Missing Link: Facebook weiß es nicht besser

Während die deutschen Wähler hoffentlich zahlreich zu den Wahllokalen gehen, muss sich Facebook inzwischen in der Heimat USA harten Fragen stellen. Wie weit hat der Konzern zum Wahlsieg Donald Trumps beigetragen?

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Der Unterschied könnte kaum größer sein. Als Sheryl Sandberg in der vergangenen Woche die Online-Werbemesse dmexco besuchte, genoss sie ihren Star-Empfang in vollen Zügen. Vor vollem Saal erzählte die Facebook-Managerin in Köln von livestreamenden Friseuren, von Geflüchteten, die nun Möbel auf Facebook vermarkten, und von Apps, die dank Artificial Intelligence Hautkrebs diagnostizieren können. Ja, es gebe einige Risiken, sich auf die neue Social- Media-Welt einzulassen, schloss Sandberg – größer sei jedoch die Gefahr des “missing out”, also von der technologischen und sozialen Entwicklung überrollt zu werden.

Am Donnerstag sah Sandbergs Chef Mark Zuckerberg dagegen aus, als ob er selbst von gleich mehreren Entwicklung überrollt worden sei. In einer Live-Ansprache an die Facebook-Öffentlichkeit versicherte Zuckerberg: "Ich will nicht, dass irgend jemand unsere Werkzeuge nutzt, um Demokratie zu untergraben." Dieses Bekenntnis kam freilich nicht von ungefähr. Der Social-Media-Konzern war in den vorangegangenen Tagen immer tiefer in die negativen Schlagzeilen geraten, weil er eben doch zunehmend als Gefahr für die Demokratie wahrgenommen wurde.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Hatte Zuckerberg nach den US-Präsidentschaftswahlen im November 2016 zunächst dementiert, dass Kampagnen auf seiner Plattform den Wahlausgang beeinflusst haben könnten, veröffentlichte das Netzwerk Anfang September überraschend neue Erkenntnisse. Demnach hatte ein Netzwerk von 470 vermutlich russischen Fake-Accounts schon sehr früh im Wahlkampf Desinformations- Kampagnen zur Polarisierung der US-Wählerschaft geschaltet. In knapp zwei Jahren habe dieses Netzwerk zirka 100.000 Dollar in Facebook-Werbung investiert, die zielgenau an bestimmte Wählergruppen ausgeliefert worden seien.

Diese sogenannten “dark ads” waren spätestens seit dem Sieg Donald Trumps immer wieder Gesprächsthema. Viele belastbare Erkenntnisse gab es dazu aber nicht – nicht zuletzt deshalb, weil Facebook dazu kaum Daten herausgab. Der Kommunikationskonzern Facebook wird mittlerweile so sehr als intransparente Black Box wahrgenommen, dass das US-Recherchebüro ProPublica mit mehreren anderen Medienhäusern eine Crowdsourcing-Kampagne gestartet hat, um einen besseren Einblick in politische Kampagnen auf Facebook zu erlangen.

Für den Social-Media-Konzern ist das Eingeständnis der Wahlmanipulation auf mehrfache Weise peinlich. So droht der Konzern für die kommenden Monate schlagzeilenträchtig in die Trump-Russland-Ermittlungen verwickelt zu werden. Für Werbetreibende, die Kontroversen scheuen wie der Teufel das Weihwasser, ist das eine höchst unwillkommene Entwicklung. Wer will schon an der Stelle werben, die als Tatort einer vollzogenen Wahlmanipulation erscheint?

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Präsident Trump nennt die Facebook-Enthüllungen einen "Hoax" - und sorgt damit für noch mehr negative Publicity.

Dabei erscheint das Unternehmen selbst nicht besonders an Aufklärung interessiert. So hatte Facebook bereits im April einen stark gekürzten Untersuchungsbericht zu versuchten Wahlmanipulationen vorgelegt, indem zum Beispiel von bezahlten Anzeigen oder gar russischen Auftraggebern keine Rede war. Als dann schließlich doch das Fake-Netzwerk entdeckt worden war, wollte Facebook den zuständigen Ausschüssen des US-Kongresses nicht einmal die Anzeigenmotive zur Verfügung stellen. Begründung: Man nehme die Privatsphäre der Anzeigenkunden sehr ernst. Erst als Zuckerberg aus seinem Vaterschaftsurlaub zurückgekehrt war, bewegte sich der Konzern endlich. Die 3000 Anzeigenmotive sollen an die Ermittler geliefert werden, zukünftig sollen politische Anzeigenmotive für jedermann öffentlich abrufbar sein. Kritiker erwarten jedoch noch weitere Enthüllungen.

Die Episode könnte unmittelbare Folgen für Facebook haben. So unterzeichneten am Mittwoch 20 demokratische Senatoren einen offenen Brief an die Bundeswahlkommission FEC, in dem Maßnahmen zur Regulierung von Social-Media-Plattformen gefordert werden, um Wahlmanipulationen zu vermeiden. Sollte das Gremium Wahlwerbung in sozialen Medien einschränken, wäre es für Facebook wohl schmerzlich. Allein 2016 gaben Kandidaten, Parteien und Interessengruppen in den USA mehr als sechs Milliarden Dollar für den Wahlkampf aus – ein warmer Regen für alle werbefinanzierten Unternehmen.