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Was war. Was wird. Vom Watscheln und Wackeln an Wahltagen

"Die Naturwissenschaft, sowie die von ihr abgeleiteten Technologien, sind nicht wertfrei." Ein weiser Satz von Joe Weizenbaum. Den sollte man all den Politikern ins Stammbuch schreiben, die im Wahlkampf so wertfrei von der Digitalisierung faselten.

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Ferkel, Schweine

"Welches Schweinderl hätten Sie den gern": Das gar nicht heitere Raten der Werteprägungen von Wissenschaft und Technik würde vielleicht mehr als "Bedenken second" zur Beantwortung führen von "Was sind wir? Und was wollen wir mit all der Technik anstellen?"

(Bild: Gerhard Gellinger, Public Domain (Lizenz Creative Commons CC0))

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Mengenschnittbild der Forschung beim Weizenbaum-Institut. Ich ersprare mir einen Kommentar.

*** Gibt es etwas Undankbareres als eine kleine Wochenschau zu verfassen, die an einem Tag erscheint, wenn die Entscheidungen des Wahl-O-Mates totalisiert werden? Wenn alle Parteien, die den "Mittelstand fördern" wollen, eine weitere grogruselige Koalition bilden, damit noch mehr Paketwagen, Lieferdrohnen und Abholstationen die Päckchenisierung von Deutschland vorantreiben können? Wenn die Erfolgsgeschichte der deutschen PKW-Maut in Dänemark fortgeschrieben wird? Wenn die Vorfreude darauf, dass sich die rechtsradikale "Alternative für Deutschland" schon selbst zerlegen wird, endlich von der Live-Übertragung der Zerlegung abgelöst wird? Noch größer ist allerdings die Freude darauf, wenn sich diese wehrhafte Demokratie endlich zeigt, von der alle reden. Ich habe da meine Zweifel, genau wie bei den Einhörnern.

*** Nun, es gibt andere Dinge zu tun, die Woche kannte ja noch etwas anderes als das Lesen in den Eingeweiden von Apple. So konnte man am Vorabend eines kleinen, lokalen Atomkrieges das Ping-Pong der Wortdrechseleien zwischen dem Rocket Man Kim Jong-Un und dem Dotard Donald Trump verfolgen und so seinen Wortschatz erweitern: Der Krieg ist ja der Vater aller Dinge inklusive der Worte für diese und so freue ich mich über die vornehme "Seneszenz", die mir als deutsche Übersetzung angeboten wird. Ob Dotard eine koreansiche Entsprechung hat, ist leider (noch) nicht bekannt, weil Naenara vorerst keine deutsche Übersetzung der Replik des obersten Führers auf Trumps Drohung anbietet. Natürlich stellt sich prompt die Frage, wie ein gelungene Seneszsenz aussehen könnte. Vielleicht gibt es sie gar nicht, sondern nur die Lüge vom guten Altwerden? Und ewig plärren die Lautsprecher.

*** In dieser Woche hat Wikileaks mit der Veröffentlichung von russischen Dokumenten begonnen. Für Russlandkenner wie Andrei Soldatov, dem ebenfalls diese Dokumente angeboten wurden, enthalten sie nichts Neues. Soldatov deckte die KGB-Aktivitäten bei den Olympischen Spielen in Sotchi auf und gilt als Experte in Fragen des Inlandsgeheimdienst FSB. Zusammen mit den kanadischen Ciitizen Labs veröffentlichte er Details zum russischen SORM, dem "System operativer Sicherheit". Dabei enthüllte er mit Privacy International auch Details zur Firma Peter-Service, der Firma, die Wikileaks nun ins Visier genommen hat. Leider nicht online verfügbar ist sein Artikel "Spionage 2.0", der in der Süddeutschen Zeitung erschien. In ihm erklärt er das Selbstverständnis russsischer IT-Spezialisten und besonders die extrem nationalistische Präsentation des Entwicklungsleiters von Peter-Service, Valery Syssik. Seit 1913 kämpft Russland nach den Folien von Syssik gegen die "Angelsachsen". Dabei hatte es nach einem Wort von Zar Alexander III nur zwei Verbündete, die Armee und die Flotte. Nun sei die Telekommunikation der neueste Verbündete im Kampf gegen die Gehirnwäsche von Facebook, Google, Skype und Apple. "Denken Sie daran, für wen sie ihre Netzwerke bauen", endet der Appell an die ITler, Mütterchen Russland im digitalen Raum zu schützen. Kибер, Kибер. Wer hackt da nochmal die deutschen Wahlen? Wer ist bei den Falschmeldungen auf Facebook ganz vorne mit dabei?

*** Sie sind tot und können sich nicht wehren. Nach dem Einstein Center Digital Future mit "50 Digitalisierungsprofessuren" hat nun das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft a.k.a. Deutsches Internet Institut seine Gründung gefeiert. Die bis jetzt genannten Digitalprofessuren wie zum Beispiel Gesche Joost, Jeanette Hofmann oder Thomas Schildhauer sind bei Einstein wie bei Weizenbaum dabei und wollen aktuelle gesellschaftliche Veränderungen untersuchen, die sich im Zusammenhang mit der Digitalisierung abzeichnen. Natürlich interdisziplinär, darunter macht es niemand, der heute Wissenschaft betreibt. Professor ist halt auch nur ein Job, Dritt- und Viertmittelsuche inklusive. Entsprechend hochtrabend liest sich die "übergreifende" Frage, die das Institut allen Ernstes beantworten will: "Wie lassen sich die Ziele individueller und gesellschaftlicher Selbstbestimmung in einer von digital vermittelten Transformations- und Entgrenzungsprozessen geprägten Welt realisieren und welche Rahmenbedingungen und Ressourcen sind für ihre Verwirklichung notwendig?"

*** Gegen das verquaste Deutsch des Weizenbaum-Institutes setzte ich ganz ungeniert den Satz aus dem letzten großen Text von Joseph Weizenbaum "Was ich am Ende meines Lebens glaube": "Die Naturwissenschaft, sowie die von ihr abgeleiteten Technologien und Instrumentarien, sind nicht wertfrei. Sie erben ihre Werte von den Werten der Gesellschaften, in denen sie eingebettet sind. In einer hoch militarisierten Gesellschaft sind Wissenschaft und Technologien von den Werten des Militärs geprägt, in einer Gesellschaft, deren Werte hauptsächlich vom Streben nach Reichtum und Macht abgeleitet sind, sind sie entsprechend gestaltet, usw." Klingt einfach, aber das gilt auch für diese unsere Gesellschaft mit fettem AfD-Anteil in einer von digital vermittelten Transformations- und Entgrenzungsprozessen geprägten Welt. Einzigartige Möglichkeiten für Pioniere und Gestalter gibt es woanders, bei den Entgrenzungsprozessspezialisten.

*** Oh, und da war dann noch neben all der Aufregung übder die Deutsche Telekom eine andere Beschreibung. Leider ist sie noch nicht online, die Geschichte über "Das große kleine Glück" aus dem SZ-Magazin, das diesmal ein "Männerheft" ist. Die kleine Geschichte handelt von einem Fernmeldehandwerker der deutschen Telekom, der 40 Jahre lang auf seiner Stelle arbeitete, ohne Aufstiegsgelüste, aber als Beamter durchweg zufrieden mit seiner Work-Life-Balance. Beschrieben wird er von seiner Tochter, die ihn nach all den Jahren das erste Mal auf seiner Tour begleitet: "Wir fuhren zu Verteilerkästen und Schaltzentralen, dann richteten wir einer Frau mit fünf Katzen das Internet ein." Nun hört der stets zufriedene IT-Papa als "Ein-Mann-Winnig-Team" auf, es gibt ein Frührentnerprogramm der Telekom, das die Beamte durch leichter kündbare Mitarbeiter ersetzt. Mit Papas Ruhestand geht die Vorstellung einer Lebensarbeit in Rente. So ändern sich die Werte in einer Gesellschaft und wir mit ihnen.

Was wird.

Die kommende Woche steht ganz im Zeichen der "digitalen Kulturen", die die Gesellschaft für Informatik in Chemnitz erforscht. Die Rede ist von der Digitalisierung als "Hauptmotor des gesellschaftlichen Wandels", nicht etwa von der weiter laufenden Optimierung von Informationsprozessen oder dieser Plattformökonomie, von der alle schwärmen. Passend dazu kommt die Keynote von Richard Stallman, der am Tag der Informatik seine Idee der vier Freiheiten erklären darf. Zuletzt wurde sein Humor mit Fragen über das Windows-Subsystem for Linux als freier Software merklich auf die Probe gestellt. So, wie der Text ausfällt, muss man annehmen, dass er auf einem E-Mail-Interview basiert. Im "real life" wird Stallman bei solchen Fragen richtig kratzborstig. Saint Ignacius von der Kirche Emacs ist einer dieser unbequemen Heiligen.

Titelseite der Ausgabe von Leuwenhoeks Briefen, anno 1696. Die vom göttlichen Auge bestrahlte Forscherin im Kleid voller Augen trägt ein Mikroskop (oder ist es gar ein iPhone X?), um die Wahrheit wissenschaftlich zu entschlüsseln. Im Vordergund die nackte Wahrheit (mit der Sonne der Aufklärung), die die Falschheit mit ihrem Schlangenhaupt niedertritt.

Wo die digitale Kultur wabert und loht, ist Sicherheit ein wichtiges Thema. Dementsprechend muss der Mensch so etwas wie Zahnbürste und Zahnpasta in seinem digitalen Kulturbeutel haben. So beginnt zum langen Wochenende mit Einheitsbrückentag der 5. europäische Monat für Cybersicherheit, an dem sich Irland und Schottland beteiligen, aber England stilsicher nicht. Gemäß der Auslegung, dass man sich in der EU niemals daheim gefühlt habe, ist das konsequent. 2020 werden wir also den Brexit sehen. Wie wir 2021 wählen werden, das wissen wir ja schon. Auch wenn Unschlaumeier mit Zeitmaschine und Kopierer spielten. Gerade hat der Mann trotz tatkräftiger Hilfe des CCC viel zu tun, doch für künftige Wahlen empfiehlt es sich, dass künftige Bundeswahlleiter sich ein Abo der c't zulegen. In vier oder vielleicht fünf Jahren wird sich das rentieren. Der Blick in die Zukunft war schon immer ein technischer. (jk)