Kleinvolumige Reisemaschinen mit 250 bis 400 ccm sind besser

Klartext: Reiseenduros von unten

Der Trend zu großen Reiseenduros mit drehmomentstarken Motoren, die nur auf zentraleuropäischen Straßen gefahren werden, hat die Traditionalisten hinter sich gelassen. Sie kaufen 300er

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Von
  • Clemens Gleich
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Marktforschung ist so eine Sache. Man findet immer Dinge heraus, die selten direkt helfen, weil so viele Begleitfaktoren sie modifizieren. Ich erinnere mich, als BMW Motorrad einmal die Kundschaft in Sachen Gasgriffverhalten vermaß. Sie fanden heraus, dass fast das ganze Panel fast die ganze Zeit im Bereich bis 30 Prozent Drosselklappenöffnung fährt. BMW zog den Schluss daraus, dass die Kunden dann wohl eine Optimierung auf diesen Bereich bräuchten und passten die Geometrie des Gaszuges (das war noch vor E-Gas-Zeiten) so an, dass die Kundschaft in ihrem bevorzugten unteren Teillastbereich genauer dosieren konnte. Die Kunden hassten es geschlossen.

Vielleicht hätten sie besser ihre Autokollegen gefragt. Die hätten ihnen wahrscheinlich empfohlen, den Bereich nicht genauer dosierbar zu machen, sondern die Drosselklappenöffnungskurve in diesem Bereich im Gegenteil steiler zu gestalten, denn das führt dazu, dass sich der Motor stärker anfühlt. Das wollen die Kunden schon eher. Warum sonst kaufen sie wie blöd Motoren mit 1200+ ccm, von deren Leistung sie kaum jemals mehr als 20, 30 Prozent abrufen? Weil sie den Ritt auf der Drehmomentwelle lieben. Mit derselben Stärke hat sich der Turbodieselmotor im PKW beliebt gemacht. Drehzahlmotoren sind außerhalb des Rennsports praktisch ausgestorben. Drehmomentmotoren sind gefragt. Das ist eine Wahrheit. Wahrheit kommt aber nie allein, sie gesellt sich gern zu Lügen oder anderen Wahrheiten, und die banalste davon lautet immer: „Das ist nicht die ganze Wahrheit.“

Das ist mir jetzt zu blöd

Wenn sich ein Markt vollständig auf eine beliebte Strömung einschießt, vergisst er gern die Ränder. In den Neunzigern dominierte der Sportgedanke die Motorradwelt. Jedes Jahr überboten sich die japanischen Hersteller mit noch etwas besseren Fahrwerken, drei PS mehr, einem Kilogramm weniger. Das wurde vielen Motorradfahrern zu blöd, weil sie eben alterten wie alle Menschen. Der Markt kaufte folglich in jedem Jahr mehr BMW GS, bis diese das definierende Motorrad des neuen Hauptmarkts wurde, der Reiseenduro, die nur auf der Straße gefahren wird. Besser passt der von Kevin Ash geprägte Begriff „Tallrounder“: Höhergelegte Motorräder für ältere Kunden, die kommoder sitzen wollen und außerdem die paar Moleküle Abenteuergeruch mögen, die das Marketing auf Modelle des Segments sprüht. Wir kennen dasselbe vom SUV, dem Auto-Tallrounder.

Während alle Hersteller fieberhaft die GS kopierten, um ein Stückchen vom Kuchen zu ergattern, fielen selbstverständlich wieder Kunden durchs Raster. Diesmal waren es die alten Hasen, die auf ihren misthaufenhoch beladenen Honda Transalps tatsächlich um die Welt fuhren. Es ist nämlich gar nicht so geil, im tiefsten Kongo mit einer aufpreislistenproppen GS Adventure für 25.000 Euro vorzufahren, wenn die lokale Gemeinde am Übernachtungsplatz am Hungertuch nagt. Selbst die ranzige alte Transe übernachtet in solchen Situationen gern mit dem Fahrer im Zimmer. Mit der glitzernden GS muss der Fahrer auf seine Sozialkompetenz bauen, ohne Bosheit nicht gerade die Sprichwort-Tugend des Kundendienst-verwöhnten, kapitalstarken BMW-Freunds aus der Bundesrepublik der Leitlinie „Logik schlägt Lächeln“. Der Transenreiter dagegen hat Demut gelernt, wahrscheinlich schon 500 Meter nach dem Kauf seines Kackstuhls. You meet the nicest people on shitty Hondas.