Russland will bei der Digitalisierung der Wirtschaft aufholen

Beobachtern zufolge hinkt Russland beim Umstieg auf digitale Unternehmensprozesse rund fünf Jahre hinter den USA oder Deutschland zurück. Mit einem Masterplan soll nun etwa die Transformation des Energiesektors gelingen.

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Russland will bei der Digitalisierung der Wirtschaft aufholen

Die "Skolkovo Foundation" während der BIO International Convention in Boston, 2012

(Bild: Skolkovo Foundation, CC BY-SA 2.0)

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Oskar Hartmann, Gründer des auf Kleidung und Modeaccessoires ausgerichteten russischen E-Commerce-Portals KupiVIP.ru, sparte am Montag beim Auftakt des "Open Innovations-Forum" im Technologiepark Skolkowo bei Moskau nicht mit Kritik an seinen Landsleuten im Bereich Startup-Mentalität. "Der Flaschenhals ist der fehlende Unternehmergeist", beklagte der gebürtige Kasache. "Wenn Sie sich nicht den Herausforderungen der Digitalisierung stellen, werden Sie transformiert", erklärte er dem Publikum am "Unternehmertag" der Konferenz. Firmen, die nicht mit IT-Plattformen ihre Wertschöpfungskette vergrößerten, seien früher oder später verloren.

"Wir waren Immigranten in Deutschland", erinnerte sich Hartmann an seine ersten Begegnungen mit der digitalen Welt zurück. "Wir waren Hacker auf der Suche nach neuen Systemen." Mit Lösungen für den Online-Verkauf sei ihm und seinen Mitentwicklern dann der Einstieg ins Internetgeschäft geglückt. Als er nach einem Zwischenstopp für BMW in Malaysia als Berater wieder in Russland gelandet sei, habe er festgestellt, dass dort im Sektor Internet und IT "alles fünf Jahre hintendran" gewesen sei. Er habe daher im Bereich E-Commerce letztlich noch einmal von vorn angefangen wie zuvor in Deutschland. Mittlerweile hat Hartmann mit "Fast Lane Ventures" eine weitere eigene Firma gegründet, die Wagniskapital vergibt und als "schneller Brüter" für Internetunternehmungen fungiert.

Zwischen 70 und 100 Risikokapitalfirmen gebe es mittlerweile im früheren antikapitalistischen Reich, schätzt Petr Lukjanow, Partner bei Phystech Ventures in Moskau. Das Geld fließe in Russland zwar längst nicht so reichlich wie im Silicon Valley, wo der Markt der große Antriebsmotor sei. In Skolkowo gehe es als Vorzeigeprojekt der russischen Regierung eher um den Aufbau von Infrastrukturen für Gründer, staatliche Fördergelder, Kontaktvermittlung und Steuererleichterungen. Finanzierungslücken gerade für kleine und mittlere Firmen sowie Startups will ganz in diesem Sinne die Entwicklungsbank VEB schließen: Sie kündigte am Montag an, 200 Millionen Rubel (knapp 3 Millionen Euro) in die Crowdsourcing-Plattform StartTrack schießen zu wollen.

Ähnlich wie Hartmann schätzt Lukjanow, dass russische Firmen US-amerikanischen in der Regel fünf Jahre hinterherhinken bei der Digitalisierung. Die Software-Entwicklung sei eine der großen Ausnahmen, was unter anderem dazu führe, dass rund 50 Prozent der Blockchain-Community zumindest russisch angehaucht sei. In dem Bürogebäude, in dem sich der Wagniskapitalgeber befinde, seien viele Leute damit beschäftigt, Bitcoins zu schürfen.

Im Bereich von Kryptowährungen und Blockchain-basierten Geschäftsmodellen gebe es sicher auch einige interessante Beteiligungsmöglichkeiten, vermutet Lukjanow. Phystech setze aber lieber auf Startups im Energiesektor, wo die Schwerpunkte in Russland vor allem bei Öl und Gas liegen. Elektromobilität sei kein großes Thema, im Sektor sauberer Energien allenfalls Autos und andere Vehikel mit Wasserstoffantrieb. Seine Firma investiere so etwa in eine Startup, das Drohnen mit dieser Energietechnik entwickle und so auf Rotoren verzichten könne. Sonst gehe es bei vielen der Beteiligungen aber um junge Firmen, die den Lebenszyklus etwa von Ölquellen verlängerten oder die Kontrolle der Förderstätten aus der Ferne erlaubten.

Ein Sprecher des Energieministeriums der Russischen Föderation betonte auf dem Forum, dass die Regierung vor Kurzem einen 20 Jahre umfassenden Digitalisierungsfahrplan aufgestellt habe, der die gesamte Wertschöpfungskette von Ölfeldern bis zu Tankstellen umfasse. Als "nationale Projekte" seien dabei unter anderem auch digitale Kraftwerke und Umspannwerke auserkoren worden, für die nun Pilottest etwa mit dem Stromlieferanten Rossinet anliefen, sowie der Wechsel auf ein "Smart Grid", den die Akademie der Wissenschaften bewältigen solle. Parallel gehe es um die Anpassung des rechtlichen Rahmens. Ziel sei es nicht nur, die Produktivität zu erhöhen und Kosten zu sparen, sondern auch weltweit führend bei der Transformation des Sektors zu werden.

Auch Firmen im Energiebereich drohe die "Uberization", gab Wjatscheslaw Sinjugin, Generaldirektor des staatlichen Zentrums für Projektfinanzierung, zu bedenken. So schnell wie bei den Taxis gehe es etwa bei Kraftwerken aber wohl nicht. Trotzdem fördere die von ihm geleitete Einrichtung etwa Pilotinitiativen auf Blockchain-Basis oder für intelligente Städte. Ernesto Ciorra vom italienischen Energieriesen Enel und sein Kollege vom britischen Versorger EDF, Valery Prunier, unterstrichen unisono, dass sie tausende beziehungsweise hunderte Startups analysiert sowie sich mit einer Auswahl davon getroffen hätten, um technologisch nicht den Anschluss zu verpassen. Zu bewältigen gelte es nun die "Demokratisierung der Energie", meinte Ciorra, wenn jeder mit einer Photovoltaikanlage zum Produzenten werden und damit auch helfen könne, das Stromnetz zu stabilisieren.

Noch sähen aber gerade die größten russischen Wirtschaftstanker wenig Bedarf, sich digital umzugestalten, berichtete ein Vertreter des IT-Systemhauses IBS. Grund sei der oft fehlende Wettbewerbsdruck. Als Ausnahme präsentierte sich auf der Konferenz just die früher viel gescholtene russische Post, die aufgrund des E-Commerce-Booms nach eigenen Angaben nun 247 Millionen Pakete pro Woche schneller ausliefert als das Aufkommen von 42 Millionen drei Jahre zuvor. Datenanalyse sei für viele Firmen in Russland aber noch ein Fremdwort, monierte Kirill Tatarinov, der zuletzt Chef des US-Softwarehauses Citrix war. Ohne diesen Schritt werde es auch nichts mit Maschinenlernen und Künstlicher Intelligenz. (kbe)