Licht ins Denken bringen

Eine neue Technik für Hirnscans soll ohne klobige Geräte auskommen. Ein Helm könnte reichen, um Menschen in den Kopf zu schauen.

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Von
  • Christian Honey

Hirnscans nerven. In der Röhre ist es eng, und der Schädel wird zwischen Schaumpolstern eingeklemmt. Nun aber kündigt die US-Firma Openwater eine neue Technologie an, die dem ein Ende bereiten könnte: Die überziehbare Scanner-Kleidung soll für deutlich mehr Komfort sorgen. Aber nicht nur das. Die mit LC-Displays überzogene Kleidung soll auch eine der Magnetresonanztomografie (MRT) bei Weitem überlegene räumliche Auflösung erzielen. Wie sie aber im Detail aufgebaut sein wird, ist nicht bekannt. Bisher hat das Unternehmen aus der Nähe von San Francisco sich dazu nicht geäußert. Trotzdem hat die Meldung viel Aufsehen erregt. Wie viel ist also dran am tragbaren Ersatz für Hirnscanner?

Klassische Geräte nutzen Magnetfelder und Radiowellen, um im Hirngewebe ein Signal zu erzeugen, das dann über die Aktivität der Nervenzellen informiert. Die Auflösung bei der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) hängt wesentlich von der Stärke des Magnetfelds ab. Erzeugt wird es in Spulen, und sie machen das Gerät klobig. Openwater will das Gehirn stattdessen mit Licht im Nah-Infrarot-Bereich (NIR) durchleuchten. Zwar würde dieses NIR-Licht normalerweise zu stark gestreut, als dass man daraus ein brauchbares Signal filtern könnte. Openwater aber behauptet, eine Lösung für das Problem gefunden zu haben.

TR 12/2017

Technology Review 12/2017

(Bild: 

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Der Text stammt aus der Dezember-Ausgabe von Technology Review (ab 9.11. im Handel und im heise shop erhältlich). Weitere Artikel des Hefts:

"Wir fangen mit unseren Sensoren das gesamte Licht aus allen Richtungen auf und erzeugen dann ein Mo-dell von dessen Struktur", sagt Mary Lou Jepsen, CEO von Openwater. "Dieses Modell können wir dann nutzen, um Infrarotlicht mit kleinen LC-Bildschirmen so in den Körper zu senden, dass er gewissermaßen durchsichtig für das NIR-Licht wird." So überwinde der Ansatz auch die Limits der fMRT. Jepsen, ehemalige Leiterin der Display-Abteilung bei Google X und Oculus, behauptet, dadurch schon heute räumliche Auflösungen zu erreichen, die bei einem Mikrometer liegen, also rund 100 Millionen Mal höher als bei den derzeit besten fMRT. Dort lässt sich mit den stärksten Spulen ein Drittel Kubikmillimeter erreichen.

Sollte Jepsens Ansatz funktionieren, wäre das ein Quantensprung für die Hirnforschung. Openwater setzt dabei auf eine durchaus bekannte Technologie. Auf NIR-Signalen beruht etwa die sogenannte Pulsoximetrie, also die Messung des Sauerstoffgehalts im Blut durch einen kleinen Clip am Finger. Auch in der Hirnforschung wird die funktionelle Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS) seit rund 20 Jahren genutzt, um die Hirnaktivität bildlich darzustellen.

Ein Pionier dieser Technologie ist Arno Villringer, Direktor der Klinik für Kognitive Neurologie am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften: "Mittlerweile hat sich die funktionelle Nahinfrarotspektroskopie einen Platz unter den Verfahren ergattert, mit denen die Hirnaktivität dargestellt werden kann", sagt er. Drei Anwendungen hätten sich herauskristallisiert: Neben der Forschung mit Kleinkindern und Frühgeborenen stelle die mobile Bildgebung der Hirnaktivität, die sich in einem MRT-Scanner nicht gut realisieren lasse, ein zweites Einsatzgebiet dar.

Ein dritter Nutzen sei die Verwendung als Hirn-Computer-Interface in Kombination mit einem Elektroenzephalogramm (EEG). Besonders vielversprechend aber sei die Methode bei hirngesteuerter virtueller Realität. Träger einer fNIRS-EEG-Kappe können dabei Objekte mit Gedankenkraft bewegen, die sie in einem 3D-Headset sehen. "Die Bedingungen, unter denen die Hirnaktivitäten aufgenommen werden, sind dabei viel natürlicher als in einem MRT", sagt Villringer.

Der Nachteil ist freilich, dass "die räumliche Auflösung viel geringer ist als beim fMRT". Villringer ist skeptisch, ob Openwater dieses Problem wirklich lösen kann. Zwar betont Jepsen, dass ihr Ansatz sich vom gängigem fNIRS darin unterscheide, dass es keine Absorptionsspektren heranziehe, sondern sogenannte Phasenkontraste. Sie beruhen darauf, dass sauerstoffreiches Blut einen anderen Brechungsindex besitzt als sauerstoffarmes. "Damit wurde schon viel experimentiert", meint Villringer. "Aber schon winzige Bewegungen zerstören das Signal."

Selbst wenn die Technologie von Openwater halten sollte, was Jepsen verspricht. Sie wird an einem Problem kranken, das das fMRT von jeher plagt: die geringe zeitliche Auflösung. Welche Regionen aktiv sind, registriert die Messung erst Sekunden nach dem eigentlichen Gedanken. Und zwar, weil beide Technologien die Hirnaktivität aus der Sauerstoffsättigung des Blutes ermitteln. Fährt ein Bereich seine Aktivität hoch, verbraucht er mehr Energie und steigert dafür die Sauerstoffzufuhr. Das dauert aber einige Sekunden. Die Prozesse dagegen, mit denen die Nervenzellen kommunizieren, benötigen nur wenige Millisekunden. Deshalb bleibt jeder auf Blutsauerstoff basierenden Methode verborgen, was sich im Mikrokosmos des Gehirns abspielt. (bsc)