KI in der Kanzlei

Viele Arbeiten von jungen Rechtsanwälten haben mit der Auswertung von massenhaft Dokumenten zu tun. Diese Aufgaben werden zunehmend von Software übernommen – Universitäten reagieren darauf.

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Von
  • Erin Winick

Aufwändige Recherchen, eingehende Beschäftigung mit Präzedenzfällen und detailliertes Entwickeln von Argumenten – seit hunderten Jahren arbeiten Rechtsanwälte im Grunde mit den gleichen Methoden. Aber sie sollten auf der Hut sein, denn bald könnte ihnen künstliche Intelligenz (KI) Konkurrenz machen.

Im Jahr 2016 gab es in den USA mehr als 1,3 Millionen zugelassene Rechtsanwälte und juristische Fachkräfte. Die Beratungsfirma McKinsey schätzt, dass 22 Prozent der Tätigkeiten von Anwälten und 35 Prozent der Aufgaben von Rechtshelfern automatisiert werden könnten. Das bedeutet, dass Menschen zwar nicht komplett überflüssig werden, dass aber größere Veränderungen bei Karrieren und Kanzleien nicht mehr lange auf sich warten lassen dürften. Zum Teil haben sie sogar schon begonnen.

„Wenn meine Kinder Jura studieren würden, wäre ich etwas beunruhigt“, sagt Todd Solomon, Partner in der Kanzlei McDermott Will & Emery in Chicago. „Es gibt für junge Anwälte weniger Gelegenheiten, Erfahrung zu sammeln, und das gilt schon heute ohne KI. Wenn man diese Entwicklung noch hinzunimmt, dürfte sie Vorteile bringen, an manchen Stellen aber auch wehtun.“

Bislang hatten auf KI basierende Werkzeuge zur Dokumenten-Recherche die größten Auswirkungen auf den juristischen Bereich. Wenn ein Maschinenlern-Algorithmus mit Hilfe von Millionen von bestehenden Dokumenten, Fallbeispielen und juristischen Anträgen trainiert wurde, kann er automatisch diejenigen Quellen kennzeichnen, die ein Anwalt für seinen Fall braucht – oft besser als ein Mensch. So gab JPMorgan in diesem Jahr bekannt, die Software Contract Intelligence einzusetzen, die innerhalb von Sekunden eine Menge an Dokumenten analysiert, für die Rechtshelfer 360.000 Stunden brauchen würden.

Solche Programme verändern die Art und Weise, wie juristische Recherchen vorgenommen werden. Früher mussten Menschen stapelweise staubige Fachliteratur durchgehen, um relevante Informationen zu finden. Diese Aufgabe übernahmen normalerweise juristische Fachhilfen, also wichtige Mitarbeiter, die keinen Abschluss in Rechtswissenschaften haben. Deren typische Aufgaben werden zunehmend von Maschinen erledigt. Also müssen sie Möglichkeiten finden, mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn sie keine aussterbende Spezies werden wollen.

Auch Juristen frisch von der Universität werden die Auswirkungen der Automation zu spüren bekommen. In ihrem ersten Jahr in einer Kanzlei müssen sie zur Ausbildung meist ebenfalls viel lästige Arbeit mit Dokumenten erledigen, und auch hier machen sich KI-basierte Produkte bemerkbar. CaseMine aus Indien bietet für seine Software zur Dokumenten-Analyse einen „virtuellen Assistenten“ namens CaseIQ. Das System analysiert juristische Anträge und schlägt Änderungen vor, die sie überzeugender machen sollen. Außerdem liefert es zusätzliche Dokumente zur Unterstützung der Argumentation.

Andere Tech-Startups im Rechtsbereich machen ebenfalls Fortschritte mit KI. Kira Systems, Anbieter einer Plattform zur Vertragsüberprüfung, hat vier der zehn wichtigsten US-Kanzleien sowie mehrere internationale Unternehmen als Kunden. Zapproved, ein Start-up mit einer Cloud-basierten Lösung zur Dokumenten-Analyse, hat 96 Millionen Dollar Kapital von Investoren bekommen. Insgesamt war 2017 ein starkes Jahr für die junge Branche: Laut einem Bericht von CB Insights sammelte sie in den ersten drei Quartalen 43 Prozent mehr Geld ein als im Vorjahr.

Juristische Fakultäten haben diesen Trend erkannt und beginnen, sich anzupassen. Viele haben neue Studiengänge aufgelegt, in denen die nächste Generation von Juristen lernen soll, wie sie die neuen Plattformen nutzen und sinnvoll mit ihren Entwicklern kommunizieren können. An der Harvard University zum Beispiel gibt es Kurse zu juristischen Innovationen und Programmieren für Rechtsanwälte. Arman Moeini, seit kurzem Junganwalt in einer Kanzlei, hatte an der University of Florida Gelegenheit, Software für Dokumenten-Analyse auszuprobieren. „Sie ist zwar nicht perfekt, aber ziemlich effektiv, und sie verringert den Zeitaufwand für das Durchgehen von Unterlagen erheblich“, sagt er.

Noch allerdings gibt es Hindernisse für eine weiter reichende Nutzung von KI in juristischen Berufen. Mit am wichtigsten ist der Mangel an verfügbaren Trainingsdaten für die Systeme. Zu erkennen ist das zum Beispiel bei dem Unternehmen Legal Robot: Um seine Software zu trainieren, musste ein Entwickler-Team eine eigene Datenbank mit Geschäftsbedingungen von großen Webseiten aufbauen. Aber das reichte noch nicht aus – zusätzlich musste sich Legal Robot Zugriff auf die privaten Datenbanken von großen Kanzleien verschaffen. Insgesamt wurden so mehr als 5 Millionen Verträge zusammengetragen.

(sma)