Blockchain für Flüchtlinge

Wer in einer Notsituation seine Heimat verlässt, kann am Ziel nicht immer seine Identität belegen – und bekommt deshalb weder einen Job noch ein Bankkonto

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Mike Orcutt
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Für Flüchtlinge in einem fremden Land kann es mit am schwierigsten sein, die eigene Identität – zumindest die im amtlichen Sinn – wiederherzustellen. Und ohne offizielle Ausweisdokumente ist es fast unmöglich, in der Gesellschaft voranzukommen. Finnland, das wie andere europäische Länder einen Zustrom erlebt, will Geflohenen deshalb mit Hilfe eines kryptografischen Blockchain-Registers dabei unterstützen, schneller Fuß zu fassen.

Seit zwei Jahren händigt die finnische Einwanderungsbehörde Asylsuchenden, die kein Bankkonto haben, statt wie früher Bargeld Prepaid-Mastercards aus; einige tausend Personen machen heute aktiv davon Gebrauch. Gleichzeitig ist die von dem Start-up MONI aus Helsinki entwickelte Karte mit einer eindeutigen digitalen Identität verknüpft, die in einer Blockchain gespeichert wird, also mit Hilfe einer Technologie wie bei der Digitalwährung Bitcoin.

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Bitcoin hat gezeigt, dass Blockchain-Technologie den Transfer von Werten zwischen Personen ohne Unternehmen als Vermittler dazwischen möglich macht. Den Kern davon bildet ein Software-Protokoll, das eine dauerhafte Aufzeichnung jeder einzelnen Bitcoin-Transaktion erstellt. Jeder Nutzer kann auf diese Blockchain-Aufzeichnung zugreifen, indem er die Bitcoin-Software installiert. Auf diese Weise wird die Blockchain von Computern in aller Welt gepflegt, die zugleich jede neue Transaktion verifizieren.

Blockchains gelten als vielversprechende Methode, um Menschen ohne Zugang zu modernen Finanzdienstleistungen am Geldverkehr teilnehmen zu lassen. Doch sie machen nicht nur traditionelle Finanzinstitute als Vermittler bei Transaktionen unnötig, sondern bieten auch die Möglichkeit, eine digitale Form der Identifizierung zu generieren und sicher zu speichern, die sich nicht verfälschen lässt und problemlos von überall abrufbar ist.

Aus diesem Grund erkunden auch die Vereinten Nationen die Nutzung von Blockchain-Technologie. Dies geschieht im Rahmen ihrer Bemühungen darum, eine rechtsgültige Identifizierung für die mehr als eine Milliarde Menschen zu ermöglichen, die keine offiziellen Dokumente besitzen.

In Finnland hilft die MONI-Karte Asylsuchenden bei unterschiedlichen Herausforderungen, sagt Kouko Salonen, Leiter der Einwanderungsbehörde. Am wichtigsten: Ein MONI-Konto funktioniert wie ein Bankkonto, was eine wichtige Hürde für eine Beschäftigung beseitigt. Mit ihren Konten können die Inhaber einkaufen, Rechnungen bezahlen und sogar direkte Überweisungen von Arbeitgebern erhalten. Jede dieser Transaktionen wird in einer öffentlichen, praktisch fälschungssicheren Datenbank aufgezeichnet, die von einem dezentralen Computer-Netz gepflegt wird. Dadurch kann die Behörde die Karten-Inhaber und ihre Ausgaben im Auge behalten.

Laut Salonen ist die Technologie eine Hilfe für Asylsuchende, denn das größte Hindernis dafür, ein Bankkonto oder einen Job zu bekommen, liege für sie im Fehlen einer eindeutig authentifizierten Identität. "Wir haben eine Möglichkeit gefunden, dieses Problem zu lösen."

Die MONI-Technologie nutzt für die Übertragung von Werten eine Reihe von öffentlichen Blockchains – für den Nutzer sieht alles jedoch so aus, als würde er eine Debit-Karte verwenden. An Mastercard-Terminals kann er Einkäufe bezahlen, für Online-Zahlungen muss er einen Code in ein Web-Formular eingeben. Um den kryptografischen Austausch für die Transaktionen in digitaler Währung kümmert sich MONI, ebenso wie um den Wechsel von Krypto- in reale Währung.

Außer bei dem Karten-Programm für Flüchtlinge ist der MONI-Dienst auch für finnische Beta-Tester verfügbar, und ein Angebot für Verbraucher in ganz Europa ist geplant. Ein Konto kostet 2 Dollar pro Monat, zusätzlich berechnet MONI bei jedem Kauf sowie für internationale Transaktionen eine kleine Gebühr.

Antti Pennanen, Gründer und CEO des Unternehmens, vergleicht den heutigen Stand bei Blockchain-Technologie mit den frühen Zeiten des Internet, das anfangs nur für wenige Menschen mit spezieller Technik und technischem Wissen zugänglich war. Die MONI-Technologie habe eine gewisse Ähnlichkeit mit Modems, die breiteren Zugang zum Internet ermöglichten.

Die Kunde von MONI habe sich schon durch Flüchtlingslager in ganz Europa verbreitet, sagt Pennanen. Er rechnet mit erheblicher Nachfrage, sobald sein Dienst auch in anderen Ländern verfügbar ist. Letztlich wolle das Unternehmen jedem helfen, der keinen Zugang zum modernen Finanzsystem hat: „Unser Ziel war schon immer finanzielle Inklusion und vor allem Hilfe für Menschen in Entwicklungsländern.“ ()