China: Forschung in XXL

Superbeschleuniger, Riesenteleskop, Weltraumbasis – China steckt Milliarden in die Forschung. So will es den Westen an Innovationskraft überflügeln.

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Von
  • Michael Radunski

Chen Wei hat klare Vorstellungen. Schon zu Beginn seiner Karriere sagte sich der Molekulargenetiker: "Ich will die besten Forschungsbedingungen." Und so kehrte der Chinese seiner Heimat den Rücken und zog nach Deutschland. "Es war die richtige Entscheidung", sagt Chen. Schnell stieg der junge Wissenschaftler auf, forschte an der Freien Universität Berlin, am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, am Max-Delbrück-Centrum und hatte zudem eine Professur an der Charité inne. Doch Anfang 2016 kehrte Chen zurück nach China und wechselte an die Southern University of Science and Technology (SUSTech) im südchinesischen Shenzhen. Der Grund: "Ich will die besten Forschungsbedingungen. Daran hat sich nichts geändert."

Chens Entscheidung für die SUSTech deckt sich mit der Analyse des Fachmagazins Nature. Darin wird die Universität als "Rising Star" des Jahres 2016 ausgezeichnet, als ein aufgehender Stern am Forschungshimmel. Sie gilt als Vorzeigeprojekt auf dem Weg zu Chinas Ziel, wissenschaftliche Supermacht zu werden.

Lesen Sie dazu auch unsere "Statistik der Woche: Universitäten mit dem besten Ruf" (Klick auf das Bild): Die Infografik zeigt, wie Chinas Hochschulen aufholen.

Lange Zeit fehlte dazu das nötige Geld, das wissenschaftliche Niveau stagnierte auf eher niedrigem Level. Die besten Köpfe Chinas gingen ins Ausland – und kamen nicht zurück. Doch nach Jahren des Wirtschaftsbooms ändert sich das jetzt. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gab China im Jahr 2000 gerade einmal knapp 41 Milliarden US-Dollar für die Forschung aus. 2015 waren es bereits 377 Milliarden, Tendenz weiter steigend. Die OECD geht davon aus, dass China schon in den kommenden Jahren den Vereinigten Staaten (derzeit 462 Milliarden Dollar) die Spitzenposition abjagen wird. "Was sich in China in den vergangenen fünf Jahren getan hat, ist atemberaubend", sagt Chen Wei. "China ist nicht mehr das Land, das ich einst verlassen habe." Großprojekte sind das sichtbarste Zeichen des Aufstiegs.

TR 9/2017

Weltraumstation und Reise zum Mars

Während in Amerika, Russland und Europa die Budgets der Weltraumprogramme gekürzt werden, verstärkt China die Exploration des Universums. Nachdem das Land 2003 den ersten Taikonauten ins All gebracht hatte, baute man mit Tiangong-1 und Tiangong-2 (was übersetzt "Himmelspalast" bedeutet) zwei eigene Raumstationen. Auf der Tiangong-2 können drei Taikonauten bis zu 20 Tage an Bord bleiben. Da der Betrieb der ISS nur bis zum Jahr 2024 gesichert scheint, könnte China bald die einzige Nation mit einer permanenten Raumstation im All sein.

Von dort will es in wenigen Jahren eine bemannte Mission zum Mars schicken. Auch deshalb hat die Europäische Raumfahrtagentur Esa erste Gespräche mit den Chinesen aufgenommen. Das Ziel ist zwar nicht der Mars, aber immerhin eine gemeinsame Mondbasis. "Die Chinesen haben bereits ein sehr ambitioniertes Mondprogramm aufgesetzt", sagt Esa-Sprecher Pal Hvistendahl. Und die Europäer hoffen, mit von der Partie zu sein.

500-Meter-Teleskop

In der südwestchinesischen Provinz Guizhou steht das größte Radioteleskop der Welt. Das kreisrunde Observatorium mit einem Durchmesser von mehr als 500 Metern hat rund 1,2 Milliarden Yuan (150 Millionen Euro) gekostet und trägt den sperrigen Namen Five-hundred-meter Aperture Spherical Telescope – kurz FAST. Mit ihm will China Strahlung aus den Tiefen des Weltalls aufzeichnen, um mehr über das Universum zu erfahren.

Chinas FAST: Vom Dorf zum Radioteleskop (10 Bilder)

Dem Riesenteleskop musste ein kleines Dorf weichen.
(Bild: FAST)

Weltgrößter Teilchenbeschleuniger

Das Land plant zudem den weltweit größten Protonen-Ringbeschleuniger. Noch steht dieser im Europäischen Kernforschungszentrum Cern bei Genf und heißt Large Hadron Collider – LHC. Die dortigen Forscher erhielten 2013 den Physik-Nobelpreis für den experimentellen Nachweis des in der Theorie bereits lange vorausgesagten Higgs-Boson-Teilchens. Chinas Wissenschaftler haben jedoch angekündigt, bis zum Jahr 2028 einen 52 Kilometer langen Beschleunigerring zu bauen – fast doppelt so lang wie die 26,7 Kilometer in Genf.

Ab 2038 könnte die chinesische "Higgs-Fabrik" einsatzbereit sein. Je länger der Beschleunigungsweg ist, desto höher liegt die Energie beim Zusammenstoß der Teilchen. Damit erhoffen sich die Physiker neue Erkenntnisse über die Beschaffenheit der Materie und die Entstehung des Universums. Ein chinesischer Super-LHC würde also recht sicher sowohl Spitzenforscher als auch Forschungsgelder von Genf nach China locken.

Diese Liste der wissenschaftlichen Superlative ließe sich fortsetzen mit Projekten in der Tiefseeforschung, der Robotertechnologie oder in der Gentechnik. Dennoch ist Chinas Siegeszug keine ausgemachte Sache. Wie Chen Wei ist auch Li Xinzheng aus Deutschland zurück nach China gekommen. Der Physiker hat an der Freien Universität Berlin promoviert und am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft geforscht. Nun betreibt er an der renommierten Peking-Universität Grundlagenforschung.

Auch er ist von der wissenschaftlichen Entwicklung in seinem Land beeindruckt, sieht aber noch etliche Probleme. "Das fängt am Anfang an: Unsere Schüler werden nicht zu kritischem Denken erzogen", sagt Li. "Selbst meine Studenten an der Peking-Universität glauben mir alles. Aber sie müssen mich hinterfragen. Nur so kommt man in der Forschung weiter."

Zudem gebe es bislang nur einige Spitzenzentren, wie die Peking-Universität, die Qinghua-Universität in Peking, die Fudan in Shanghai oder die SUSTech in Shenzhen. "Wir müssen uns aber viel breiter aufstellen, um international konkurrenzfähig zu sein", fordert Li.

Die Folge ist eine nach wie vor schlechte Qualität in der Forschung. So groß die Masse an wissenschaftlichen Publikationen ist, so gering ist ihr Einfluss. Chinas Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie zufolge produzieren chinesische Forscher jedes Jahr mehr als eine Million wissenschaftliche Aufsätze – mehr als jedes andere Land der Welt. Rund ein Drittel davon wird in internationalen Magazinen publiziert. Berücksichtigt man jedoch, wie oft andere Kollegen diese Texte zitieren, liegt China einem Bericht der Zeitung China Daily zufolge unterhalb des internationalen Durchschnitts. Dies sei auch Ausdruck der minderen Qualität.

Jost Wübbeke vom Merics-Institut in Berlin warnt jedoch davor, Chinas Wissenschaftler zu unterschätzen: "Noch immer wird China in vielen Industrieländern des Westens nicht als Innovator wahrgenommen. Es herrscht die Vorstellung, dass Kreativität durch staatliche Intervention verhindert werde und die Technologielücke in naher Zukunft nicht geschlossen werden könne." Doch diese Leute werden sich schon bald wundern, prophezeit der Wissenschaftsexperte. (bsc)