Deutlich mehr individuelle Überwachungen durch Verfassungsschutz und BND

Das Bundesamt für Verfassungsschutz, der BND und der MAD haben im vorigen Jahr 261 "Individualmaßnahmen" mit Eingriffen ins Fernmeldegeheimnis durchgeführt, das sind 68 mehr als 2015. Der BND-Datenstaubsauger läuft derweil oft leer.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 41 Kommentare lesen
Deutlich mehr individuelle Überwachungen durch Verfassungsschutz und BND

(Bild: blickpixel)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die sogenannte G10-Kommission des Bundestags hat den deutschen Geheimdiensten 2016 deutlich mehr individuelle Überwachungsmaßnahmen gestattet, mit denen sie auf Basis des G10-Gesetzes ins Fernmeldegeheimnis eingreifen konnten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) durften im vorigen Jahr 261 solcher Aktionen durchführen, 26 Prozent mehr als 2015. Dies geht aus dem jetzt veröffentlichten, aktuellen Jahresbericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Bundestags zu G10-Maßnahmen hervor.

Die meisten Anordnungen gehen demnach auf das Konto der Staatsschützer. Auf das BfV entfielen 100 Einzelmaßnahmen im ersten und 124 im zweiten Halbjahr 2016. Die Tätigkeit des BND betrafen im vorigen Jahr insgesamt 33 Anordnungen. Der MAD führte parallel vier einschlägige Aktionen durch.

Laut dem Bericht bezogen sich beim Verfassungsschutz 139 Verfahren auf den Bereich Islamismus, 72 auf die Umtriebe anderer Geheimdienste und sieben auf Ausländerextremismus. Im Bereich Linksextremismus hat es keinen Fall und im Rechtsextremismus sechs Verfahren gegeben. Die BND-Maßnahmen beschäftigten sich ausschließlich mit dem Islamismus. Beim MAD hielten sich islamistischer Terrorismus und Nachrichtendienste jeweils mit 2 Verfahren die Waage.

Die Anzahl der Hauptbetroffenen belief sich 2016 auf insgesamt 817, während es im Vorjahr 658 waren. "Nebenher" erfassten die Agenten die Telekommunikation 634 Dritter (nach 437 im Jahr 2015). Die Geheimdienste überwachten im vorigen Jahr 3747 Telekommunikationsanschlüsse, 2015 waren es 2838. Nachträglich informierten die Behörden 2016 nur 139 Personen, dass sie abgehört oder anderweitig ausspioniert wurden. 2015 erhielten noch 400 Betroffene eine entsprechende Mitteilung. Bei 33 Personen stellte die G10-Kommission einstimmig fest, dass sie endgültig nicht informiert werden, hier lag die Zahl 2015 mit 188 deutlich höher. Betroffene können nur auf Basis einer entsprechenden Mitteilung gegen eine einschlägige Anordnung klagen.

13 Bürger beschwerten sich im vorigen Jahr bei der G10-Kommission, da sie einen ungerechtfertigen Eingriff in das in Artikel 10 Grundgesetz geschützte Post- und Telekommunikationsgeheimnis durch deutsche Geheimdienste befürchteten. Die Kontrolleure konnten aber in allen Fällen Entwarnung geben.

Das Volumen der "strategischen Fernmeldeaufklärung" durfte der BND mit dem Plazet der G10-Kommission nach einem deutlichen Rückgang 2015 im Zuge der Selektorenaffäre wieder erhöhen. Im Gefahrenbereich "Internationaler Terrorismus" genehmigten die Prüfer 2016 im ersten Halbjahr 858 und im zweiten 1449 Suchbegriffe, mit denen der Auslandsgeheimdienst die internationale Telekommunikation durchrastern durfte. 2015 waren es 858 Selektoren in der ersten und 904 in der zweiten Jahreshälfte. Im Filter des umstrittenen "Datenstaubsaugers" der Behörde blieben dabei aber nur 34 Verkehre hängen, die sie als "nachrichtendienstlich relevant" einstufte. 2015 schrieb der BND dies trotz der geringeren Zahl der Suchbegriffe noch 41 Vorgängen zu.

Im Bereich "Proliferation und konventionelle Rüstung" ordneten die Kontrolleure im vorigen Jahr 179 zwischen Januar und Juni und 200 Suchbegriffe zwischen Juli und Dezember, 2015 lagen die Zahlen mit 271 beziehungsweise 239 Selektoren deutlich höher. Für eine "Relevanzprüfung" qualifizierten sich 19 Verkehre im Vergleich zu nur elf 2015. Neu dazugekommen ist nach einer Gesetzesreform der Gefahrensektor "Cyber", wo der BND 2016 im ersten und zweiten Halbjahr mit je 1144 Suchbegriffen operieren konnte. Herausgekommen ist dabei nichts: Der auswertende Fachbereich stufte keine Telekommunikationsverkehre als für ihn relevant ein. Nicht mehr aufgeschlüsselt wird, wie viele Telefonate, Mails, SMS oder Verbindungs- und Standortdaten sich zunächst für eine weitere Untersuchung qualifizierten.

Im Bereich der strategischen Maßnahmen, die viele Beobachter als Massenüberwachung einschätzen, unterrichtete die G10-Kommission gar keine Betroffenen. In einem Fall erfuhr das Gremium, dass Daten ohne eine gültige G10-Anordnung erfasst worden seien und das Versehen erst im Nachgang festgestellt worden sei. Den entsprechenden Datensatz habe der BND "nicht weiter bearbeitet". (mho)