Taschenlabor ohne Strom

Um Blutproben zu untersuchen, muss man sie zumeist in ein großes Labor schicken, was viel Zeit und Geld kosten kann. Drei internationale Forscher zeigen, dass es auch anders geht. Ihre Grundlagen: altes Kinderspielzeug, Papier und ein Plastikchip.

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Der Serienheld MacGyver ist bekannt dafür, mit einfachsten Mitteln raffinierte Gerätschaften zu bauen. Zwei Forscherteams aus den USA und eines aus China tun es ihm nun gleich – wollen damit aber nicht wie zumeist MacGyver den eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen, sondern das Leben anderer Menschen retten: Aus nicht viel mehr als Papier haben sie Geräte für wichtige Blutuntersuchungen hergestellt, mit denen sich unabhängig von kostspieligen Laborausstattungen Krankheitserreger finden oder Blutgruppen feststellen lassen.

Manu Prakash von der Stanford University ließ sich für sein Paperfuge genanntes Gerät, das Malaria-Erreger nachweist, von einem alten Kinderspielzeug inspirieren. Das als Schnurrer oder Brummkopf bekannte Spielzeug basiert auf zwei stark eingedrehten Schlingen und einem festen Mittelteil, das sich dreht, sobald man die Schlingenenden auseinanderzieht.

Grundlage der "Paperfuge" sind zwei Pappscheiben (10 Zentimeter im Durchmesser). An einer davon sind zwei 4 Zentimeter lange, hinten verschlossene Strohhalme angebracht, die als Behälter für Röhrchen mit Blutproben dienen. Die Pappscheiben werden per Klettverschluss aneinandergeheftet. Die Schnur wird an zwei Stellen hindurchgeführt und stark eingedreht. Wenn man nun kräftig an den Griffen zieht, rotieren die Scheiben schnell.

(Bild: Andreas Zickert /Technology Review)

Diesen Mechanismus kombinieren Prakash und sein Team mit zwei Pappscheiben von zehn Zentimetern Durchmesser, zwischen denen Strohhalme mit dem zu analysierenden Blut stecken. Durch die stark eingedrehte Schnur werden die Proben beim Ziehen mit bis zu 125.000 Umdrehungen pro Minute herumgeschleudert (siehe Abbildung oben). Anderthalb Minuten in der Zentrifuge reichen aus, um Plasma aus dem Blut zu lösen. Sind Malariaparasiten vorhanden, sind diese in 15 Minuten ausgesiebt. Zusätzlicher Vorteil: Das zwei Gramm schwere Gerät kommt auf Materialkosten von nur 20 Cent.

Im Labor haben Prakash und sein Kollege Saad Bhamla den Blutproben außerdem Farbstoff beigemischt, der sich an die Malariaparasiten hängen soll. Nach dem Einsatz der Paperfuge lässt sich der Erreger einfach unter dem Mikroskop erkennen. Wie das in der Praxis funktioniert, haben die beiden Forscher jüngst bei Malariatests auf Madagaskar erprobt.

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Es ist nicht das erste Mal, das sich Prakash für eigene Erfindungen von Spielzeug inspirieren lässt. Sein Chemieset für fünf Dollar, das zum Beispiel die Wasserqualität testen kann, ist vom Design einer kleinen handbetriebenen Musikbox nachempfunden. Ein anderes Gerät, das Foldscope, lässt sich spielerisch durch Ausschneiden und Falten herstellen. Zusammen mit einer Linse entsteht so ein Mikroskop für weniger als einen Dollar. Gerade in der Einfachheit sieht Prakash die Möglichkeit, vielen Menschen Zugang zur Wissenschaft, insbesondere der Medizin zu geben. Dass er durch die Schlichtheit seiner Entwicklungen auch Kinder an die Wissenschaft heranführt, ist ein positiver Nebeneffekt.

Das Team der chinesischen Third Military Medical University setzt nicht auf Zentrifugalkraft – sondern auf
die Kapillarkräfte von Papier. Um die Blutgruppe von Patienten zu bestimmen, braucht die Gruppe um Hong Zhang lediglich einen Papierstreifen, Farbstoff und Antikörper.

Mithilfe des einfachen Systems kann vor einer Bluttransfusion schnell geklärt werden, ob die Blutgruppen von Spender und Empfänger zusammenpassen. Wenn das nicht der Fall ist, drohen Verklumpungen.
Das Gerät der Chinesen ähnelt einem Thermometer. In die Mitte des Papierstreifens wird eine Blutprobe geträufelt. Sie breitet sich nach links und rechts aus und läuft dabei durch Felder mit Antikörpern. Das Ergebnis lässt sich schließlich an den Seiten des Streifens ablesen (Video). Innerhalb von 30 Sekunden ist auf diese Weise die Blutgruppe ermittelt. Bei einem ersten Test mit 3500 Blutpoben erreichte der Papierstreifen eine Genauigkeit von 99,9 Prozent. Zhang rechnet damit, ihn in ein bis zwei Jahren als Produkt anbieten zu können.

Auf der linken Seite des Streifens befindet sich ein Abschnitt, auf dem Antikörper aufgebracht sind, die das Eiweiß A bekämpfen – dieser Bereich verklumpt, wenn Blutkörperchen der Gruppe A darauf treffen. Auf der rechten Seite des Streifens verhält es sich umgekehrt. Hier erreicht der andere Teil der Blutprobe einen Bereich mit Antikörpern gegen das Eiweiß B, das in der Blutgruppe B enthalten ist. Nach
zehn Sekunden kommt ein Lösungsmittel hinzu. Es spült das Blutserum, das nach dem Verklumpen übrig bleibt, weiter an die Außenseiten
des Papierstreifens. Dort reagiert es mit dem aufgebrachten Farbstoff Bromkresolgrün. Türkis auf der linken Seite bedeutet Blutgruppe A,
auf der rechten Seite Blutgruppe B, auf beiden Seiten AB und keine Türkisverfärbung Blutgruppe 0.

(Bild: Andreas Zickert /Technology Review)

Er ist so etwas wie ein Labor für jedermann im Miniatur-format: Der sechs mal zwei Zentimeter große Chip kann anhand des Erbguts innerhalb von nur 30 Minuten Keime und Viren im Blut detektieren. Für HIV und den gefürchteten Krankenhauskeim MRSA haben seine Entwickler um Luke Lee von der University of California in Berkeley ihren Schnelltest schon vorgeführt. Jetzt arbeiten sie daran, dass er noch weitere Krankheiten erkennt. "Das ist ein bedeutender Fortschritt, der eine neue Generation von Schnelltests erlaubt, bei der die gesamte DNA-Nachweistechnologie auf einem Chip vereint ist", lobt Jürgen Popp, Medizintechnikexperte vom Leibniz-Institut in Jena, der an der Entwicklung nicht beteiligt war.

Portable Minitests sind einer der großen globalen Zukunftsmärkte der Medizintechnik. Prognosen zufolge soll ihr Absatz in den kommenden Jahren um mehr als acht Prozent wachsen. Gewissermaßen sind Schwangerschafts- und Blutzuckertests, die Kunden heute massenhaft in Drogerien und Apotheken erwerben, Vorboten dieses Trends. Solche POC-Tests (Abkürzung für Point-of-Care) ermöglichen Diagnosen ohne Arzt und hochgerüstetes Labor. Deshalb sollen sie medizinischen Fortschritt einerseits wie Hustensaft in jeden Haushalt, andererseits in entlegene und ärmliche Gegenden der Erde bringen. Günstig genug dürfte sich der Test von Lee und Kollegen herstellen lassen: Das Material kostet nicht mehr als zehn Dollar pro Stück.

Schon heute gibt es eine Reihe von POC-Tests für Infektionskrankheiten, doch die beruhen oft auf dem Nachweis krankheitsspezifischer Antikörper im Blut. "Diese Methode ist nicht immer ausreichend empfindlich. Sie springt erst bei einigen Tausend Erregern in wenigen Millilitern Blut an", sagt Forschungsleiter Bernhard Weigl vom Point-of-Care-Zentrum in Seattle, Washington. Daher konnten bislang zumeist nur Labors verschiedene Keime und Viren verlässlich in einem DNA-Test nachweisen, was mehrere Tage dauert. Denn dafür werden Zentrifugen, komplizierte Reagenzien und andere Geräte, vor allem aber Elektrizität, gebraucht.

Angesaugt von der Kraft eines langsam schwindenden Vakuums
(in den grünen und blauen Mulden rechts), wird Blut aus der Aufnahmemulde (rot, links) ohne Stromzufuhr durch das Kanalsystem des Chips geleitet. Auf diesem Weg setzen sich die Blutzellen ab, sodass am Ende nur das Plasma in den 224 Vertiefungen (rote kleine Punkte) landet. Darin wird ihre DNA vervielfältigt und analysiert und bringt dann einen für den gesuchten Erreger spezifischen Fluoreszenzfarbstoff zum Leuchten.

(Bild: University of California Berkeley)

Mit gleich drei Erfindungen in einem ist es dem Team von Lee nun geglückt, dieses Hightech-Standardverfahren auf einen winzigen Träger zu bannen. Die Forscher druckten die nötigen Reagenzien im Tintenstrahlverfahren auf einen Kunststoff. Ein Tropfen von zweieinhalb Mikrolitern Blut sickert dann in eine Mulde für die Probenaufnahme. Zunächst – und das ist die erste Neuheit – wird die Probe mit einer von Lee entwickelten Methode auf dem Chip in Plasma und Blutzellen getrennt, weil sich Krankheitserreger manchmal nur im Plasma nachweisen lassen. Im Labor ist für diese Trennung eine Zentrifuge zuständig. Auf dem Chip dagegen wandert die Körperflüssigkeit in einem Kanal entlang. Dabei setzen sich die Blutzellen aufgrund ihres Gewichts allmählich ab, und das übrig bleibende Plasma fließt nach und nach in insgesamt 224 brunnenartige Vertiefungen.

In den Vertiefungen erfolgt die Vervielfältigung der DNA-Abschnitte, um auf eine Menge zu kommen, die sich nachweisen lässt; die Miniaturisierung dieses Vorgangs ist die zweite wesentliche Entwicklungsleistung von Lees Team. Anschließend bewirkt ein ebenfalls in der Vertiefung vorhandener Fluoreszenzfarbstoff, der an das Erbmaterial bindet, dass es leuchtet – und zwar umso intensiver, je mehr pathogene DNA vorhanden ist. Unter einem Mikroskop kann man deshalb aus der Intensität des Leuchtens auf die Zahl der Krankheitserreger schließen. "Was noch fehlt, ist die miniaturisierte Auslesung. Das sollte aber kein Problem sein", kommentiert Popp.

Die dritte Neuerung: Eine Art Vakuumbatterie sorgt dafür, dass das Blut in die Mikrokanäle gesaugt wird. Deshalb funktioniert der Chip ganz ohne Strom. Dazu befindet sich auf ihm eine größere Kammer aus Polymethylsiloxan, dessen Poren vorab die Luft entzogen wurde. Bei der Verwendung des Systems wird die Vakuumkammer entsiegelt, und das Vakuum füllt sich über eine Reihe von dünnen Kanälen langsam wieder mit Luft. Der dabei entstehende Sog lässt das Blut entlang des dafür vorgesehenen Mikrokanals fließen. Zweieinhalb Stunden lang lasse sich auf diese Weise Flüssigkeit pumpen, schreiben die Forscher. Lang genug, da jeder Krankheitscheck nur eine halbe Stunde dauert.

Mit der Methode kann man theoretisch auch andere Erreger nachweisen, etwa für Malaria, Denguefieber oder Ebola, gibt Lees Gruppe an. In jeder Vertiefung könnte sogar ein anderer Test ablaufen, sodass Blut in einer halben Stunde auf über 200 Krankheiten untersucht werden könnte. "Allerdings muss die Infektion so weit fortgeschritten sein, dass schon sehr viele Erreger im Blut sind", schränkt Popp ein.

Nachdem die technische Seite nun gelöst ist, brauchen die Forscher vor allem Verhandlungsgeschick, um ihren Test tatsächlich auf den Markt zu bringen. Denn er beruht zum Teil auf patentierten Techniken, für die sie Lizenzen erwerben müssen. Bleibt zu hoffen, dass die Inhaber bereit sind, sie zu einem vernünftigen Preis zu erteilen.

(jle)