RISpace: Der Verkehr im All wird dichter – und es gibt keine Regeln

Immer mehr Satelliten sollen in den erdnahen Orbit gebracht werden – rentabel und sicher. Dort befindet sich aber schon viel Schrott und Verkehrsregeln gibt es auch nicht.

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Konferenz RISpace: Der Verkehr im All wird dichter – und es gibt keine Regeln

(Bild: ESA)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
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Wer in den Weltraum will, kommt an der Raketengleichung nicht vorbei. Diese von Konstantin Ziolkowski 1903 erstmals formulierte Gesetzmäßigkeit zeigt unerbittlich, warum es immer noch einen fünfstelligen Euro-Betrag kostet, um ein Kilogramm Nutzlast in die Erdumlaufbahn zu befördern: Denn dieses eine Kilo benötigt ein Vielfaches an Startmasse, größtenteils Treibstoff, um auf die nötige Geschwindigkeit beschleunigt zu werden. Am zweiten Tag der Reinventing Space Conference (RISpace) in Glasgow beschäftigten sich daher mehrere Vorträge mit Technologien und Konzepten, Raumfahrt trotzdem kostengünstiger und wirtschaftlich attraktiver zu machen.

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Am Tag zuvor war bereits viel über die Tendenz zu kleineren und leichteren Satelliten gesprochen worden, die neue Geschäftsmodelle ermöglicht. So läuft bei der British Interplanetary Society seit knapp zwei Jahren eine Studie zur Machbarkeit einer von Großbritannien aus startenden Trägerrakete für Nanosatelliten.

Bei der Präsentation der vorläufigen Ergebnisse sagte Studienleiter Robin Brand jetzt, dass der Start einer 100 kg schweren Plattform auf eine polare oder sonnensynchrone Umlaufbahn mit einer dreistufigen Rakete von Nordschottland aus wirtschaftlich lohnend sein könnte. Im Jahr 2017 würden voraussichtlich 180 bis 260 Nano- oder Mikrosatelliten in den Orbit gebracht, für die kommenden Jahre sei mit einem Wachstum von mindestens 8 bis 10 Prozent jährlich zu rechnen. Wenn davon 60 Satelliten mit 6 Raketenstarts pro Jahr von Schottland aus ins All starten würden, könnte ein privater Investor auf 10 Prozent Gewinn hoffen – allerdings erst nach 10 Jahren. Die Entwicklungskosten für das Gesamtsystem veranschlagte Brand auf 28 bis 51 Millionen britische Pfund.

Aber die Konkurrenz schläft nicht. So präsentiert im Ausstellungsbereich der Konferenz die Firma Skyrora ihre ehrgeizigen Pläne, bis 2020/21 eine Trägerrakete für den erdnahen Orbit fertigzustellen. Das britisch-ukrainische Unternehmen will ebenfalls von Schottland aus starten.

Alexander Serkin stellte die Pläne des neu gegründeten öffentlich-privaten Unternehmens GK Launch Services vor, das zunächst die Trägerrakete Sojus-2 vermarkten will, aber auch über eine Kommerzialisierung der Dnepr LV nachdenkt. Gestartet wird von den russischen Weltraumbahnhöfen in Plesetsk, Vostochny und Baikonur. Ziel sei zunächst vorrangig der erdnahe Orbit, so Serkin. Bei den für 2019 bis 2021 bereits vereinbarten Starts sei noch Platz für kleine Satelliten zu günstigen Preisen frei, versprach er.

Zur Kostensenkung tragen auch die Zulieferer der Raketenbauer bei. So stellte Dirk Lehmann von der Firma Ruag deren Produktreihe FlexLine vor, die verschiedene kleine Trägerraketen mit den nötigen strukturellen Komponenten versorgen will. Weltweit würden derzeit 75 solcher Trägersysteme für Nutzlasten von 5 bis 700 kg entwickelt, so Lehmann. Diesen unterschiedlichen Bedürfnissen könne sich FlexLine mit ihrem modularen Ansatz gut anpassen.

Mit dem Transport in den Orbit ist es allerdings nicht immer getan. Gerade wenn es um Konstellationen mehrerer Satelliten geht, sind häufig noch weitere Manöver nötig. Für diese Bedürfnisse bietet die Firma Moog Inc. modulare Antriebsadapter an, die Orbital Maneuvering Vehicles. Sie zielten mit dieser Produktfamilie vornehmlich auf Satelliten in der Gewichtsklasse bis 500 kg, sagte Christopher Loghry.

Und dann kommen die Teile ja auch irgendwann wieder zurück. Die größeren Komponenten zerbrechen beim Wiedereintritt in die Atmosphäre in der Regel in einer Höhe von 70 bis 84 Kilometern und stürzen dann unkontrolliert zum Boden. Für die Analyse dieses komplexen Prozesses ist die Open-Source-Software FOSTRAD entwickelt worden, die Alessandro Falchi (University of Strathclyde) vorstellte. In der Diskussion musste er allerdings einräumen, dass es an empirischen Daten zur Überprüfung der Gültigkeit dieser Simulationen noch mangele.

Demise Observation Capsule

(Bild: Gomspace)

Ein Projekt, von dem Sarah Lammens (Science & Technology B.V.) berichtete, könnte dem abhelfen: die Demise Observation Capsule (DOC). Dabei handelt es sich um ein weniger als 10 kg schweres, 35 Zentimeter durchmessendes Gerät, das mit der Oberstufe verbunden ist. Wenn diese wieder in die Erdatmosphäre eintritt, löst sich die Kapsel, um die Oberstufe zu beobachten. Gerade während der kritischen Phase ist wegen des entstehenden Plasmas kein Funkkontakt möglich. DOC operiert daher komplett autonom und übermittelt die gesammelten Daten hinterher an einen Relaissatelliten. Der erste Flug ist für 2018 auf einer Vega-Rakete geplant.

Wenn immer mehr Satelliten im erdnahen Orbit herumflitzen, gibt es eigentlich Verkehrsregeln, an denen sie sich orientieren können? Nein, die gibt es nicht, sagte Kai-Uwe Schrogl, Präsident des International Institute of Space Law. Das sei ein "Megathema" für das kommende Jahrzehnt. Es gebe zwar den Outer Space Treaty (OST), der gerade 50 Jahre alt geworden sei, doch der formuliere nur Prinzipien, keine Verhaltensregeln. Die müssten in einem Zusammenspiel aus Top-down- und Bottom-up-Ansätzen erarbeitet werden, abgeleitet zum einen aus den im OST und anderen Vereinbarungen formulierten Prinzipien, zum anderen aufbauend auf Verfahrensweisen, die sich im Lauf der Raumfahrtgeschichte bereits etabliert und bewährt haben.

Das könne noch 15 bis 20 Jahre dauern, sagte Schrogl. Beim Umgang mit Weltraummüll fehle es bei den Entscheidungsträgern noch an einem Gefühl der Dringlichkeit, doch das werde mit den unvermeidlich sich ereignenden Unfällen im Orbit kommen. Auch der globale Wandel, die Entwicklung der Informationsgesellschaft und wachsende militärische Bedrohungen seien Faktoren, die zum Handeln drängten.

Als eine besondere Herausforderung nannte Schrogl die nachlassende Bedeutung des Westens und den zunehmenden Einfluss der BRICS-Staaten. "Sie mögen das noch nicht so wahrnehmen", sagte er. "Aber es kommt auf uns zu." Und damit kämen andere Ideen von Regulierung: Warum, argumentieren diese Länder, sollen wir den Weltraum aufräumen, den die westlichen Länder verschmutzt haben? Schrogl warnte: "Auf diese Diskussion sind wir noch nicht vorbereitet." (kbe)