Veraltete Risiken

Mit Hochwasserkarten versuchen die US-Behörden, Stürme und Überschwemmungen zu prognostizieren und die Bevölkerung davor zu schützen. Doch die dafür verwendeten Daten sind lückenhaft.

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Von
  • James Temple

Anfang September verglichen Forscher an der University of California in Davis die Überflutungskarten der US-Katastrophenschutzbehörde FEMA mit Satelliten-Bildern des verheerenden Hochwassers um Houston nach dem Hurrikan Harvey.

Nach vorläufigen Ergebnissen ereigneten sich zwei Drittel der Überschwemmungen in Gebieten außerhalb der FEMA-Flutprognosen für 100 Jahre, in denen eine Hochwasser-Wahrscheinlichkeit von jährlich 1 Prozent gesehen wird. Mehr als 50 Prozent der überschwemmten Gebiete lagen „außerhalb jeder kartierten Flutzone“. Für sie wurde nur eine „minimale Hochwassergefahr“ gesehen, selbst wenn man die Prognosen über 500 Jahre heranzieht.

Das entscheidende Problem bei Karten mit Hochwasserzonen ist, dass sie auf historischen Mustern basieren, die aufgrund von veränderten Klima-Bedingungen zunehmend von der Realität abweichen. Das wiederum bedeutet, dass auch Planungsregeln, Bauvorschriften, Versicherungen und Baumuster auf dieser Grundlage gefährlich veraltet sein können. In vielen Fällen werden in den USA Städte und Dämme nach den Bedingungen der Vergangenheit errichtet, statt sich an der Gegenwart oder gar der Zukunft zu orientieren. Für die Bürger bedeutet das Gefahren, für die Gesellschaft höhere Kosten für Katastrophenhilfe und Wiederaufbau nach Ereignissen wie Harvey.

Manche Wissenschaftler weisen seit Jahren auf dieses Problem hin. Analysen zu Hochwasser- und Sturm-Risiken müssten über den lange verwendeten „statischen“ Ansatz hinausgehen, bei dem man annimmt, dass die statistische Verteilung der Vergangenheit auch in Zukunft gelten wird, fordern sie.

Unter anderem kann wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen, und höhere Meeresspiegel lassen Sturmfluten höher steigen. Beides kann Ausmaß und Zerstörungskraft von Stürmen erhöhen.

Doch der Fortschritt in Richtung neuer Methoden ist langsam und uneinheitlich, unter anderem wegen der politischen Komplexität – und wegen der schwierigen Wissenschaft dahinter. Das Klimasystem ist hochgradig komplex, unser Wissen darüber ist unvollständig, und Prognosemodelle liefern zumeist eine große Bandbreite an möglichen Auswirkungen, die von den zukünftigen Treibhausgas-Emissionen, ökologischen Kipppunkten und anderen Faktoren abhängen.

Trotzdem wird versucht, die wachsenden Gefahren durch Klimawandel besser zu verstehen. Kerry Emanuel, Hurrikan-Forscher und Professor für Atmosphärenforschung am MIT, hat vor kurzem das Risiko für Hurrikan-Regenfälle in Boston berechnet. Demnach hat sich die Bedrohung deutlich verändert, weil Klimawandel zu mehr Stürmen führt und die Regenmenge pro Sturm erhöht.

Ein Hurrikan-Regen in Boston, der vor dem Jahr 2000 nur einmal alle 100 Jahre zu erwarten gewesen wäre, könnte bis 2081 schon alle 10 Jahre auftreten, fand Emanuel heraus. Damit läge die neue Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis jedes Jahr bei 10 Prozent. Und Wetterkatastrophen, die sonst nur alle 1000 Jahre zu erwarten waren, könnten stattdessen im 50-Jahres-Rhythmus auftreten.

In einem Fachaufsatz aus diesem Jahr schrieb Emanuel, wegen der begrenzten Flugzeug-Daten über Atlantik-Stürme nahe der Küste und um den erwarteten Klimawandel zu berücksichtigen, müsse mit simulierten Stürmen gearbeitet werden. Bei diesen wendete er eine Reihe von unterschiedlichen Klimamodellen von der US- und der britischen Wetterbehörde sowie vom Max-Planck-Institut für Meteorologie sowie anderen Forschungsinstituten an, mit denen „die Reaktion von Winden und thermodynamischen Bedingungen auf Klimaveränderungen simuliert wird“.

Allgemein zeigte sich dabei, dass die Zahl der Stürme, die kurz vor Erreichen der Küste deutlich intensiver werden, bis zum Jahr 2100 stark zunehmen dürfte. Die allgemeine Richtung ist also klar. Jedoch ist es laut Emanuel schwierig, präzise die Entwicklung einzelner Stürme vorherzusagen. Dazu würden weitere Verbesserungen bei den Prognose-Methoden benötigt.

Einige Städte und Ingenieursdienstleister haben bereits begonnen, zukünftige Klima-Bedrohungen in ihren Entwicklungsstandards zu berücksichtigen. Nach dem Hurrikan Sandy nahm etwa das New York City Department of Environmental Protection eine umfassende Überprüfung vor und kam zu dem Schluss, dass Anlagen im Wert von rund 1 Milliarde Dollar von zukünftig steigenden Meeresspiegeln und Sturmfluten bedroht seien. In der Analyse wurden die 100-Jahres-Hochwasserkarten der FEMA um 75 Zentimeter erhöht, was dem oberen Ende der Prognose des New York City Panel on Climate Change entspricht. Außerdem empfahlen die Autoren Schutz-Investitionen in Höhe von 315 Millionen Dollar.

(sma)