Agiles Arbeiten bei der Allianz

Die Trends der Digitalisierung gehen auch an dem Traditionsunternehmen Allianz nicht vorbei: Voice Interfaces werden im Alltag zur bevorzugten Benutzeroberfläche, neue Tools machen den Weg frei für virtuelle Teams, Platform as a Service ermöglicht Continuous Deployment und Continuous Scaling.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen
Agiles Arbeiten bei der Allianz
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Andreas Nolte
Inhaltsverzeichnis

Bei der Allianz wurde erkannt, dass anders gearbeitet werden muss als bisher. Die Kundenerwartungen sind andere als früher, die technischen Möglichkeiten ebenso. Das Versicherungsunternehmen hat diese Themen in seiner strategischen Ausrichtung aufgegriffen und in einer globalen sogenannten Renewal Agenda angegangen. Die Kundenorientierung ist dabei das übergeordnete Thema – und die Digitalisierung bietet ganz neue Möglichkeiten, sich an den Bedürfnissen der Kunden auszurichten.

Noch ist die Allianz größtenteils ein Unternehmen, das sein Wasserfallmodell liebt, in Schubladen und Zuständigkeiten denkt und neben einigen Hierarchieebenen auch eine Reihe von Lenkungsausschüssen besitzt. Das Zielbild ist jedoch ein Unternehmen, in dem die Mitarbeiter agile Vorgehensweisen beherrschen, über den gesamten Projektlebenszyklus hinweg Verantwortung übernehmen und in fachübergreifenden Teams zusammenarbeiten, die sich selbst steuern und auch im selben Raum sitzen. Wie kann das gelingen, bei rund 29.000 Mitarbeitern und über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen? Die Antwort heißt "Digital Factory @ Allianz Deutschland".

2015 war der Autor auf der Suche nach "elastischen" Infrastrukturangeboten. Für eine Firma der Größenordnung einer Allianz gab es mehrere Optionen. Die Allianz war auf der Suche nach einem strategischen Transformationspartner, der zum einen Technologieprovider ist, zum anderen aber auch Trainingspartner. Eine mögliche Option war Cloud Foundry, eine auf offenen Standards beruhende Platform as a Service, die ursprünglich auf die Firma Pivotal zurückgeht. Was in den Pivotal Labs weltweit passierte, klang spannend – auch für die Allianz.

Jedes Jahr im Januar besuchen einige Repräsentanten der Allianz Deutschland, auch auf Vorstandsebene, die Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas. 2016 haben sie das damit verbunden, sich die Pivotal Labs vor Ort im Silicon Valley anzuschauen.

Die Atmosphäre bei der Allianz in Unterföhring war damals geprägt durch lange Flure mit zahllosen Türen. Gearbeitet wurde hinter verschlossenen Türen. Pivotal hingegen setzt auf ein Großraumbüro. Auf gemeinsame Office-Stand-ups am Morgen. Das Team sitzt gemeinsam in einem Teil des Großraumbüros, arbeitet gemeinsam, nutzt Pair Programming.

Ihnen war klar, dass sie in diese Richtung gehen wollen. Teams, die gemeinsam mit agilen Methoden Software entwickeln, und dann ging alles schnell. Die Allianz brauchte geeignete Räume, um die neue Art des Zusammenarbeitens zu ermöglichen, also Großraum- statt Einzelbüros. Im März eröffnete man das erste eigene "Lab" – das erste Agile Training Center (ATC) – in München in einem Gebäude der Allianz.

Damals gab es nur ein Team im ATC, das sich mit Online-Applikationen für die verschiedenen Vertriebswege beschäftigte. Heute sind dort zwölf Teams mit etwa 150 Mitarbeitern tätig. Außerdem wurde im Juli 2016 ein zweites ATC in Stuttgart eröffnet. Dort arbeiten derzeit rund 90 Mitarbeiter an sechs Vorhaben.

Die ATCs sind zwei Bestandteile der Digital Factory. Ein dritter sind die Kaiser X Labs. Das "X" steht für eXperience Design, das "Kaiser" bezieht sich auf die Adresse Kaiserstraße 28 in München. Die Kaiser X Labs sind seit 1. Januar 2016 eine hundertprozentige Tochter der Allianz Deutschland AG. Die Agentur befasst sich mit dem Thema Customer Experience und Service-Innovation. Das heißt: Es geht dabei darum, die Schnittstellen der Allianz zum Kunden sowie die Produkte und Services hinsichtlich Nutzbarkeit und -erfahrung zu prüfen und zu verbessern. Um dem gesteigerten Bedarf nachzukommen, wurde im September 2017 eine weitere Dependance in Stuttgart mit zunächst acht Mitarbeitern eröffnet.

Einige Kollegen arbeiten außerdem im vierten Bestandteil der Digital Factory, im Digital Factory Steering. Es koordiniert Vorschläge für Vorhaben, die Mitarbeiter in den ATCs als Minimum Viable Products (MVP) umsetzen. Dabei geht es von der Ideenentwicklung über das Scoping und die Umsetzung bis hin zum weiteren Vorgehen mit einem MVP nach dessen erster Entwicklungsphase.

In der ersten Jahreshälfte 2016 galt es, die Training Center zu gründen und dort agile Arbeitsweisen zu etablieren. Zum einen ging es um Logistik, zum anderen um die Suche nach der – für die Allianz richtigen – Art, wie man künftig arbeiten will. Die involvierten Parteien orientieren sich dafür an sechs Hebeln: Customer Experience, Lean Startup/MVP, Finanzierungsrunden, Co-Location, agile Entwicklung und elastische Infrastruktur.

  • Customer Experience: Es geht darum, konkrete Kundenprobleme durch einfach und intuitiv bedienbare Produkte oder Services zu lösen. Kunden sollen Erfahrungen mit der Allianz machen, die zu ihrer Erwartungshaltung passen. Deswegen werden sie in den kompletten Prozess einbezogen. Am Anfang, um den Bedarf zu verstehen und erste Ideen zu testen. In der Umsetzung werden sie direkt um Rückmeldung gebeten, diese fließt dann in die weiteren Entwicklungsschritte ein.
  • Lean Startup: In einer schlanken Organisationsstruktur werden zunächst Minimum Viable Products entwickelt, also minimal funktionsfähige Produkte. Innerhalb von etwa 100 Tagen wird ein Prototyp erstellt, den Kunden bereits während dieser Zeit testen können. Es handelt sich dabei nicht um reine "Dummys", sondern um lauffähige Software. Wenn sie den Kunden zusagt, wird das MVP nach und nach weiterentwickelt. Der Fokus liegt auf dem Kundenmehrwert.
  • Finanzierungsrunden: Es gibt keine langfristige Budgetfreigabe, sondern jeweils nach Kunden-Feedback Etappen von 100 Tagen. In den ATCs werden agile Teams gebildet, die wie kleine Unternehmen arbeiten. In jedem Team gibt es einen Product Owner, der die Gesamtverantwortung für sein jeweiliges Vorhaben trägt. Umsetzungen werden auf Basis erster Ergebnisse – also nach Kunden- und technischen Tests – in regelmäßigen Abständen weiterfinanziert, modifiziert oder eingestampft. Auch hinsichtlich der Finanzierung wird hier also eher wie in einem Start-up gearbeitet und nicht wie sonst im Großunternehmen.
  • Co-Location: Gearbeitet wird ressortübergreifend, in crossfunktionalen Teams. Alle, die zum Erfolg des Produkts beitragen können (z. B. Betriebsorganisation, IT, Marktmanagement, Facheinheiten wie Sparten oder Vertrieb), sitzen in einem Raum. Sie bilden das agile Team. Co-Location soll für schlanke Abstimmungsprozesse sorgen sowie Geschwindigkeit und Qualität bringen. Co-Location heißt auch: Es wird umgezogen. Die Teams ziehen in einen Raum und arbeiten dort zusammen an ihrem Thema – störungsfrei. Es gibt keine Telefone, keine anderen Projekte, keine Ablenkung von außen. Sie nutzen innerhalb des ATC Kollaboration-Tools (Chats) und können E-Mails empfangen. Doch die Teams im ATC konzentrieren sich zu mindestens 80 Prozent auf ihr Projekt.
  • Agile Methoden: Die Weiterbildung der Mitarbeiter ist der Allianz wichtig. In den ATCs stellt sie den Mitarbeitern erfahrene Coaches zum Wissensaufbau in Sachen agiler Methoden zur Seite. Hier unterstützt Pivotal. Deren Mitarbeiter fungieren im ATC München als Coaches. Gearbeitet wird nach erprobten agilen Methoden. Bei der Software-Entwicklung wird auf zeitgemäße Methoden wie Pair Programming und Scrum gesetzt.
  • Elastic Infrastructure: Die Allianz nutzt zeitgemäße technische Möglichkeiten. Das ermöglicht das Test-Driven Development, also vorab definierte Software-Tests, die dann automatisiert und in Echtzeit laufen. Außerdem befähigt die technische Infrastruktur dazu, Software zu skalieren und Anpassungen unmittelbar einzuspielen. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist, dass die Anforderungen an Datenschutz und Informationssicherheit in Deutschland erfüllt werden.

2016 haben sich in der Digital Factory rund 240 Mitarbeiter mit 18 Vorhaben beschäftigt. Mehr als 50 Tests mit Nutzergruppen wurden durchgeführt. Beispiele für Projekte, die realisiert wurden, sind etwa die Kraftfahrzeug-Online-Schadenmeldung oder der Riester-Zulagen-Prozess.

Die Digital Factory der Allianz Deutschland arbeitet in enger Verzahnung mit der Global Digital Factory (GDF) der Allianz Group zusammen. Zwischen beiden Factories findet ein offener und regelmäßiger fachlicher Austausch statt, zum Beispiel zur Methodik und zu einheitlichen Standards (User Testing, KPI-Messung etc.). Mitarbeiter der Allianz Deutschland wirken derzeit an mehreren Themen der GDF mit.

Der Themenkomplex "Login & Authentification" beispielsweise beschäftigt viele Ländergesellschaften der Allianz. Daher wurde das Thema in der Global Digital Factory aufgegriffen. Hier geht es darum, einen kundenfreundlichen, aber dennoch sicheren Login-Prozess zu gestalten. In den einzelnen Ländern gibt es allerdings unterschiedliche gesetzliche Regelungen. In der GDF arbeiten auch Mitarbeiter aus dem ATC Stuttgart mit. Die Ergebnisse werden sie an die deutschen Anforderungen anpassen.

Ein weiteres Beispiel für die Zusammenarbeit ist die Digital Asset Library. Dabei handelt es sich um Konzepte, Prototypen, aber auch um Codes bereits am Markt vorhandener Software. Diese digitale Bibliothek wird als länderübergreifende Wissensbasis für alle Mitglieder der AZ-Gruppe, die mit Digitalisierung zu tun haben, dienen. Es werden digitale Anwendungen zur Verfügung gestellt, die Kollegen aus anderen Ländern ebenfalls verwenden können.