Missing Link: HAI 2017 – Dreiarmige Schlagzeuger und kalte Roboterhotels

Automatisierung kann nur hilfreich sein, wenn sie nicht um ihrer selbst willen geschieht, sondern dem Menschen nützt und seine Fähigkeiten erweitert. Doch was braucht es dafür?

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Missing Link: HAI 2017 – Dreiarmige Schlagzeuger und kalte Roboterhotels

Wie Kinder sollen Roboter Objekte und Tätigkeiten gleichzeitig mit ihren sprachlichen Repräsentationen lernen, meint Takayuki Nagai.

(Bild: Image courtesy of Lancaster University)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Da kommst du nach Bielefeld, um die International Conference on Human-Agent Interaction (HAI 2017) zu besuchen, gehst vorher noch kurz zu deinem Hotel, um den Koffer loszuwerden – und stehst auf einmal vor einem Bildschirm. Self-Check-In nennt sich das, dafür sollst du deinen Namen, die Buchungsnummer oder noch irgendwas anderes eingeben. Also nimmst du den Namen, den musst du nicht extra nachgucken. "Leider ist kein Zimmer frei." Vielleicht doch mit großem Anfangsbuchstaben schreiben? Kein Problem, ist nur eine Fingerbewegung mehr – führt aber zum gleichen Ergebnis. Was nun? Zum Glück ist eine menschliche Mitarbeiterin in der Nähe, die dir erklärt, dass du zu früh gekommen bist: "Das Zimmer ist noch nicht fertig, daher erkennt das System Ihre Reservierung nicht." Na, das kann ja heiter werden, denkst du.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Wurde es dann auch tatsächlich – nicht im Hotel, aber auf der Tagung. Am letzten Tag der Konferenz am Excellence Center of Cognitive Interaction Technology (CITEC) der Universität Bielefeld warf Matti Krüger vom Honda Research Institute Europe sogar einen Begriff in die Diskussion, der diese ungewöhnliche Art und Weise, Gäste zu verschrecken, recht gut erfasst: "Automation complacency", Automatisierung um ihrer selbst willen, so Krüger,sei eine der Fallgruben, die es zu vermeiden gelte, wenn die Automatisierung dem Menschen nützen und seine Fähigkeiten erweitern soll. Das erfordere ein wechselseitiges Verständnis zwischen Mensch und Maschine in Bezug auf das gemeinsame Ziel und eine gegenseitige Transparenz, um die Verantwortlichkeiten jeweils dynamisch aufteilen zu können. Davon konnte bei dem Automatenhotel nun wirklich keine Rede sein.

Andere Forscher, wie etwa Tetsuya Matsui (Seikei University), gingen der Frage nach, wie künstliche Agenten gestaltet sein sollten, um eine emotionale Beziehung zum menschlichen Nutzer herstellen zu können. Geschlecht, ethnische Zuordnung und Realitätsgrad der Darstellung seien hierfür wichtige Kriterien. Bei einer Studie mit japanischen Versuchtsteilnehmern, wurde ein asiatisch-weiblich-realistischer Avatar am besten bewertet. Ob sie sich glücklich fühlten, wenn sie den jeweiligen Agenten betrachteten, wurden die Probanden gefragt. Der Empfangsroboter im Hotel hat uns diese Frage glücklicherweise erspart – wir wären womöglich ausfallend geworden.

Er hätte uns aber ohnein nicht verstanden. Es ist eine offene Frage, ob Roboter möglich sind, die "wirklich" mit Menschen kommunizieren, also ein grundlegendes und tiefes Verständnis für die von Menschen verwendeten Symbole entwickeln können. Über dieses Forschungsgebiet der "Symbol Emergence in Robotics" (SER) sprach Takayuki Nagai (University of Electro-Communication, Tokyo) in einem eingeladenen Vortrag. Um von den Basisfähigkeiten der Motorkontrolle zu einem Verständnis etwa menschlicher Sprache zu kommen, sei es erforderlich, Erfahrungen kategorisieren zu können. Die wiederum liegen als multimodale Daten vor, also als Mix aus visuellen, auditiven und anderen Daten, die aufeinander bezogen werden müssen. Wie der Mensch sollte auch ein Roboter Sprache in Verbindung mit Objekten und Tätigkeiten lernen. Zudem seien Informationen über den eigenen inneren Zustand nötig, um zwischen sich selbst und anderen unterscheiden zu können. Nagai erkannte eine Lücke zwischen Mensch-Agent-Interaktion und der Erforschung des Symbolverständnisses bei Robotern und sah in der multimodalen Kategorisierung eine Möglichkeit, diese Lücke zu überbrücken. Ob es gelingen werde, kommunikationsfähige Roboter zu entwickeln, konnte er am Ende seines Vortrags zwar immer noch nicht sagen, zeigte sich aber zuversichtlich: "Wir Menschen können es ja auch. Warum sollte es bei Maschinen nicht möglich sein?"

Menschen können vieles. Wahrscheinlich können sie auch lernen, mit drei Armen sinnvoll zu operieren. Für einen solchen zusätzlichen Arm, der zum Beispiel den Regenschirm halten könnte, wenn jemand fürs Laufen auf Krücken angewiesen ist, hat Koki Nakabayashi (Waseda University) untersucht, wo er am menschlichen Körper optimalerweise befestigt werden könnte: Schulter, Brust oder Taille. Das hänge unter anderem auch von der Länge des Arms und der Zahl der Freiheitsgrade ab, so Nakabayashi – was wiederum die Frage aufwirft, wozu so ein Extra-Arm eigentlich genutzt werden soll. Für das Regenschirm-Krücken-Problem ließe sich gewiss eine einfachere Lösung finden (z. B. ein Regenmantel oder ein in die Krücke integrierter Schirm). Auch das Video von einem Schlagzeuger, der mit einem zusätzlichen Roboterarm spielt, wirkte nicht wirklich überzeugend. Wie soll ein Mensch solche künstlichen Gliedmaßen steuern? Zum Beispiel durch die Blickrichtung, antwortete Nakabayashi. Der Arm bewege sich dorthin, wohin der Mensch gerade schaue. Das allerdings dürfte so viel Konzentration erfordern, dass die beiden biologischen Arme so lange stillhalten müssen.

Gleichwohl unterstrich Nakabayashis Vortrag eine Stärke der japanischen Forschung: Sie lässt ihren Wissenschaftlern genügend Freiraum, auch abgelegeneren Ideen nachzugehen, für die eine sinnvolle Anwendung nicht ohne weiteres zu erkennen ist. Es wäre schön, wenn sich Deutschland und Europa bei ihrer Forschungspolitik von solcher Offenheit für "verrückte" Ansätze stärker inspirieren ließen, statt vorrangig auf möglichst rasche Umsetzung von Forschungsergebnissen in kommerzielle Produkte zu setzen. Damit sollten wir uns lieber mehr Zeit lassen – das zeigt das abschreckende Beispiel des unpersönlichen, unterkühlten Roboterhotels, welches die Automatisierungsdividende noch nicht einmal als erkennbaren Preisvorteil an die unwillkommenen Kunden weitergibt. (axv)