Gran Turismo Sport angespielt: Gentleman der Online-Racer

Sony setzt bei seinem neuen Simulator auf gediegene Online-Rennen und erzieht Spieler zur Netiquette.

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Gran Turismo Sport angespielt: Gentleman der Online-Racer

(Bild: heise)

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Mit Gran Turismo Sport (GTS) ist Sonys altehrwürdiger Fahrsimulator nun auch auf der PS4 angekommen. Statt auf jugendlichen Krawall setzt das Programm auf einen gediegenen Edel-Look. Zu Archivbildern aus alten Renntagen erklingt klassische Klaviermusik. Autofetischisten können hier Nobelschlitten aus allen möglichen Winkeln unter die Lupe nehmen – mehr Karossen-Porno geht nicht.

Zwar können Solospieler unkompliziert in Arcade-Rennen (38 Strecken) einsteigen, sein Hauptaugenmerk legt GTS aber auf den Mehrspielermodus. Doch um online spielen zu können, muss man sich zunächst zwei zusammen knapp fünfminütige Videos ansehen, die Spielern Benimm beibringen sollen: Ein guter Rennfahrer stellt den Sportsgeist über den Erfolg. Er soll rücksichtsvoll fahren, andere Spieler nicht behindern oder abdrängen, und sie vor allem nicht als Prellbock bei der Einfahrt in Kurven missbrauchen. Wer sich daran hält, bekommt in den Rennen eine gute Netiquette-Wertung. Diese ist notwendig, um später in die höheren Fahrerwertungen aufzusteigen und in den oberen Ligen mitzufahren.

Gran Turismo Sport (9 Bilder)

Online-Rennen starten alle 20 Minuten. Das erspart unkalkulierbare Wartezeiten, bis zum Startschuss fährt man sich warm und analysiert die Kurvenabschnitte.
(Bild: heise)

Die Online-Rennen koordiniert Sony in festen Zeitslots. Täglich gibt es drei verschiedene Rennen, die im Wechsel alle 20 Minuten starten. Wer sich vorher anmeldet, kann zunächst einige Übungsrunden drehen und sich warmfahren, bevor es in einem 24er-Feld losgeht. Das feste Zeitraster sorgt für gute Planbarkeit: Statt ungewisse Wartezeiten in der Lobby zu verbringen, weiß man genau, wann es los geht und kann vorher nochmal eine Stärkung einnehmen und zur Toilette.

Das scheinen die Spieler in den ersten Rennen auch recht gut zu beherzigen. Nur vereinzelt wurden wir in Kurven von hinten angefahren. Dabei wird man nur leicht angestubst, bevor der gegnerische Wagen sich in ein Geisterauto verwandelt und eine kleine Zeitstrafe bekommt.

Der Anspruch an das fahrerische Können ist hoch. Zwar helfen Einsteigern automatische Assistenten beim Bremsen vor einer Kurve und sie verhindern allzu wilde Drehungen bei falschen Lenkmanövern -- eine Chance auf einen Podestplatz hat aber nur, wer die Hilfen abschaltet und die Strecken auswendig lernt. Anfangs ist man froh, wenn man es im 24er-Feld unter die ersten 15 schafft. Dazu gibt die Solo-Kampagne zahlreiche Workshops und Spezialaufgaben – sie ist eine reine virtuelle Fahrschule.

Wer hier eifrig trainiert, kann auch an großen Online-Meisterschaften teilnehmen, die Sony ab November auf dem Kalender hat. Abseits der offiziellen Rennen kann man natürlich seine eigenen Online-Rennen im Freundeskreis starten oder am Split Screen mit einem weiteren Spieler im selben Wohnzimmer.

Grafisch zieht GTS vor allem auf der PS4 Pro alle Register. Neben HDR-Grafik, die für besonders intensive Sonnenstrahlen bei Fahrten am frühen Morgen und am späten Nachmittag sorgt, sehen die Rennszenen auf 4K-Fernsehern wie geleckt aus. Nicht die kleinsten pixeligen Krümel sind am Horizont zu erkennen. Zuweilen wirkt das Bild mit den Hochglanzkarossen jedoch antiseptisch. Selbst bei den Drift-Rennen ist kein Dreck zu sehen, weder Regen, Schnee noch Schlamm spritzt auf den Lack.

Zwar unterstützt GTS auch VR-Fahrten unter Sonys PSVR, allerdings wurden diese in einen separaten Modus ausgelagert. Hier kann man alle 38 Solorennen nicht wie sonst gegen 20 KI-Fahrer, sondern nur im Duell gegen einem KI-Gegner bestreiten. Dafür sieht die VR-Grafik weitaus besser aus als etwa in Driveclub. Sony hat die Kameraführung, Beschleunigungs- und Bremsphasen optimiert, sodass uns im Cockpit bei weitem nicht so schnell übel wurde, wie etwa in Dirt Rally VR – zumindest solange es in GTS nicht über hügelige Erdpisten ging.

In VR bekommt man ein besseres Gefühl für das Fahrzeug und kann nach dem Gegner in den Rück- und Seitenspiegeln Ausschau halten. Leider werden die Rennen nicht für die Karriere gewertet, sondern sind nur Beiwerk.

Gran Turismo Sport ist der Gegenentwurf zu Need for Speed und Grand Theft Auto. Statt Gangster-Vibe zu versprühen, bleiben hier Rennsport-Fetischisten und Lack-Liebhaber unter sich. Das zieht sich durch die gesamte Präsentation. Die Solo-Fahrten und -Kurse dienen lediglich der Übung, denn GTS wurde konsequent auf Online-Rennen und eSport ausgerichtet – ohne PSN-Plus-Abo für 60 Euro pro Jahr ist der Kauf wenig sinnvoll. Gottseidank verzichtet Sony auf weitere In-Game-Käufe – sämtliche Karossen müssen freigespielt werden. Fahrgefühl und Grafik überzeugen. Das Spiel holt mit seinem sanften Einstieg selbst Fahranfänger ab und motiviert sie durch flotte Level-Aufstiege, mit neuen Fahrzeugen ihre Kurvenlage immer weiter zu optimieren. (hag)