelsinger 1999 in Philadelphia an einem unausgereiften Verfahren starb, kanzelt er zwar die Forscher – auch aufgrund ihrer wirtschaftlichen Interessen – ab. Zugleich aber erzählt Mukherjee von dem 18-Jährigen, dessen Vater er während seiner Recherchen getroffen hat, voll Anteilnahme.

Dieses persönliche Engagement sorgt dafür, dass sich das Buch streckenweise liest wie ein Krimi. Denn Mukherjee weiß über die reine Wissenschaft hinaus viel zu erzählen.

Siddhartha Mukherjee: Das Gen. Eine sehr persönliche Geschichte, Verlag S. Fischer, 768 Seiten, 26 Euro (E-Book 22,99 Euro)

(bsc)