Greifer heilt sich selbst

Weiche Roboterhände können auch empfindliche Gegenstände greifen, gehen aber leicht kaputt. Belgische Forscher haben dieses Problem jetzt gelöst.

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In der Roboterforschung sind sie der letzte Schrei: weiche, flexible Roboter. Denn herkömmliche Modelle sind für die direkte Zusammenarbeit mit Menschen, aber auch für die Arbeit mit weichen, empfindlichen Materialien oftmals zu grobschlächtig. Ihre oft stählernen Hände greifen einfach mit einer programmierten Kraft zu und können empfindliche Gegenstände leicht zerquetschen. Mit entsprechenden Sensoren kann man das zwar verhindern. Die Steuerung des Roboters wird so aber sehr viel aufwendiger.

Weiche Greifer passen sich in der Form hingegen an den zu greifende Gegenstand an. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft will die Entwicklung der Soft-Robotik in einem eigens eingerichteten Schwerpunktprogramm ab 2018 mit rund 100 Millionen Euro für die kommenden drei Jahre fördern.

TR 10/2017

(Bild: 

Technology Review 10/2017

)

Dieser Artikel stammt aus der Oktober-Ausgabe von Technology Review. Das Heft war ab dem 14. September 2017 im Handel und ist im heise shop erhältlich.

Das Ergebnis könnten Greifer sein, die völlig anders aussehen als die heutige Vorstellung von Roboterhänden. Hod Lipson von der Columbia University beispielsweise arbeitet an einer weichen Roboterhand, die ohne Finger auskommt. Sie besteht aus zwei Gummibällen, die mit einem Granulat gefüllt sind. Zunächst ist der Gummiball weich und kann seine Form an jeden Gegenstand anpassen. Wenn man die Luft aus dem Ball herauspumpt, wird das Innere hart – dann hält der Greifer das Objekt fest.

Gibt man wieder Luft auf den Ball, lässt er das gegriffene Objekt frei. Gemeinsam mit John Amend von Empire Robotics hat Lipton den Prototyp weiterentwickelt und eine Hand mit zwei gegenüberliegenden Fingern gebaut, an deren Enden jeweils ein Greifball sitzt. Die Hand kann einen Stift halten und schreiben, einen Schraubdeckel öffnen, mit einem Schlüssel ein Schloss öffnen, ein Ei aufschlagen und sogar Häppchen mit Essstäbchen balancieren. Andere weiche Greifer arbeiten mit Kammern, in die Luft oder hydraulische Flüssigkeiten gepumpt werden.

Die unterschiedliche Ausdehnung der Kammern sorgt für eine gerichtete Bewegung oder Krümmung. So haben Wissenschaftler der Harvard University gemeinsam mit internationalen Kollegen jüngst einen weichen Greifer für Unterwasserroboter entwickelt, mit dem sie Proben aus Korallenriffen bergen wollen. Er kann sich wie eine Schlange um längliche Artefakte schlängeln, ohne sie zu zerquetschen. Auch der Greifer von Bram Vanderborght und Kollegen der Vrije Universiteit Brüssel basiert auf diesem Prinzip: Eine Reihe von Kammern sind hintereinander auf einer Bodenplatte aufgereiht. Gibt man Druckluft auf die Kammern, krümmt sich der "Finger" nach innen.

Das Problem bei diesen Ansätzen ist jedoch, dass weiches Material empfindlich ist. Ein Stich oder ein Schnitt führt zu Druckverlust, der den Greifer unbrauchbar macht. Vanderborght und Kollegen haben ihren Greifer deshalb aus selbstheilenden Kunststoffen gefertigt.

Das Plastikmaterial besteht aus zwei chemischen Komponenten, die bei einer sogenannten Diels-Alder-Reaktion lange Ketten bilden. Das Besondere an dieser chemischen Reaktion ist, dass der Kunststoff bei Zimmertemperatur zwar relativ stabil ist, die Komponenten der Ketten aber schon bei relativ geringer Erwärmung anfangen zu wandern. Ein beschädigtes Bauteil muss also nur 40 Minuten lang auf 80 Grad Celsius erhitzt werden. Dabei fließt gewissermaßen ein Teil des Kunststoffes in die entstandene Lücke. Lässt man den Stoff dann langsam abkühlen und 24 Stunden ruhen, stabilisieren sich die Polymerketten, und das Material heilt vollständig aus. Kleinere Löcher schließen sich auch, wenn lediglich die Ränder der Schadstelle lange genug fest zusammengedrückt werden.

Bei "realistischen Beschädigungen" – die Wissenschaftler setzen bis zu neun Millimeter lange Schnitte mit einem Skalpell – blieb danach nicht einmal eine Schwachstelle am Material zurück. Bei einem der Versuche setzten die Wissenschaftler das Material so lange unter Druck, bis es riss – das war jedoch nicht an den früheren Schadstellen. Mit anderen selbstheilenden Materialien könnte der Heilungsprozess zwar beschleunigt werden. Für Robotikanwendungen kämen dem Team zufolge aber nur bestimmte Kunststoffe mit den richtigen mechanischen Eigenschaften infrage. Zudem brauchen "ja auch Menschen relativ lange, bis eine Wunde heilt", sagt Vanderborght.

Dennoch spart dieses Konzept aufwendige und teure Reparaturarbeiten. "Wir hoffen, dass Menschen dadurch neues Vertrauen in Roboter entwickeln werden", schreibt das Forscherteam. "Denn künftig wird es nicht von dem Können und den Reparaturfähigkeiten von Menschen abhängen, ob ein Roboter nach einer Beschädigung einsatzfähig ist oder nicht."

In einem nächsten Schritt wollen die Forscher jetzt versuchen, Sensoren und kleine Heizelemente in ihre Greifer einzubauen. Der Roboter könnte dann auto- nom feststellen, wo ein Leck auftritt, und bereits im laufenden Betrieb mit der Reparatur beginnen. (wst)