Gravitationswellen und die "Rule of Three" des Nobelpreises

Die Gravitationswellen erschüttern vielleicht auch die ehernen Statuten der Nobelpreis-Stiftung, aber so ehern sind die gar nicht. Die Forscher selbst jedenfalls legten derweil mit einem neuen Event nach.

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Gravitationswellen und "The Rule of Three" des Nobelpreises

Zwei einander umkreisende schware Löcher

(Bild: LIGO)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Andreas Stiller

Am morgigen Montag beginnt, wie berichtet, die Bekanntgabeserie der diesjährigen Nobelpreise mit dem Preis für Medizin, am Dienstag ab 11:45 folgen dann die Physiker. Letztes Jahr auf dem Treffen der Nobelpreisträger der Physik in Lindau herrschte Einmut darüber, dass den Gravitationswellenforschern der Nobelpreis zusteht. Alle Nobelpreisträger haben dabei Vorschlagsrecht, daneben für Physik auch alle skandinavischen Physikprofessoren und weitere renommierte Persönlichkeiten. Die Frage ist nur, an wen soll der Preis gehen, wo doch rund tausend Wissenschaftler für die Entdeckung der Gravitationswellen im September 2015 (GW150914) verantwortlich zeichnen und als Autoren der Erstveröffentlichung am 16. Februar 2016 aufgeführt sind?

Der Zeitpunkt war etwas zu spät für eine Nominierung in 2016 – so hatte das Nobelpreiskomitee genügend Zeit, sich etwas zu überlegen. Schon bei der Verleihung der Preise 2015 für Physik an Peter Higgs und Francois Englert gab es viel Kritik, dass man das CERN und die großen Forschungsexperimente hätte berücksichtigen müssen.

Eine Änderung der Vergaberegeln ist durchaus möglich, tatsächlich ist die in Paragaph 4 der Statuten als "rule of three" bekannte Regel: "In no case may a prize amount be divided between more than three persons." erst 1968 eingeführt worden. Bis dahin lautete der Passus: "If a work which is to be rewarded has been produced by two or more persons together, the prize shall be awarded to them jointly."

Beim Friedennobelpreis, den ein vom norwegischen Parlament berufenes Komitee vergibt, heißt es zudem in § 4: "The Nobel Peace Prize may also be awarded to institutions and associations."

Noch stehen die alten Statuten online, aber vielleicht gibt es eine Überraschung. Wie das aussehen kann, hat die Stiftung des russischen Milliardärs Yuri Milner im letzten Jahr vorgeführt und den "Special Breakthrough Price for Fundamental Physics" im Wert von 3 Millionen US-Dollar an die Gravitationswellenforscher verliehen. Eine Million bekamen die drei Großen der Szene, der Amerikaner Kip S. Thorne, der aus Nazideutschland schon als Kind in die USA geflüchtete Rainer (Rai) Weiss und der Schotte Ronald W. P. Drever. 2 Millionen wurden unter allen 1012 beteiligten Wissenchaftlern aufgeteilt – eine Riesenherausforderung für eine kleine Stiftung, allein schon die vielen Anschriften und Kontonummern herauszufinden.

Der demenzkranke 85jährige Drever hatte das alles leider nicht mehr mitbekommen. Er ist inzwischen auch verstorben, sodass er nach den Nobelpreisstatuten nicht mehr berücksichtigt werden kann. Auch Heinz Billing, der Computerpionier, der in Deutschland in den 70er Jahren die Gravitationswellensuche vorangetrieben hat, ist derweil Anfang dieses Jahres verstorben. Er wollte nicht eher ins Grab, bevor die Wellen gefunden sind – und musste dafür fast 103 Jahre alt werden.

Bliebe gemäß der "rule of three" also noch ein dritter Platz. Für den sind mehrere Anwärter denkbar, vor allem der hannoversche Professor Karsten Danzmann, dessen Lasertechnik solche präzisen Messungen überhaupt erst möglich gemacht hat. Er wäre auch bei den Messungen ganz weit vorne gewesen, hätten ihm nicht Bürokraten aus dem Riesenhuber-Ministerium 1990 die bereits zugesagten Gelder wieder gestrichen, sodass er nur den kleinen Detektor GEO600 in Sparform aufbauen konnte. "Die müssten heute in Sack und Asche gehen" – so der Tenor aufgebrachter internationaler Physiker über die Verantwortlichen der deutschen Forschungsförderung auf der Nobelpreisträger-Tagung im letzten Jahr.

Jetzt wird Danzmann mit Preisen überschüttet, etwa mit dem Otto-Hahn-Preis (50.000 €) der Gesellschaft Deutscher Chemiker, der physikalischen Gesellschaft und der Stadt Frankfurt, und vor allem mit dem Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft, der immerhin mit einem Preisgeld in Höhe von 750.000 € ausgestattet ist. Dieser wurde Danzmann vor drei Wochen in Hamburg übergeben. Im letzten Jahr erhielt er zudem den niedersächsischen Staatspreis zusammen mit seinen beiden Mitdirektoren vom Max Planck Institut für Gravitationsphysik Alessandra Buonanno und Bruce Allen.

Von Danzmann stammt auch eine konstruktive Idee, wie man den Nobelpreis trotz der "rule of three" schöpferisch erweitern könnte: ein Physik-Nobelpreis für den direkten Nachweis der Existenz von schwarzen Löchern, ein weiterer für den direkten Nachweis von Gravitationswellen – das wären dann immerhin sechs Preise in zwei Jahren und der 75-jährige Stephen Hawking wäre auch dabei.

Mit einer neuen beeindruckenden Entdeckung konnten die Gravitationwellenforscher wenige Tage vor der Vergabe der Nobelpreise noch mal unterstreichen, dass ihre Messergebnisse kein merkwürdiger Zufall sind, denn diesmal konnte auch der französisch-italienische Detektor Advanced Virgo mit seinen 3 km langen Armen mitlauschen. Kaum war Advanced Virgo nach mehrjährigem Update im August in Betrieb genommen worden, konnte er nur zwei Wochen später am 14. August, 14 Millisekunden nach dem amerikanischen Detektor LIGO, das Signal GW170814 detektieren. Da knallten bei Pisa die Champagner- und Prosecco-Korken.

Zu dritt haben die Detektoren eine etwa um Faktor 10 bessere Trefferquote und können den Herkunftsort der Wellen viel genauer triangulieren. Da wird es jetzt wohl häufiger Events geben.

Geo600 in Ruthe bei Hannover hörte zwar mit, aber auch bei diesem Event handelte es sich um die Verschmelzung zweier schwarzer Löcher, deren Gravitationswellen zu niederfrequent für den kleinen Detektor mit seinen nur 600 Meter langen Armen sind. (as)