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Was war. Was wird. Durchschreitende Straftäter blicken auf.

Ha, Weihnachten! Da werden selbst die Straftäter ordentlich, die Polizisten vor Ort überflüssig und die Überwacher mildtätig. Ach, wirklich? Hal Faber preist lieber Verfassungshüter, Bürgerrechtler und "Durchstecher" und gedenkt der Opfer.

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Ordnung, Fraktal, Unordnung

Nee, so geht das nicht. Wo bleibt denn da die Ordnung. Obwohl. Unordentlich sieht einfach besser aus, auch wenn eine höhere Ordnung dahinterstecken mag.

(Bild: Eleonore Schmitz, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Sicherheitsbahnhof

*** Das Kreuz des Südens war einstmals das wichtigste Sternzeichen für die Seefahrer, die in fremde Welten aufbrachen und die südlichen Meere befuhren. Vier funkelnde Sterne bildeten das uralte Wikingersymbol des Kreuzes, der vier Himmelsrichtungen mit dem Weltenpol in der Mitte. Heute ist das Kreuz des Südens das Zeichen für den Süden schlechthin und findet sich in den Flaggen von Brasilien und Australien. Verglichen mit dem erhabenen Kreuz des Südens ist das Südkreuz nur ein schlichter und ziemlich hässlicher Umsteigebahnhof in Berlin. Aber er schimmert hell in den Plänen der Politik und der deutschen Bahn, denn er ist hochoffiziell ein "Sicherheitsbahnhof". Hier probierte die Bahn ihren neuen Beratungstresen aus, natürlich Sicherheitscounter genannt – und baute ihn nach wenigen Wochen wieder ab. Hier experimentieren Bundespolizei und Bundeskriminalamt mit "intelligenter Analysetechnik", besser bekannt als automatische Gesichtserkennung – und verlängern den Test um weitere sechs Monate, weil er so ungemein erfolgreich ist. 70 Prozent der rund 300 freiwilligen Testpersonen wurden zuverlässig im Gewimmel der Reisenden erkannt.

*** 70 Prozent, was bedeutet das, wenn wissenschaftlich wichtige Eckdaten wie die ausgewiesene False Positive Rate fehlen und nur davon die Rede ist, dass "in durchschnittlich weniger als 1% der positiv erkannten Fälle eine Person irrtümlich einem Datensatz in der Datenbank zugeordnet" wurden? "Dies bedeutet, dass in über 70% der Fälle, in denen beispielweise ein Straftäter den Erkennungsbereich der Kameras durchschreiten würde, dieser Straftäter durch das System als solcher erkannt werden würde und dann der Polizist vor Ort sofort entsprechende Maßnahmen einleiten könnte." Dieser lustige Satz in der offiziellen Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums zeigt die ganze Misere der technologischen Erwartungshaltung. Denn diese Straftäter, die da von den Kameras aufgenommen werden, koopieren anscheinend mit der Polizei und durchschreiten den Erkennungsbereich einfach so, ohne jede Verkleidung mit Bärten, Perücken und Zierbrillen. Gefährder lächeln drohend in die Kamera und die Profi-Banden der Taschendiebe rempeln und klauen, bis auch die letzte Mustererkennung "den Polizisten vor Ort" informiert hat. Das hoffnungslos verzerrte Weltbild der Überwacher sollte niemand stören, denn die Investitions-Milliarden in unser aller Sicherheit müssen einfach ausgegeben werden. Das gerade am "Polizist vor Ort" gespart wird, was es zu sparen gibt, muss ja nicht an die große Glocke, die unser Innenminister gerne klöppelt. Denn erst so entfaltet sich das ganze Konzept des "Sicherheitsbahnhofes": Hat der Straftäter ordnungsgemäß den Erfassungsbereich durchschritten, kann über das gesamte Netz der Überwachungskameras verfolgt werden, wohin der Schlingel fährt, beipielsweise.

*** Bekanntlich rückt Weihnachten als Fest der Liebe immer näher. In Berlin hat der Bundesnachrichtendienst seine traurigen Überwachungspalmen festlich geschmückt und wartet auf den Weihnachtsmann. In einem Nikolaus-Artikel hat BND-Präsident Bruno Kahl schon einmal erklärt, was er von den um Aufmerksamkeit konkurrierenden Medien hält: im Zweifelsfall gar nichts, denn Medien entscheiden "nach eigenem 'Gut-'dünken" und tun das auch noch mit einer "prätentiösen Geste". Dann arbeiten sie auch noch mit Menschen zusammen, die "'Durchstecher' oder sogenannte 'Whistleblower'" sind und berufen sich auf den Quellenschutz. Da muss doch was überwacht werden.

*** Genau diese praktizierte Überwachung unter anderem mit Hilfe von Telefon-Metadaten wurde kassiert, dank der Aktivitäten von Reporter ohne Grenzen, einer Truppe, in der jeder Journalist Mitglied sein sollte. Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist das Speichern von Telefon-Metadaten von Geheimnisträgern, wie es Journalisten sind, unzulässig und zwar auch dann, wenn die Daten weitgehend anonymisiert sind. Genau diese Argumentation dürfte für die Zukunft interessant sein, denn bei der Aufdeckung der VerAS-Datenbank im Zuge der Snowden-Enthüllungen wird es nicht bleiben. Wahrscheinlich kommt ein neues BND-Gesetz, das das Schnüffeln in den Meta-Daten wieder erlaubt: "Gesetzgebung schafft zumindest eine gewisse Transparenz. Ein Auslandsgeheimdienst, der auch Daten von Inländern erfasst, müsste schon gut begründen, wozu eine solche gewaltige Datenauswertung erforderlich ist. Und ein Gesetz könnte dann auch vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden."

*** Transparenz beim BND und Lichterglanz, soweit die Palmen wedeln: Es gibt ja auch dieses Positive, selbst in diesen trüben Tagen und selbst beim Nachrichtendienst. Im Jahre 2013 stellten die metadatenbegeisterten Auslandsschnüffler vier Kryptorätsel ins Internet. Am vergangenen Montag wurde das erste Rätsel geknackt, weil man der angewendeten Verschlüsselungsmethode der Spaltentransposition auf die Schliche kam.

*** Mit der hübsch benamsten Order Restoring Internet Freedom soll die US-Behörde FCC die Netzneutralität abgeschafft haben. Nun stellt die Behörde zwar Regeln auf, verfasst aber keine Gesetze. Damit arbeitet sie genau wie unsere Bundesnetzagentur, die auf Netzneutralität achtet. Insofern laufen die neuesten pathetischen Unabhängigkeitserklärungen des Cyberspace ins Leere. Jetzt kommt es darauf an, dass US-Senator Charles Schumer wie angekündigt das Verfahren des "Congressional Review Act" in Gang setzt, mit dem die FCC-Order angegriffen und dann durch ein Gesetz ersetzt werden kann. Das nächste Monopol hat noch einen langen Weg vor sich in diesen Vereinigten Staaten von Amerika.

*** Restoring Internet Freedom, das ist nicht das einzige, was wiederhergestellt werden müsste, auch die Freiheit der Sprache wäre ein geeignetes Feld, wenn Worte wie Transgender, Diversität und Fötus in öffentlichen Dokumenten über die Gesundheitsversorgung etwa beim Streit um die Zukunft von "Obamacare" vermieden werden sollen. Auch "evidenzbasierte Wissenschaft" ist verpönt in einem Land, das noch einmal zum Mond fliegen und dann den Mars ins Visier nehmen will.

Das Evangelium nach Kris: Es begab sich aber zur der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt upgedated oder geupdated würde. Und jedermann ging, dass er sich um Updates kümmere, ein jeder in seine Stadt zu seinen Eltern, Bekannten und Verwandten. Weihnachten naht, für jede Heise-Leserin und jeden Heise-Leser und alle Eichhörnchen zwischendrin ist es das Hochamt des technischen Supports von Latops, Tablets und Smartphones. Ihnen wünsche ich schon einmal stählerne Nerven und stille Nächte, denn beim nächsten WWWW wird es keiner lesen, weil verkaufsoffener Heiligabend für vergessene Kabel, Demi-Glace und dergleichen mehr ist.

Hier geht es jetzt um die Dinge, die nicht vergessen werden dürfen, denn es geht um Unrechtsdinge, die Menschen erdulden müssen. Menschen wie Mesale Tolu oder Denis Yücel und die vielen, vielen anderen, die dort Einsitzen, wo Presse- und Meinungsfreiheit bedroht sind oder nicht existent. In der anstehenden Woche veröffentlicht Reporter ohne Grenzen die Jahresbilanz der Pressefreiheit 2017 und sie ist düster.

Sicherheitsriss

Es gibt auch noch ein anderes Gedenken, das denen gerecht werden muss, die "Super-Pech" hatten, wie es der Hinterbliebene Petr Cizmar formuliert. Sie starben. Das Ende ist nicht gut und viele Fragen sind immer noch offen. In Erinnerung an Anna Bagratuni, Geory Bagratuni, Sebastian Berlin, Nada Cizmar, Dalia Elyakim, Christoph Herrlich, Klaus Jacob, Angelika Klösters, Dorit Krebs, Fabrizia Di Lorenzo, Lukasz Urban, Peter Völker. (jk)