Kompliziert, komplizierter, wissenschaftlicher Text

Eine schwedisch-deutsche Wissenschaftlergruppe hat eine große Anzahl Forschungsarbeiten auf ihre Verständlichkeit geprüft. Der Trend geht zu immer mehr Komplexität.

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Wie lesbar ist ein Text für einen durchschnittlichen Rezipienten? Diese Fragestellung mag zunächst leidlich subjektiv klingen, doch es gibt wissenschaftliche Methoden, der Antwort auf die Schliche zu kommen.

Ein Forscherteam am Karolinska Institutet in der Nähe der schwedischen Hauptstadt Stockholm hat zwei dieser Verfahren nun ausgerechnet auf wissenschaftliche Texte angewendet. Die Fragestellung: Hat sich die Komplexität der Paper sichtbar erhöht, sind sie also heutzutage schwerer verständlich als früher?

Das Team um Pontus Plaven-Sigray, Granville James Matheson, Björn Christian Schiffler und William Hedley vom Institut für klinische Neurowissenschaften hat mit automatisierten Routinen insgesamt 710.000 Kurzreferate (Abstracts) aus 123 biomedizinischen wissenschaftlichen Zeitschriften untersucht, die zwischen 1881 und 2015 in englischer Sprache erschienen sind. Die verwendeten Methoden waren der Lesbarkeitsindex nach Flesch und die New Dale-Chall-Lesbarkeitsformel.

"Die drei Hauptkomponenten dieser Formeln sind erstens wieviele Wörter pro Satz ein Text durchschnittlich beinhält, zweitens wieviele durchschnittliche Silben pro Wort ein Text hat und drittens wie schwierig die verwendeten Wörter in einem Text sind", erklärt Schiffler gegenüber Technology Review.

Das Ergebnis: Die wissenschaftliche Literatur ist tatsächlich schlechter lesbar als früher. "Wir haben festgestellt, dass die Anzahl der schwierigen Wörter und die durchschnittlichen Silben pro Wort seit Ende des 19. Jahrhunderts kontinuierlich zunehmen", so Schiffler. Seit 1960 nehme auch die durchschnittliche Anzahl der Wörter pro Satz zu.

Die Zahl der Fachwörter stieg zudem an – und zwar nicht nur diejenigen, die in der Wissenschaft zwingend notwendig sind. Besonders auffällig ist laut Plaven-Sigray und Co. auch der wissenschaftliche Jargon – im Englischen in Begrifflichkeiten wie "substantially" ("substanziell"), "established" ("eingeführt") oder "apparently" ("offenbar") zu finden. "Wir halten das für reduzierbar, wenn auf Lesbarkeit Wert gelegt wird", sagt Schiffler.

Problematisch an der Entwicklung sei auch, dass die Zugänglichkeit wissenschaftlicher Texte abnehme. Es gibt zwar keine Zahlen, wie stark schlecht lesbare Paper ihre Rezeption reduzieren. Es sei aber anzunehmen, dass durch die reduzierte Lesbarkeit mehr Menschen auf Sekundärquellen – etwa journalistische Artikel über den Originalartikel – angewiesen seien. "Zudem kommt hinzu, dass abnehmende Lesbarkeit auch die Arbeit von Wissenschaftsjournalisten schwieriger macht." Damit bestehe am Ende die Gefahr, dass der wissenschaftliche Inhalt möglicherweise nicht immer korrekt kommuniziert wird, meint Schiffler.

Dass sich der Trend umkehrt und wissenschaftliche Texte wieder lesbarer werden, sehen Plaven-Sigray und Kollegen nicht. Laut Schiffler geht die Bewegung eher in Richtung einer "Übersetzung" vorhandener wissenschaftlicher Artikel – insbesondere durch Dritte. Dabei machten Forscher und Journalisten mit – etwa auf Twitter. "Einige wissenschaftliche Journale haben die Notwendigkeit ebenfalls erkannt, Forschungsergebnisse einer größeren Gruppe an Menschen zugänglich zu machen und bieten Zusammenfassungen für viele Artikel in einfachem Englisch an."

(bsc)