Trip aus der Depression

Viele Menschen haben ein Leben lang mit Depressionen zu kämpfen. Keines der gängigen Medikamente scheint ihnen zu helfen. Nun hoffen Psychiater auf Halluzinogene und Psychedelika als Lösung.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 12.10.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Schon während seines Studiums interessierte sich Robin Carhart-Harris für das Unbewusste. Mit Begeisterung las er Mitte der Nullerjahre das Werk von LSD-Papst Stanislav Grof. Psychedelika, meinte er danach, könnten ihm Einblick ins menschliche Bewusstsein gewähren. Aber nicht nur das. Er entwickelte zugleich eine Theorie, dass Halluzinogene bei psychischen Leiden wie Ängsten, Depressionen und Abhängigkeiten helfen könnten. Nun will er sie Schritt für Schritt in die Praxis umsetzen. Vor ein paar Jahren war der Brite der erste Forscher seit Jahrzehnten, der auf der Insel Grundlagenforschung mit Psychedelika anstellte. Denn Wirkstoffe wie Psilocybin gelten, seit 1971 die Konvention über psychotrope Substanzen verabschiedet wurde, weltweit als illegal.

Carhart-Harris bewegt sich damit in einem Grenzgebiet der Medizin, das eigentlich nur Schwierigkeiten mit sich bringt. Das dürfte ihm spätestens klar geworden sein, als er versuchte, an die benötigten Substanzen zu kommen. Der Neurowissenschaftler hatte sein Augenmerk auf Psilocybin gerichtet, den Wirkstoff aus den Magic Mushrooms. Er wollte wissen, ob die Droge depressiven Menschen helfen kann, bei denen keine anderen Therapien anschlagen. Dafür brauchte der Forscher jedoch Sondergenehmigungen. Und wie sich herausstellte, war es selbst für einen Wissenschaftler der neuropsychopharmakologischen Abteilung am Imperial College London äußerst langwierig und kostspielig, sie zu erhalten.

Auch der anschließende Versuch lief nicht so ab, wie man es gemeinhin von medizinischen Studien kennt: Jeweils sechs männliche und sechs weibliche Probanden erhielten zweimal eine Kapsel mit synthetisch hergestelltem Psilocybin in einem angenehm abgedunkelten Raum. Während der mehrstündigen Drogenerfahrung schirmte sie eine Augenmaske von der Welt ab; sie lagen auf einem Bett, hörten Musik, und an jeder Seite der Probanden saß ein geschulter Ansprechpartner. Später wurden mit den Patienten Gespräche geführt, um ihnen zu helfen, ihre Erlebnisse einzuordnen und zu verarbeiten. Die Ergebnisse aber sind keineswegs so esoterisch, wie das Experiment vermuten lässt. Carhart-Harris brachte sie voriges Jahr immerhin im renommierten Fachjournal „Lancet Psychiatry“ unter. Und sie bescheinigen dem Rauschmittel einen großen therapeutischen Effekt bei therapieresistenten Patienten.

Bei 67 Prozent der Teilnehmer konnte nach einer Woche eine positive Reaktion auf die Gabe festgestellt werden, bei 58 Prozent der Patienten hielt die Symptomfreiheit sogar drei Monate lang an. Für den Neurowissenschaftler steht fest, „dass Psilocybin ein vorteilhaftes Giftprofil hat“, außerdem führe es nicht zu einem „drogenfixierten Verhalten“. Deshalb ist für Carhart-Harris nun der nächste logische Schritt eine wirklich groß angelegte randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie.

Dass Psychiater und Psychologen seit einigen Jahren vermehrt mit solch verbotenen Stoffen experimentieren, ist das Ergebnis einer beträchtlichen Notlage. Zwar gibt es heutzutage vielleicht nicht mehr Depressionen als früher, aber sie werden häufiger und zuverlässiger diagnostiziert. Tatsache ist, dass jedes Jahr 5,3 Millionen Deutsche an dieser schweren psychischen Störung erkranken. Und bis die gängigen Mittel anschlagen, vergeht Zeit. „Es dauert in der Regel einige Wochen, bis ein Antidepressivum wirkt“, sagt Undine Lang, Direktorin der Erwachsenenpsychiatrischen Klinik in Basel. Zu lang für viele Betroffene: Depressionen sind hierzulande die häufigste Ursache der geschätzten 10000 Selbstmorde jährlich.

Noch gravierender aber ist, dass bei rund 20 Prozent der Patienten die gängigen Antidepressiva erst gar nicht anschlagen. Ihnen helfen zum Beispiel die selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) nicht, die für eine höhere Konzentration des sogenannten Glückshormons im Gehirn sorgen. Obendrein stagniert die Entwicklung von Arzneien für psychische Leiden, seit mehreren Jahren sind keine Medikamente mit neuen oder besseren Wirkmechanismen zugelassen worden. Ärzte wie Gerhard Gründer, Leiter der Arbeitsgruppe „Molekuare und klinische Psychopharmakologie“ an der Uniklinik RWTH Aachen, sprechen geradezu von einer „Krise“.

Da ist es kein Wunder, dass Mediziner wie Forscher vehement nach Lösungen suchen – und nach jedem Strohhalm greifen. Schon seit einiger Zeit in den Fokus gerückt sind die sogenannten Psychedelika, zu denen LSD, Psilocybin und – aufgrund der Wirkung – auch das Narkosemittel Ketamin zählen.

Noch sind die Probandenzahlen in den klinischen Studien zu klein für verlässliche Aussagen. Aber die Ergebnisse lassen hoffen.

(inwu)