Drei gegen den Rest der Welt

Private Unternehmen wollen dem staatlichen Fusionsforschungsreaktor Iter den Rang ablaufen. Im Jahr 2017 haben sie mit relativ wenig Ressourcen bemerkenswerte Fortschritte gemacht.

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Von
  • Jan Oliver Löfken

Dieser Artikel-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das SPECIAL-Heft ist ab 7.12.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Ein einziges Gramm Wasserstoff liefert bei der Fusion seiner Kerne so viel Energie wie zwölf Tonnen Steinkohle – und zwar ganz ohne Kohlendioxid-Emissionen. Seit Jahrzehnten wird deshalb mit viel staatlichem Geld an der Nutzung dieser potenziell unerschöpflichen und klimafreundlichen Energiequelle geforscht. Im vergangenen Jahr aber zeigte sich, dass drei private Unternehmen mit weitaus weniger Ressourcen beim Rennen um den Fusionsstrom durchaus mithalten können: Während bei dem mit 20 Milliarden Euro finanzierten, multinationalen Iter-Projekt seit nunmehr zehn Jahren geplant und gebaut wird, meldeten sie 2017 bemerkenswerte Fortschritte. Die Start-ups könnten das Ziel Fusionsstrom vielleicht sogar Jahre früher erreichen als das staatliche Großprojekt.

Weil Kernfusion ein so spektakuläres wie kompliziertes Thema ist, zieht es immer wieder auch Glücksritter und windige Geschäftsleute an, die mit übertriebenen Erfolgsmeldungen Kapital lockermachen wollen. Für TAE Technologies in Kalifornien, General Fusion in Kanada und Tokamak Energy in England aber scheint das nicht zu gelten: „In allen drei Unternehmen arbeiten gewiefte Leute“, sagt Karl Lackner, der als emeritierter Fusionsforscher der ersten Stunde maßgeblich am Iter-Konzept beteiligt war. „Und ihre Ansätze sind im Vergleich zu einigen anderen mit Abstand die seriösesten.“

Grundsätzlich geht es bei der Kernfusion darum, den gleichen Prozess in Gang zu bringen, der seit Milliarden von Jahren in der Sonne und jedem leuchtenden Stern im All abläuft. Dazu muss ein Plasma aus Atomkernen in einem starken Magnetfeld fixiert und auf 150 Millionen Grad Celsius aufgeheizt werden. Ansätze dafür wurden schon vor vierzig oder fünfzig Jahren ersonnen, aber rasch wieder verworfen, weil die geeigneten Technologien fehlten. Nun aber, mit neuen Materialien, empfindlicheren Sensoren und vor allem der geballten Rechen- und Regelungsleistung heutiger Computer, kann sich der Griff in die Ablage der Plasmaphysik wieder lohnen.

Das Team um Michl Binderbauer etwa, seit April 2017 Präsident von TAE, entwickelte gemeinsam mit Experten von Google eigens einen neuen Algorithmus für seine Experimente, der verblüffende Wege zur besseren Stabilisierung und Kontrolle des überaus empfindlichen Plasmas eröffnete. Mitte des Jahres gelang es seinem Team, in dem 20 Meter langen und fünf Meter hohen Testreaktor Norman ein solches Plasma zehn Millisekunden lang stabil zu halten. Für die Erzeugung von Fusionsstrom ist das noch viel zu kurz. „Störungen im Plasma treten aber innerhalb wenigen Hundert Mikrosekunden auf“, sagt Binderbauer. Also reichen die wenigen Millisekunden für Analyse und Optimierung der Plasmaparameter völlig aus. Hunderte Sensoren für Druck, Temperatur, Plasmaform und Magnetfelder erleichtern dabei die stetige Datensammlung.

„Nun können wir rasch die Bedingungen bestimmen, die für Fusionsreaktionen nötig sind“, sagt Binderbauer. Das ist umso wichtiger, weil sich sein Ansatz fundamental von dem bei Iter unterscheidet. So will TAE statt der zwei schweren Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium das Isotop Bor-11 mit jeweils einem Proton fusionieren.

Der Schlüssel dazu liegt in einem möglichst dichten und langlebigen Plasma. Zu dessen Erzeugung dienen gebündelte Strahlen aus Protonen, also den Atomkernen von Wasserstoff: Sie werden exakt justiert in das Zentrum der tunnelförmigen Struktur des Reaktors geschossen, durch ihre Kollision soll dann die immense Hitze entstehen, die für eine Kernfusion mit dem getrennt injizierten Bor nötig ist. Einzigartig an diesem Ansatz ist, dass sich das heiße Plasma mit einem quasi selbst erzeugten Magnetfeld stabilisiert. Ein von großen Magneten aufgebautes externes Magnetfeld, das wie bei Iter das Plasma geladener Teilchen sicher einschließen soll, erübrigt sich dadurch.

(sma)