Kriminelle fälschen Chips im großen Stil und mit viel Aufwand

Teure Halbleiter-Chips werden durch minderwertige Versionen ausgetauscht, die entweder gar nicht funktionieren oder die an sie gestellten Anforderungen nicht erfüllen. Unter Umständen werden sie sogar in der Luft- und Raumfahrt eingesetzt.

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Kriminelle fälschen Chips im großen Stil

(Bild: Magnascan, CC0)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Florian Schäffer
Inhaltsverzeichnis

Das Problem ist nicht neu: Die US-Weltraumorganisation NASA kennt es schon seit einigen Jahren und kämpft nicht nur gegen gefälschte Halbleiter, sondern auch gefälschte Materialien und Baugruppen. Fällt so etwas in den hauseigenen Probeläufen nicht auf, kann es sein, dass die Technik im Weltraum landet und dort weiterhin funktioniert - oder eben auch nicht.

Beispiele für gefälschte Typenangaben und andere Abweichungen.

(Bild: NASA)

Es löst Erstaunen aus, wie geschickt und raffiniert die Fälscher vorgehen – und das in offenbar ganz großem Stil. Es betrifft die Industrie aber und auch Privatleute können betroffen sein. Die NASA hat dazu mehrere Dokumente veröffentlicht, die Einblicke liefern, die erschreckend und spannend sind:

Der Grund, wieso sich das ganze lohnt, ist natürlich der zu erzielende Gewinn. Wird beispielsweise ein Chip vom Typ AD585JP (Sample and Hold Amplifier) für zivile Standardanwendungen (Arbeitsbereich 0 °C bis +70 °C) umetikettiert, so dass er laut Aufdruck für Militär und Luftfahrt geeignet ist (-55 °C bis +125 °C), steigt sein Preis von knapp 25,- US-Dollar auf etwas über $ 103,- – ein Plus von mehr als 300%.

Für militärische Anwendungen, Luft- und Raumfahrt oder den Automobilbereich gibt es spezielle Varianten, die besondere Eigenschaften erfüllen. Beispielsweise einen erweiterten Temperaturbereich, mehr Erschütterungen/Beschleunigung oder genauer arbeiten. Der Hersteller prüft dazu die serienmäßig gefertigten Chips aufwändig und sortiert einzelne Chips dann aus. Dieser Aufwand und die gebotene Garantie führt zu einem höheren Stückpreis.

Auf dem Chip wird dies durch eine andere Seriennummer oder Typenbezeichnung kenntlich gemacht. Durch Ändern der Typangaben auf dem Chip kann ein Fälscher vorgaukeln, der Chip bietet die erweiterten Eigenschaften. Bei so einer Fälschung funktioniert der Chip erst einmal wie gewünscht und es kann sogar sein, dass er die extremen Temperaturen überlebt, so dass die Fälschung nicht auffällt. Der Hersteller garantiert es aber nicht und sein Leben will wohl auch keiner darauf setzen.

Allein der Fall des US Chiphändlers VisionTech Components zeigt, wie groß der verursachte Schaden ist. Das Unternehmen hat in fünf Jahren für 16 Millionen US-Dollar 59.000 gefälschte Bauteile absichtlich an die US Navy und 1.100 andere Kunden für militärische Zwecke verkauft, die sich nun an Bord amerikanischer Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge, Raketen und Raketenabwehrsysteme befinden können.

Die Fälschung der Produktkennzeichnung kann mit unterschiedlich hohem Aufwand betrieben werden. Im einfachsten Fall wird über die bestehende Markierung einfach eine neue gedruckt oder (mit Laser) graviert. Die alte Markierung kann vorher mit Schmirgelpapier abgetragen werden oder die Oberfläche wird neu lackiert. Plumpe Fälschungen lassen sich mit einem Wischtest mit Aceton aufdecken. Hi-Tech-Fälschungen sind laut NASA so gut, dass selbst einweichen in Aceton nichts bringt. Die Oberfläche sieht aus wie beim Original.

ICM7170AIBG im 24-poligen SOIC-Gehäuse werden bei Alibaba & Co. angeboten

(Bild: Alibaba, Shenzhen BoXuanYi Technology Co.,Ltd. )

Noch weiter gehen die Fälscher, wenn sie den Chip-Die aus dem Gehäuse eines ICs ausbauen. Zuerst wird der Kunststoff aufgelöst, dann werden die Bondingdrähte abgeschnitten und anschließend wird der Die in ein neues Chipgehäuse von einem anderen Typ (beispielsweise SMD statt DIL) eingesetzt und neu verdrahtet. Aus einem Centartikel wie der Echtzeituhr (RTC) vom Typ ISM7170IPG im PDIP-Gehäuse wird so ein ISM7170AIBG im SOIC-Gehäuse mit extrem niedrigem Stromverbrauch im Standby, der für 38,- US-Dollar verkauft wurde.

Acht Arbeiter schafften es, davon 2.600 Stück pro Tag zu fertigen. Online finden sich noch zahlreiche Angebote für den ICM7170AIBG (zu deren Echtheit wir nichts sagen können, aber was vielleicht die Frage aus dem NASA-Dokument beantwortet, wo die 400.000 produzierten Fälschungen abgeblieben sind). Andere Händler oder Hersteller verkaufen ihre Chips zu hohen Einzelpreisen (etwa 51,- US-Dollar) unter der gleichen Produktbezeichnung wie die von Intersil, aber mit eigenem Aufdruck und Datenblatt, das dem von Intersil auffällig ähnlich sieht.

Um noch mehr Gewinn zu erzielen, kann auf die korrekte Funktionsfähigkeit der ICs ganz verzichtet werden. Den NASA-Dokumenten ist zu entnehmen, dass 2006 allein in Hong Kong 5.500 Familienbetriebe Elektronikschrott verarbeiteten. ICs werden von Leiterplatten gelötet und dann nach Bauform, Pinzahl usw. sortiert weiterverkauft.

Die Chips können anschließend aufgearbeitet und mit anderen Typenangaben neu beschriftet werden. Im Röntgenverfahren oder bei Entfernen des Kunststoffes erkennt man, ob sie vom Original abweichen. In Schaltungen eingebaut werden sie nicht wie gewünscht funktionieren oder können sogar Schäden verursachen, wenn sie beispielsweise Kurzschlüsse erzeugen.

Auf der Verpackung steht Philips als Hersteller und auf dem Chip-Die sieht man die Markierung von Intel.

(Bild: NASA )

Der Rat, man bräuchte doch nur beim Hersteller zu kaufen, ist keine umfassende Lösung. Zum einen liefern diese nicht direkt an die Industrie oder gar an Endverbraucher oder wenn, dann oft nur in großen Stückzahlen. Sobald ein Zwischenhändler eingeschaltet ist, kann auch dieser auf einen Betrug reingefallen und selbst Opfer eines dubiosen Anbieters sein.

Bei namhaften und vom Hersteller autorisierten Händlern ist dies unwahrscheinlich, aber auch hier bleibt noch das Problem der Stückzahl. Wer nur ein paar Chips braucht, wird oft nicht bedient. Dann bleibt nur der Weg zu einer anderen Quelle. Letztendlich zählt auch der Preis. Staatliche Organisationen wie die NASA müssen für ihre Ausgaben Rechenschaft ablegen. Wie in der Privatwirtschaft werden deshalb Angebote eingeholt und der billigste oder beste Lieferant erhält den Zuschlag. Wer nur auf den Preis achtet, kann leicht zum Opfer werden.

Problematisch wird es auch, wenn ein Chip vom Hersteller abgekündigt wurde, also nicht mehr weiter hergestellt wird. Wird für Reparaturen ein Ersatz benötigt, kann nicht immer auf ein Nachfolgemodell ausgewichen werden. In hochspezialisierten Anwendungen können schon kleinste Abweichungen beim internen Schaltungsdesign oder nur der Fertigungstechnik ungewollte Nebeneffekte auslösen. Angesichts der langen Planungs-, Entwicklungs- und Laufzeiten bei Weltraumtechnik und im Flugzeugbau, kann es zu Beschaffungsproblemen kommen. In solchen Fällen bleibt einem nichts anderes übrig, als sich nach alternativen Lieferanten umzusehen, die sich auf Restposten etc. spezialisiert haben.

Die Dokumente der NASA zeigen, wie Fälschungen erkannt werden können: Äußerlich entweder anhand des Aufdrucks oder beschädigter Beinchen. Der Blick ins Innere mit Röntgengerät oder durch Entfernen des Gehäuses bleibt Profis vorbehalten. Sich wirklich vor Fälschungen schützen kann man sich nicht, sobald man keine Möglichkeit hat, direkt beim Hersteller zu kaufen. Bei abgekündigten Bauteilen, sehr billigen Angeboten oder kleinen Stückzahlen muss man sich in Acht nehmen.

Nach dem Kauf sollten die Chips unbedingt auf Ihre Funktion überprüft werden. Wenn bestimmte Kriterien an die Einsatzbedingungen gestellt werden, dann sind die Chips auch hinsichtlich dieser ausgiebig zu testen. Hat man keinen Treuhänder beim Kauf eingeschaltet und sitzt der Lieferant im Ausland wird man mit Regressansprüchen kaum Erfolg haben, so dass man im Notfall bei schlechter Versorgungslage in den sauren Apfel beißen und die Katze im Sack kaufen muss.

Auch wenn die Berichte und Erkenntnisse nicht neu sind, so bieten sie doch einen interessanten Einblick in eine Materie, die sich der breiten Öffentlichkeit eher entzieht, die für Bastler aber zeitlos sein dürfte. (fls)