Biometrie: Fortschritte bei der digitalen Identifizierung von Kinderfingern und verschleierten Personen

Können verschleierte Personen anhand ihrer Augenbrauen identifiziert werden? Ab welchem Zeitpunkt lassen sich verwertbare Fingerabdrücke von Neugeborenen abspeichern? Diese und noch mehr Fragen wurden auf der Konferenz BIOSIG in Darmstadt behandelt.

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Biometrie: Fortschritte der digitalen Identifikation von Kinderfingern und verschleierten Personen

Abdruck eines linken Daumens mit 500 und 1270 ppi.

(Bild: Biometrics Research Group)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Die Forschung, wie und welche biometrischen Merkmale eines Menschen zuverlässig von Sensoren erkannt werden können, brummt. Dies wurde auf der internationalen BIOSIG-Konferenz der IEEE und des CAST-Forums verhandelt, die traditionell in Darmstadt stattfand. Die Konferenz zeigte, wie terroristische Bedrohungen, aber auch humanitäre Entwicklungsziele die Wissenschaftler und Entwickler anspornen.

Die Konferenz BIOSIG widmet sich den technischen und mathematischen Grundlagen der Biometrie. Wissenschaftler stellen zuvor in Blindbewertungen ausgewählte Forschungsergebnisse vor, dazu gibt es einen Tagungsband mit weiteren Referaten, die als Poster-Sessions an der Tagung teilnahmen. 2017 reichte der Spannungsbogen von der Nutzung der Elektroenzephalografie zur biometrischen Identifikation als Zukunftstechnik bis zur postnatalen Biometrie, die so früh wie möglich bei Neugeborenen eingesetzt werden soll. Hintergrund ist hier die unter Punkt 16 der UN-Entwicklungsrichtlinien festgelegte Forderung, bis 2030 ein ID-System für alle Menschen ab der Registrierung zu ihrer Geburt parat zu haben.

Wie Yoshinori Koda von NEC berichtete, hat seine Firma Kinderfinger-Abdruckensoren mit 1270 ppi entwickelt, die bereits sechs Stunden nach der Geburt verwertbare Daumenabdrücke abspeichern können und eine Identifizierung bis zum 5. Lebensjahr gestatten. Nachteilig soll allein die Oberflächentemperatur der Geräte von 40 °C sein, vor der manche Neugeborene erschrecken. Dies werde bei der Entwicklung von 240 ppi-Sensoren verbessert werden müssen.

Vanina Camacho von der Universität der Republik Uruguay erklärte, wie in dem kleinen südamerikanischen Land vorgegangen wird. Dort müssen die Babys spätestens mit 45 Tagen mit Daumenabdruck registriert sein, was zum fünften Lebensjahr von der biometrischen Erfassung aller Finger abgelöst wird. Was früher mit Papier und Tinte erfolgte, wurde ab 2011 mit einem elektronischen ID-Verfahren abgelöst, bei dem 500 ppi-Sensoren eingesetzt wurden. Angesichts unbefriedigender Erkennungsraten wird derzeit auf 2000 ppi-Sensoren umgesattelt.

Mehmet Ozgur Turkoglu von der niederländischen Universität Twente stellte Forschungsergebnisse zur biometrischen Identifikation von Personen über ihre Augenbrauen vor. Die Technik soll Identifizierungen auch dann gestatten, wenn Personen eine Balaclava tragen, die auch Sturmhaube genannt wird. Unter idealen Laborbedingungen kamen die Forscher auf eine Erkennungsrate zwischen 96,2 und 95,3 Prozent. Im nächsten Schritt soll die Brauen-Erkennung in Alltagsumgebungen wie etwa auf Bahnhöfen oder Flughäfen getestet werden. In solchen Umgebungen helfen multimodale Verfahren weiter, die mehrere biometrische Erkennungsverfahren kombinieren.

Was möglich ist, referierte Aske Rasch Lejbølle von der Universität Aalborg. Dort wurden die in der Kantine essenden Studenten mit Stereokameras über Kopf aufgenommen; diese Bilder sollten mit Hilfe von neuronalen Netzen von anderen Kameras erkannten Gesichtern zugeordnet werden. Noch ein Grenzfall: Auch wenn Personen sich mit Gesichtsmasken tarnen, können sie erkannt werden, sofern das System etwa über die thermische Anomalie oder über Indizien verfügt, dass kein echtes Gesicht in die Kamera schaut. Dies zeigte Shushil Battacharjee vom Schweizer Idiap-Institut.

Eingerahmt wurde die BIOSIG 2017 von zwei Keynotes, die beide auf ihre Weise Brücken hin zum Alltagseinsatz biometrischer Systeme schlugen. Mark Nixon beschäftigte sich zum Ende der Tagung mit dem von ihm betriebenen Forschungsfeld der Soft Biometrics, die menschliche Verhaltensweisen und etwa die Kleidung als Identifikationsfaktor heranzieht. Den Auftakt machte Ciaran Carolan, Cheftechniker der europäischen IT-Agentur EU-LISA. In dem geplanten europäischen Suchportal sollen im Zeichen terroristischer Bedrohungen nicht nur alle Datenbanken wie SIS (Schengen Information System), VIS (Visa Information System), EuroDAC (European Dactyloscopy), ETIAS (European Travel Information and Authorisation System) und die kommenden Fluggastdatenbank in einem einfachen "Single Search Interface" durchforstet werden können. Auch die jeweils in verschiedenen Datenbanken vorhandenen biometrischen Informationen, ob Fingerabdruck, biometrisches Foto oder Iris-Scan, müssen durch einen "Shared Biometric Matching Service" einen einfachen Datenabgleich ermöglichen und Suchläufe ohne großes Login gestatten. Die knifflige technische Frage dieser Form der Interoperabilität, zu der Statewatch unlängst ein Dokument der High Level Expert Group veröffentlicht hatte, beschäftigt auch seine IT-Agentur, betonte Carolan. (anw)