Hannah-Arendt-Tage: Wie demokratisch wird das digitale Jahrhundert?

Die 20. Hannah-Arendt-Tage stehen ins Haus. Am 17. Oktober werden sie in Hannover eröffnet mit der Veranstaltung zu den Auswirkungen des digitalen Wandels sowie dem Start der Ausstellung "GEHEIMNIS – Ein gesellschaftliches Phänomen".

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Künstliche Intelligenz, KI, AI
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jürgen Kuri

Hannah Arendts Dystopie der Arbeitsgesellschaft scheint heute aktueller denn je, und so passt es, dass sich die Hannah-Arendt-Tage in Hannover den Auswirkungen der Digitalisierung auf Politik und Gesellschaft widmen. Arendts politische Theorie "kritisiert die Reduktion tätigen Lebens auf Arbeit und Konsum und insistiert auf dem Freihalten und der Erweiterung der Öffentlichkeit", heißt es zu ihrem Werk "Vita Activa, oder: Vom tätigen Leben". Arendt selbst schreibt: "Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller sein?"

Wir wissen bereits, ohne es uns doch recht vorstellen zu können, dass die Fabriken sich in wenigen Jahren von Menschen geleert haben werden und dass die Menschheit der uralten Bande, die sie unmittelbar an die Natur ketten, ledig sein wird, der Last der Arbeit und des Jochs der Notwendigkeit. Auch hier handelt es sich um einen Grundaspekt menschlichen Daseins, aber die Rebellion gegen diese menschliche Existenzbedingung, das Verlangen nach dem leichten, von Mühe und Arbeit befreiten, göttergleichen Leben ist so alt wie die überlieferte Geschichte. [...] So mag es scheinen, als würde hier durch den technischen Fortschritt nur das verwirklicht, wovon alle Generationen des Menschengeschlechts nur träumten, ohne es jedoch leisten zu können. Aber dieser Schein trügt. Die Neuzeit [...] hat zu Beginn unseres Jahrhunderts damit geendet, die Gesellschaft im Ganzen in eine Arbeitsgesellschaft zu verwandeln. Die Erfüllung des uralten Traums trifft wie in der Erfüllung von Märchenwünschen auf eine Konstellation, in der der erträumte Segen sich als Fluch auswirkt. (Hannah Arendt, Vita Activa, S. 12/13, Piper, 8. Auflage)

Solche Prognosen und dystopischen Vorstellungen, die eine Utopie der Befreiung in einen Alptraum verwandeln, bestimmen heutzutage wieder viele Aspekte der Diskussion um Digitalisierung, die Zukunft der Arbeit und die Organisation der Gesellschaft. Die Digitalisierung der gesamten Gesellschaft ist längst keine Zukunftsvorstellung mehr, sondern eine Realität, die immer mehr Bereiche des alltäglichen Lebens, der Arbeit, der Politik bestimmt – und etwa von den Konzernen des Silicon Valley als Befreiung des Menschen von Mühsal und Last propagiert wird.

Das einzige, was die aus der Wissenschaft entwickelte Technik wirklich zu beweisen scheint, ist, dass die im Experiment hypothetisch vorweggenommene Welt jederzeit zu einer Wirklichen, von Menschen verwirklichten Welt werden kann, was zwar besagt, dass die praktischen Vermögen des Menschen, das Vermögen, zu handeln, herzustellen, ja sogar Welten zu erschaffen, unvergleichlich größer und mächtiger sind, als irgendein vergangenes Zeitalter zu träumen wagte; was aber andererseits leider auch heißt, dass die volle Ausnutzung gerade seines weltschaffenden Vermögens den Menschen in das Gefängnis seiner selbst, seines eigenen Denkvermögens verweist, ihn unerbittlich auf sich selbst zurückwirft, ihn gleichsam in die Grenzen seiner selbst geschaffenen Systeme sperrt. Dieses Gefängnisses wird er gewahr, sobald er im Überschwang der Freude, dass es überhaupt so etwas gibt wie Welt und Natur, wie die Erde und den bestirnten Himmel über ihr, hinausgreifen und hinausschwingen möchte in all das, was der Mensch nicht ist, und nun erfahren muss, dass die Natur wie das Weltall sich ihm entziehen, dass ein Universum, das gemäß der im Experiment festgestellten Prozesse antizipiert und in einer auf diesen Experimenten basierenden Technik "wirklich" verifizierbar ist, sinnlich und anschaulich nicht mehr vorstellbar ist. (Hannah Arendt, Vita Activa, S. 365/366, Piper, 8. Auflage)

Auf der Eröffnungsveranstaltung der 20. Hannah-Arendt-Tage (17. bis 21. Oktober 2017) stellen sich die Fragen, ob am Ende des Digitalisierungsprozesses die künstliche Intelligenz die Herrschaft übernimmt. Oder – und vor allem wie – sich sich Digitalisierung, Big Data und künstliche Intelligenz mit den freiheitlich-demokratischen Grundrechten vereinbaren lassen. Yvonne Hofstetter geht dem in ihrem Vortrag "Wissen – Macht – Meinung: Wie demokratisch wird das digitale Jahrhundert?" nach.

Mit der Eröffnungsveranstaltung der Hannah-Arendt-Tage ist auch der Start der Ausstellung "GEHEIMNIS – Ein gesellschaftliches Phänomen" verbunden, die vom 18. Oktober 2017 bis zum 8. April 2018 im Museum Schloss Herrenhausen in Hannover stattfindet. Die Ausstellung "fragt nach dem Zusammenspiel von Transparenz und Schutz, von Macht und Vertrauen sowie von persönlicher Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung".

Erstmals werden die nach Hannah Arendt benannten Tage auch von heise online und c't unterstützt und begleitet, und zwar mit Berichterstattung, Moderation und Vorträgen sowie mit Live-Streaming (u.a. die Eröffnungsveranstaltung am 17. Oktober sowie die Vorträge/Diskussion "Kommune 5.0, Wenn Algorithmen regieren und verwalten" am 19. Oktober mit Dr. Mike Weber und Dr. Constanze Kurz). (jk)