Von der Kette gelassen

Um Blockchains wie Ethereum herrscht momentan ein großer Hype. Doch durchschlagende Anwendungen lassen auf sich warten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christoph Behrens

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 14.9.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Mitte des Jahres wurden in Europa plötzlich Grafikkarten knapp. Einige Modelle von AMD der Baureihe Radeon RX waren bei vielen Händlern nicht mehr erhältlich. Steckte ein Streik beim Hersteller dahinter? Lieferengpässe bei Coltan oder seltenen Erden? Im Gegenteil: Die Hersteller AMD und Nvidia lieferten im Vergleich zum Vorjahresquartal 31 Prozent mehr Grafikkarten aus, der Absatz steigerte sich laut einem Bericht des US-Marktforschungsunternehmens Jon Peddie Research um 6,4 Prozent. Der Grund für diesen Hype: Die Grafikkarten eignen sich besonders gut zum Berechnen von „Ether“, dem Konkurrenten der Kryptowährung Bitcoin. Noch Anfang des Jahres lag der Wert eines Ether bei 10 Euro. Im Juni dann schoss der Ether-Kurs auf 391 Dollar in die Höhe. Viele Grafikkarten-Chargen gelangten gar nicht mehr nach Europa, sondern wurden bereits in Asien im großen Stil weggekauft.

Ethereum gilt derzeit als die technisch am weitesten entwickelte Blockchain. Eine Blockchain ist vergleichbar mit einem offen liegenden Hauptbuch, das alle getätigten Transaktionen verzeichnet. Sie ist nicht zentral, sondern auf vielen verschiedenen Computern gespeichert. Die Transaktionen werden zu Blöcken zusammengefasst, auf Gültigkeit überprüft und an die bisherige Kette von Blöcken angefügt (siehe Grafik Seite 74). Doch während Bitcoin nur wenige Rechenoperationen erlaubt, kennt Ethereum eine Programmiersprache, mit der sich alle möglichen Anweisungen, Schleifen und Bedingungen schreiben lassen. Damit können Transaktionen an komplexe Bedingungen geknüpft werden, niedergelegt in sogenannten „Smarten Verträgen“ auf der Blockchain. So wäre es etwa möglich, auf Ethereum-Basis ein Programm zu schreiben, das die Ratenzahlung für ein Auto überwacht. Falls in einem Monat eine Zahlung mit der Digitalwährung ausbleibt, könnte der Smarte Vertrag das Auto über das Internet verschließen, bis wieder eine Zahlung eingeht. Revolutionär daran wäre, dass niemand in den Ablauf dieses Programms eingreifen kann. Sobald der Code auf der Blockchain veröffentlicht ist, gilt er wie ein Gesetz.

Diese Automatisierung von Abläufen und die Unantastbarkeit soll eine Vielzahl an Anwendungen ermöglichen (siehe Seite 78), darunter den Austausch und Besitz von Wertgegenständen aller Art, digitale Testamente oder ein Landregister. Ein wesentlicher Vorteil: Die Daten auf der Blockchain sind für alle transparent, zugleich lassen sie sich nicht von außen manipulieren. Smarte Verträge kommen auch ohne klassische „Mittelsmänner“ aus. Im Falle des Autokredits wäre also keine Bank mehr nötig, die über die rechtzeitige Ratenzahlung wacht. Und für ein digitales Testament bräuchte man keinen Notar. Die Funktionen übernimmt nun ein Computerprogramm. Daher könnten solche Dienstleistungen für Nutzer günstiger werden – auch wenn es ganz ohne Menschen wohl nicht gehen wird (siehe Seite 82).

Kein Wunder, dass die Versprechen derzeit viel Kapital anlocken. Ethereum hat schon einen Marktwert von mehr als 20 Milliarden Dollar erreicht. Wagniskapitalgeber pumpen viel Geld in Blockchain-Start-ups, laut dem Marktforscher CB Insights derzeit etwa eine halbe Milliarde Euro pro Jahr. Viele dieser Firmen entwickeln Anwendungen auf Ethereum-Basis, manche wollen auch komplett neue Blockchain-Netzwerke auf die Beine stellen. Bei dem Hype geht allerdings gern unter, wie viele Fragen noch ungelöst sind. Wie mächtig die Blockchain wird, hängt davon ab, wie gut die Antworten auf diese Fragen sein werden.

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 68 - Hype und Realität: Was kann die Blockchain derzeit wirklich?

Seite 74 - Grafik: So werden Transaktionen fälschungssicher

Seite 76 - Energie: Private Stromnetze von Nachbar zu Nachbar

Seite 78 - Praxis: Neue Möglichkeiten für unterschiedlichste Branchen

Seite 82 - Faktor Mensch: Die Grenzen der Automatisierung


(grh)