Missing Link: Rebellische Replikanten – der Ursprung von "Blade Runner" bei Philip K. Dick

"Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" – das "Blade Runner"-Urmanuskript, in Erwartung von "Blade Runner 2049" neu gelesen im Spiegel der Zeit: Hat uns die Story heute noch etwas zu sagen?

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Missing Link: Rebellische Replikanten – der Ursprung von "Balde Runner" bei Philip K. Dick

(Bild: Roland Tanglao, CC BY 2.0)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Peter Glaser
Inhaltsverzeichnis

Ich dachte, vielleicht hat er noch irgendwo etwas hineinverschlüsselt. Also ließ ich den Namen der Hauptperson – Rick Deckard – auch noch durch einen Anagrammgenerator laufen. Er kombiniert die Buchstaben des Namens zu neuen Worten, die gerade noch einigermaßen Sinn ergeben ("ARD CD KICKER"). Erstaunlich oft taucht darin das Akronym CD auf. Es schien, als sei der Algorithmus zu einer merkwürdigen Art der künstlichen Vorausschau fähig. Während die CD erst 1981 auf der Funkausstellung in Berlin öffentlich vorgestellt wurde, war der Roman mit Rick Deckard bereits im Jahr 1968 erschienen – "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" von Philip K. Dick, die literarische Vorlage zu dem ikonischen Kinofilm "Blade Runner".

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Schon die Widmung für den Roman ist chiffriert. Auch wenn sie das Vorbild für die schöne Androidin Rachael im Buch war, ist es nicht seiner damals 21-jährigen Frau Nancy Hackett gewidmet, sondern einer 1967 verstorbenen Maren Augusta Bergrud – der Mädchenname von Maren Hackett, der Stiefmutter von Nancy. Philip K. Dick ging auf die 40 zu und Maren war nur wenig älter als er, während Nancy mit ihren 20 Jahren seine Tochter hätte sein können. Freunde deuten an, er habe Nancy auch aus Mitleid geheiratet. Sie war gerade aus einer psychiatrischen Anstalt entlassen worden, in der bei ihr eine Schizophrenie diagnostiziert wurde. Für Dick, der für Wahrnehmungswagnisse viel übrig hatte, war das schlicht eine andersartige Weise, sich in die Welt einzufühlen.

Der Familie Hackett war er schon während der Ehe mit seiner dritten Frau Anne begegnet. Man kannte sich aus der Kirchengemeinde des Episkopal-Bischofs und Fernsehpredigers James Pike, der als ebenso progressiv wie kontrovers galt und die spirituelle Vorstellungswelt des Science-Fiction-Autors maßgeblich prägte. Pikes Ansehen beruhte nicht nur darauf, dass er Dogmen wie die Dreifaltigkeit ablehnte. Dem Zeitgeist entsprechend ging sein Privatleben ins Polyamouröse. Jeder wusste, dass Pike Affären hatte, damals mit seiner Sekretärin Maren Hackett. 1967 nahm sie sich im Haus des Bischofs das Leben.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Chiffriertes wurde für Dick zur Manie. 1972 schrieb er Briefe an das FBI und kalifornische Bezirksbehörden, in denen er behauptete, eine "offensichtlich anti-amerikanische" Geheimorganisation habe versucht ihn anzuwerben, um verschlüsselte Botschaften in seinen Büchern unterzubringen (was er abgelehnt habe). Nachfolgend beschuldigte er den Schriftstellerkollegen Thomas Disch, 1968 in seinem Roman "Camp Concentration" genau solche kryptierten Geheiminformationen versteckt zu haben. Nachdem Dick 1982 starb, rief Thomas Disch ihm zu Ehren den Philip K. Dick Award ins Leben, der neben dem Hugo Award und dem Nebula Award inzwischen zu den angesehensten Science-Fiction-Preisen im angloamerikanischen Raum gehört.

In diesem emotionalen Spannungsfeld entstand "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" Die Zeit war jugendbewegt und Dick, in dieser Hinsicht spätblühend, gab sich alle Mühe, aufzuholen. Kaum eine Droge blieb unverkostet, er nahm an Seancen teil und war im übrigen ein obsessiver Leser und verschlang literarische, wissenschaftliche und philosophische Werke. Angetrieben von Amphetamin schrieb er bis zu 60 Seiten am Tag. In einem trotzdem erstaunlich ungehetzten, klaren Stil erzählt die Dystopie von einer verseuchten Erde nach einem atomaren Weltkrieg, der viele Menschen in Kolonien auf die Nachbarplaneten getrieben hat. Hilfe bei der Siedlungsarbeit leisten ihnen dabei Androiden, beziehungsweise Replikanten, artifizielle Wesen, die von Baureihe zu Baureihe immer menschenähnlicher werden, hergestellt von einem Konzern in Familienbesitz – im Buch der Firma Rosen, im Film der Tyrell Corporation.

Die jüngste Replikantengeneration Nexus-6 ist sogar mit künstlichen biografischen Erinnerungen ausgestattet, und ein paar Exemplare der Gattung, deren Lebenszeit ab Werk auf vier Jahre begrenzt ist, machen sich auf die Suche nach einer Möglichkeit, dieser Begrenzung der Daseinsspanne zu entkommen. Sie wollen leben. Auch andere rebellische Replikanten missachten gelegentlich das strikte Verbot, auf die Erde zurückzukehren, manche ermorden ihre Inhaber. Dann schlägt die Stunde der "Prämienjäger" – im späteren Drehbuch in die titelgebenden "Blade Runner" umgetauft –, Polizeibeamte, die diese illegalen Eindringlinge aufspüren und neutralisieren sollen und für die schmutzige Arbeit mit Sonderzahlungen belohnt werden – um sich Tiere kaufen zu können, die wie zuvor Autos und Häuser, als Statusobjekte zählen. Da nur die Wenigsten sich eines der in dem radioaktiven Staub verbliebenen echten Tiere leisten können, ist die Herstellung artifizieller, naturidentischer Tiere ein blühender Industriezweig – wobei die Besitzer solcher Substitute sich schämen, kein echtes Tier zu haben und dessen androidische Herkunft möglichst zu verbergen versuchen. Prämienjäger Rick Deckard hat ein elektrisches Schaf, das auf dem Dach seines Hauses grast, im Gatter nebenan das Pferd eines Nachbarn, ein Renommierobjekt.