Grüner Wohnen

Baubiologie einmal anders: Was wäre, wenn man Wohnhäuser im Gartencenter kaufen könnte – als Samen, die sich dann zu einem Haus oder anderen architektonischen Strukturen auswachsen? Eine Fantasie.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Meine Wohnung hat mitbekommen, dass ich aus dem Büro schlechte Laune mitgebracht habe. Nun versucht sie mich aufzuheitern. Während ich durch die Zimmer gehe, bleibt der Fußboden immer genau unter mir eine ruhige Fläche, während er ein Stück entfernt rund um mich herum sanfte Wellen schlägt wie ein kleiner See und elegant alle Möbel ausbalanciert. An der Wand verfolgt mich ein Farbmuster in Pastelltönen, asymmetrisch geschwungen wie in den Sechzigerjahren. Die Wohnung kennt meine Vorlieben und meinen Geschmack.

Durch ein Fenster sehe ich auf eine der Wohnanpflanzungen gegenüber. Sie wird von jungen Leuten bewohnt, die immer wieder mal vergessen, ihren Lebensraum zu gießen, der deshalb schon ganz braun ist. Ich bin gereizt und überlege, einen Beschwerdebrief an die Hausverwaltung zu schreiben, aber meine Wohnung bemerkt die neuerliche Stimmungstrübung und schaltet das Fenster, das wie die anderen mit Privacy Glass ausgestattet ist, in den Milchglas-Modus, um mich von dem störenden Anblick abzulenken.

Die sensorisch feinfühligen, bewohnbaren Bio-Strukturen versuchen ununterbrochen, sich den Bedürfnissen und Wünschen der Bewohner anzupassen; umgekehrt sorgen die menschlichen Nutznießer dafür, dass ihr lebendes Habitat gedeiht – eine Symbiose. Welke Teile der städtischen Wohnbepflanzung weisen auf problematische Bewohner oder Milieus hin. Die Wohnpflanzen konkurrierender Saatgutproduzenten agieren auf unterschiedliche, patentrechtlich oder in der Biowohnbaugesetzgebung geregelte Weise.

Es gibt günstige Apartmentpflanzen, an denen bei Sonnenschein ein Balkon erblüht und teure Sorten, bei denen sich der Balkon auch einen ganzen Sommerabend hindurch hält, ehe er wieder welkt. Manches grüne Haus reagiert nur auf ein paar schlichte Standardstimmungen seiner Bewohner, ist dafür aber im Mietpreis moderat. Luxus-Hausgewächse sind verständnisvoll und hilfreich wie ein englischer Butler, gesundheitsfördernd wie ein guter Therapeut und regeln Nachbarschaftsprobleme, die früher oft zu Unfrieden geführt haben, durch selbständige organische Prozesse. Auf Lärm aus einer Nebenwohnung reagiert gutes biologische Baumaterial durch rasches Dämmungswachstum der betroffenen Wände.

Es waren auch die zunehmenden Anforderungen an Dämmstoffe gewesen, die zu einer Entwicklung weg von synthetischen und hin zu nachhaltigen biologischen Baumaterialien geführt hatten. Während erst Hanf, Holzfaser oder Filz zum Einsatz kamen, änderte sich die Situation mit der Erfindung der ersten lebenden Dämmpflanzen grundlegend. Nun löste sich der Begriff der Immobilie, der festen, unveränderlichen Behausung, in etwas Neues, vital Bewegliches auf. Mehr und mehr Baustoffe wurden biologisch, vor allem: lebendig, wachsend und flexibel.

Gentechnologie und Computertechnik hatten sich bereits angenähert, nun entstanden in den Labors Pflanzen mit künstlicher Intelligenz und sensorischer Sensibilität zur Feinerkennung der Bewohnerbedürfnisse. Vor- und zugleich Nachteil der Entwicklung: So wie soziale Netze umso besser funktionieren, je mehr persönliche Information man preisgibt, was manchen aus Gründen des Datenschutzes stört, desto besser entfaltet das Leben in einer Wohnpflanze erst seinen tiefgehenden, neuartigen Komfort, wenn man bereit ist, eine Symbiose mit dem Objekt einzugehen.

Meiner Wohnung ist es inzwischen gelungen, mich in eine erfreulichere Verfassung zu versetzen. Teile von ihr sind essbar und ich schneide mir aus einem Türrahmen, an dem ich in den letzten Tagen Geschmack gefunden habe, ein Pflanzenfilet für's Abendessen. Zugleich justiere ich den Düngerkreislauf so, dass die abgeerntete Stelle bereits nach kurzer Zeit wieder nachgewachsen ist. Müll wird in dieser naturnahen Art von Architektur nicht mehr weggebracht, sondern einfach an die Wohnung verfüttert, die daraus selbständig Nähr- und Kraftstoffe gewinnt. Das außerordentliche Wohlempfinden, das Wohnpflanzen zu erzeugen imstande sind, zieht auch zuvor unbekannte soziale Phänomene nach sich.

So ist ein Fall bekannt, in dem ein Ehepaar sich hat scheiden lassen, weil der eine Partner sich in die jugendlich grünende Wohnung verliebt hatte und der andere eifersüchtig wurde. Mir könnte sowas nicht passieren, denn wie die meisten Menschen habe ich gelernt, wie man seine Wohnung im Zaum hält – indem ich ihr zum Beispiel ein wenig schlechte Laune zum Spielen mitbringe. (bsc)