Ein kleiner Roboter vertritt kranke Kinder in der Schule

Der Telepräsenzroboter "AV1" ermöglicht es schwer kranken Kindern, am Leben teilzunehmen.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Das kleine weiße Gerät erinnert eher an eine Kreuzung aus Standmixer und Küchenwaage als an eine Biene. Trotzdem ist der Name "Bee", den die Britin Jade Gadd ihrem Telepräsenzroboter gegeben hat, ziemlich treffend. Denn ihr Helfer summt fleißig durch das nordenglische Durham, wenn die 17-Jährige aufgrund ihrer Erbkrankheit das Haus nicht verlassen kann. Das Ehlers-Danlos-Syndrom, an dem Jade leidet, führt dazu, dass ihre Gelenke leicht auskugeln und sie vorübergehend Seh-, Hör- oder Sprachvermögen verliert. Freunde nehmen dann für sie den nur einen Kilogramm schweren Roboter mit in die Schule oder ins Café. Jades Eltern begleitet Bee zu Arztterminen, wenn das Mädchen selbst nicht teilnehmen kann.

Bee verleiht ihr vor Ort Augen und Ohren. Die Schülerin kann sich nicht nur per Lautsprecher an den Gesprächen beteiligen. Sie kann auch alles, was die Kamera des Roboters sieht und was sein Mikrofon aufnimmt, über WLAN oder 4G-Mobilfunk auf ihrem Tablet streamen. Dadurch kann Jade wieder mit dem Unterricht Schritt halten und an ihr Leben vor dem Ausbruch der Krankheit anknüpfen.

"Wir haben kranke Kinder gefragt, was sie sich wünschen. Sie wollten kein neues Werkzeug wie ein Tablet, sondern etwas, das sie in der Schule und auch anschließend vertritt", sagt Karen Dolva, die Informatik und Interaktionsdesign studiert hat und an der Entwicklung des Telepräsenzroboters mit dem technischen Namen AV1 beteiligt war. "So etwas gab es für Kinder jedoch nicht", sagt die 26-jährige Norwegerin. Also machte sie sich daran, solch eine Vertretung zu erschaffen. "Klar gibt es Facetime und Skype. Aber damit kann man nicht das ganze Klassenzimmer sehen und alles hören", sagt Dolva.

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Im Oktober 2015 gründete die Norwegerin gemeinsam mit Marius Aabel und Matias Doyle das Start-up "No Isolation". Der Name ist bewusst gewählt, schließlich soll der AV1 die Kinder aus der durch die Krankheit verursachten Isolation herausholen. Darunter litt auch Jade, als ihr der Roboter noch nicht zu Diensten war. "Als ich zum ersten Mal krank wurde, waren die Schmerzen furchtbar. Aber die Isolation war viel schlimmer und traumatischer. Es fühlte sich an, als verschwände ich aus der Welt", sagt das Mädchen. Sie begann, zusätzlich an Angstzuständen und einer Depression zu leiden.

Dann hörten ihre Eltern von dem Roboter. Sein Kopf lässt sich über eine App komplett im Kreis drehen. Wollen die Kinder sich in der Klasse zu Wort melden, lassen sie die Oberseite des Kopfes blau blinken. Fühlen sie sich unwohl und wollen nur zuhören, leuchtet das blaue Licht dauerhaft. Bei den Gesprächen mit den Kindern hatte sich auch schnell herauskristallisiert, dass der Roboter keinen Bildschirm haben sollte. "Die Kinder zu Hause wollen nicht, dass man sie krank und blass sieht, noch dazu während sie vielleicht im Bett liegen", sagt Dolva.

No Isolation hat sogar einen Flüstermodus eingebaut, damit sich die Kinder mit nahe sitzenden Kameraden leise unterhalten können. Darüber hinaus lassen sich weitere Hilfsprogramme in die Software einbinden. Wenn Jade durch einen Krankheitsschub nicht sprechen kann, benutzt sie eine per Blickerfassung gesteuerte Sprachsoftware. "Mit Bee unterwegs zu sein, fühlt sich wirklich an, als sei sie bei mir", erzählt ihre Mutter Roz. Ihre Tochter hatte vor allem Angst aufgrund der Krankheit, später nicht Physik studieren zu können. Dank Bee habe sie diese Möglichkeit jetzt, "was für uns alle unglaublich ist".

Inzwischen ist der kleine Helfer in allen europäischen Ländern erhältlich, mehr als 200 sind bereits im Einsatz. Schulen oder andere Organisationen können den AV1 für 2.600 Euro kaufen, dazu kommen monatlich 110 Euro für unbegrenztes Datenvolumen und die Versicherung. Privatpersonen können den Roboter nur mieten, die Kurzzeitmiete für sechs Monate beträgt monatlich 290 Euro, die Langzeitmiete 1.960 Euro pro Jahr. Das Unternehmen verhandelt derzeit mit Krankenkassen, ob sie die Kosten ganz oder teilweise übernehmen würden. (bsc)