Post aus Japan: Die Wiege des ThinkPads

Vor 25 Jahren brachte IBM das Notebook ThinkPad auf den Markt. Entwickelt wurde der Dauerbrenner in Japan. Das Yamato Lab ist auch für ThinkPads derzeitigen Eigner, Chinas Computerriesen Lenovo, das technische Zentrum.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Ein lauter Knall erschüttert den Laborraum im Yamato Lab in der japanischen Millionenmetropole Yokohama. Gerade ist ein ThinkPad-Notebook des chinesischen Computerkonzerns Lenovo krachend zu Boden gefallen. Ein paar Meter weiter drückt ein Greifer unermüdlich auf eine Seite eines dieser Notebooks für die globale Managerklasse, um es immer wieder zu verbiegen. Ein anderer daneben drückt direkt aufs Display. Anderswo im Gebäude werden Geräte auf unter Null grad abgekühlt, erhitzt, geschüttelt und gerüttelt.

Doch damit ist der Tortur nicht genug. Denn das japanische Labor ist eine der wichtigsten Einheiten des chinesischen Computerherstellers. Etwa 200 Teststationen müsse jedes Modell durchlaufen, erklären die japanischen Ingenieure mit sichtbarem Stolz. Denn sie sehen sich nicht nur als Qualitätsratgeber für die Computer Lenovos, sondern Gralshüter für den Geist einer der ältesten Notebookmarken der Welt, die erst in amerikanischem und nun chinesischem Auftrag in Japan federführend mitgestaltet wird: das ThinkPad, oder anders gesagt Geräte für mobiles Computing von Geschäftsleuten.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Der Vater des Notebooks sitzt derweil in einem Konferenzraum im Yamato Lab. Geduldig gibt Arimasa Naito, der Chief Technology Officer von Lenovos Computersparte, Interview um Interview mit der geladenen Presse aus aller Welt. Denn ihm und seinem Labor zu ehren wird der 25-jährige Geburtstag des ThinkPads in Japan gefeiert. Nur um eines bittet er: Keine Videos. Dann redet er über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft mobilen Computings.

Der Ursprung von Japan als ThinkPad-Schmiede liegt in Produktzyklen der IT-Industrie schon lange zurück. Japan wurde schon früh ein Entwicklungszentrum für IBM. Schließlich wurden im Land der aufgehenden Sonne seit den 1970er Jahren die Techniken der elektronischen Zukunft entwickelt: Display, Chips, Mainframerechner und später Computer – in vielen Feldern waren japanische Unternehmen führend in Forschung und Entwicklung. Und IBM, für den Japan auch ein großer Markt war, wollte natürlich am Puls der Zeit und nahe seinen wichtigsten Kunden und Rivalen sein.

Doch die Japaner fühlten sich anscheinend unter Wert verkauft. "Die Führer von IBM Japan wollten, dass das japanische Lab eine größere Entwicklungsmission erhielt", erinnert sich Naito. Und sie wählten portables Computing, das damals noch ganz am Anfang stand. Japan hatte Erfolg. Die amerikanische Zentrale gab dann Japan die Aufgabe, das ThinkPad zu entwickeln. Und der Ingenieur Naito war im Geschäft.

"Ich hatte viele Technologien um mich herum und gute Partner", erzählt der Japaner. Batterien von Panasonic beispielsweise, Floppydisk-Drives von Alps – und nicht zu vergessen den deutschen Industriedesigner Richard Sapper. Der hatte sich für IBMs Angebot an die globale Managerklasse etwas Japanisches überlegt: Das ThinkPad sollte einer schwarz lackierten, klassisch-japanischen Bento-Box gleichen. Schlicht und doch elegant in der Form, mit einem Aha-Erlebnis nach dem Öffnen. Naito war derweil für die Robustheit und die technischen Details zuständig.

Auch die Übernahme von IBMs Computergeschäft durch Lenovo hat daran nichts geändert. In Japan gilt der Besitzerwechsel sogar als Segen. Denn mit IBMs Schwenk zu Software wäre das ThinkPad bei den Amerikanern zum Stiefkind verkommen. Die Chinesen hingegen spannten die Sparte ganz klar als Zugpferd ihrer Computersparte ein. Nur eines ist neu seit vorigem Jahr. Naito hat sich etwas vom Tagesgeschäft zurückgezogen, um über die Zukunft nachzudenken. Und denken braucht Zeit, von dem es im Entwickleralltag immer weniger gibt. "Die Produktzyklen werden ganz klar kürzer", sagt er.

Vor 25 Jahren lag der Takt bei 18 Monaten, nun unter einem Jahr. Nicht nur die Technik ist dafür verantwortlich, sondern auch die Kunden. Immer mehr Firmen ersetzen ihre Geräte nicht mehr nach fünf Jahren, sondern nach drei bis dreieinhalb, sagen Manager der ThinkPad-Sparte. Ein Grund ist Mitarbeitermotivation. Offenbar stehen die Firmen unter Druck, ihren Mitarbeitern immer die neueste IT vorzulegen. Sonst laufen sie Gefahr, dass Angestellte innerlich oder wirklich kündigen.

Dieser schnellere IT-Zyklus stabilisiert sicherlich den Markt für die kommenden Jahre. Aber das ist auch dringend notwendig. Denn Notebooks stehen unter Druck. Das untere Ende der Computingskala wird immer öfter von Smartphones abgedeckt. Nun schicken sich Apples und Microsofts neueste Tablet-Kreationen an, in immer gehobeneren Bereichen nach klassischen Notebook-Kunden zu jagen.

Eine Folge ist ein Abflauen des Notebookbooms, der vor mehr als zehn Jahren für steigende Absätze sorgte. Aber Naito wird um die Zukunft nicht bang. Denn er glaubt, dass Vielnutzer weiterhin die höhere Rechenkraft, die größeren Bildschirme und die bessere Fähigkeit zum Multitasking von Notebooks wollen. Er rechnet daher mit einem stabilen Absatz – und vielleicht sogar einem stärkeren Plus, je nach neuen Funktionen, die er und andere aushecken.

Als eine mögliche Wachstumschance sieht er die die wachsende Rechenkraft. Zu Beginn des neuen Zeitalters von Spracherkennung und -Steuerung, Augmented Reality, virtuellen Welten und künstlicher Intelligenz boomen noch die Clouddienste, weil die Datenmengen die kleinen Rechner überfordern würden. Aber Naito hält es für möglich, dass das Pendel mit höher Leistungsfähigkeit der Maschinen wieder zurückschwingt und die Nutzer mehr auf ihren eigenen Maschinen arbeiten und speichern wollen. Ein Grund werden seiner Meinung nach Sicherheitsbedenken sein.

Ein anderer Trend ist, dass die Computerentwickler nicht mehr nur über eingebaute Technik und Formfaktoren nachdenken müssten, meint Naito. Das Pflichtenheft der Entwickler beinhaltet inzwischen immer ganzheitlicher auch die globalen Arbeitsprozesse in Büros und Firmen. Denn mit den neuen Technologien wird auch die Welt der Arbeit teilweise radikal geändert, was neue Chancen und Herausforderungen schafft. Kombiniere dies mit technischen Fortschritt und schon sieht Naito neue technologische Antworten und neue Schnittstellen für mobiles Computing.

Er selbst und der Konzern halten sich öffentlich bedeckt über die nahen und mittelfristigen Angebote. Doch auf Messen machen schon seit vielen Jahren Ideen die Runde, manche finden sich sogar ansatzweise in Produkten: flexible oder gebogene Displays gibt es schon in Handys, klapp- oder gar aufrollbare Displays sind inzwischen Markttag. Dazu gibt es erste intelligente Textilien, Hologramme, Datenbrillen – und nachträglich immer bessere Sprach- und Fingersteuerung für virtuelle Welten. Die Technikunternehmen probieren derzeit viel aus.

Doch eine Frage ist, ob und für wen sich die immer schnellere Jagd überhaupt noch lohnt. Die Experten von Future Markets Insights (FMI) sagen dem Notebook-Markt für die kommenden zehn Jahre nur ein jährliches Wachstum von 0,3 Prozent voraus. Da sich gleichzeitig vor allem chinesische Firmen in den Markt drängen, drückt ein harter Preiskampf auf die Gewinne.

Allerdings gibt es wachsende Segmente und Märkte, merkt Suyog Keluskar von FMI an. "Sub-Notebooks bleiben ein relativ lukratives segment im globalen Notebook-Markt", so der Experte. Leicht, flach und klein ist beliebt, ebenso Laptops für Computerspiele. Regional sieht er Wachstum vor allem in Osteuropa, dem mittleren Osten und Asien und vor allem China, wo rechenstarke Notebooks nicht nur als Arbeitstiere dienen, sondern auch als Basis für Hardcore-PC-Gamer.

Lenovo und das ThinkPad haben bei diesem Wettrennen nicht einmal die schlechtesten Karten, meint Keluskar. Zwar hat das Unternehmen die Marktführerschaft jüngst an HP verloren. Dieses Jahr sackte der Konzern sogar in die Verlustzone ab, weil die zugekauften Sparten, die Handymarke Motorola und IBM Datenserver-Geschäft nicht so recht laufen. Aber der Experte glaubt, dass Lenovo mit seinem Mix aus preiswerten Massenrechnern, superschnellen Gaming-Laptops und dem robusten ThinkPad "weiterhin eine Führungsposition im Notebook-Markt behalten wird." Dem ThinkPad winken damit noch weitere Jubiläen – und damit womöglich ebenso dem Yamato Lab in Yokohama.

()