Ärzte wollen auch per Videochat Diagnosen stellen

Noch sind Diagnosen per Videochat in Deutschland nicht erlaubt. Das wollen Ärzte ändern. Mediziner sehen in der Telemedizin auch eine Chance gegen die ärztlichen Versorgungslücken auf dem Land.

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Ärzte wollen auch per Videochat Diagnosen stellen

(Bild: pixabay, CC0)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Anne-Sophie Galli
  • dpa

So könnte die Hausarztpraxis der Zukunft aussehen: Patienten müssen nicht mehr im Wartezimmer sitzen, stattdessen stellt der Arzt per Videochat eine Diagnose und empfiehlt ein Medikament oder verordnet Bettruhe. Nur in schlimmeren oder komplizierten Fällen entscheidet der Doktor, dass der Patient in die Praxis kommen oder zu einem Spezialisten gehen soll.

In Deutschland ist das nicht erlaubt. Noch nicht, sagt Franz Bartmann, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer. Eine Expertengruppe der Kammer aus Ärzten und Juristen hat sich nach seinen Angaben dafür ausgesprochen, Diagnosen über den Bildschirm oder per Telefon künftig zumindest in Ausnahmefällen zu erlauben. Beim nächsten Deutschen Ärztetag im Mai 2018 in Erfurt wollen Ärztevertreter voraussichtlich offiziell darüber entscheiden. "Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dies auch beschlossen werden", sagt Bartmann.

Zurzeit dürfen Ärzte nur Folgebehandlungen per Videosprechstunde anbieten, wenn sie den Patienten bereits in ihrer Praxis behandelt haben. Sie können etwa schauen, ob eine Wunde gut heilt. "Die Änderungen im Bereich der Fernbehandlung sind wichtig, um Telemedizin in Deutschland zu stärken", sagt Bartmann. So könnten kompetente Diagnosen aus der Ferne etwa helfen, auf dem Land trotz Ärztemangels eine gute Gesundheitsversorgung sicherzustellen, sagt Gisbert Voigt vom Vorstand der niedersächsischen Ärztekammer.

In Pilotprojekten etwa in Nordrhein-Westfalen und in Berlin hatten Pfleger aus Altenheimen den Hausarzt per Videoschalte zu den Bewohnern geholt. "So haben Ärzte und Patienten seltener lange Anfahrtswege und Wartezeiten. Das ist auch in der Stadt praktisch", sagt Voigt. Auch Hausärzte zogen in Pilotversuchen schon per Videoschalte Spezialisten zurate.

Gesundheitsexperten der Verbraucherzentrale unterstützen den Vorstoß der Ärzte. "In Ländern wie der Schweiz und Großbritannien gehört Telemedizin bereits zur Regelversorgung", sagt Referentin Susanne Mauersberg. "Sie ist für bestimmte Medizinfelder gleich gut wie ein direkter Kontakt zwischen Arzt und Patient." Mauersberg glaubt: "Videosprechstunden werden in Zukunft ein ganz normaler Bestandteil der Versorgung sein." Für knapp jeden zweiten Deutschen wäre es kein Problem, mit einem Arzt am Bildschirm zu sprechen, fand die Bertelsmann Stiftung 2015 heraus. Bei anderen Befragungen war die Zustimmung der Patienten allerdings niedriger.

Einige Tausend Deutsche kommunizieren bereits online mit Ärzten im Ausland, etwa mit der Online-Praxis DrEd in Großbritannien. Sie füllen zunächst Fragebögen zu ihrem Zustand und zu ihren Lebensgewohnheiten aus, kommunizieren dann mit dem Arzt per Chat, Telefon oder Videokonferenz. Der Mediziner schickt ihr Rezept an eine Apotheke, die das Medikament nach Hause liefert. "Besonders Männer schätzen unseren diskreten, unkomplizierten Service, etwa bei Erektionsstörungen oder Haarausfall", sagt DrEd-Geschäftsführer David Meinertz. Die Kosten für die Online-Konsultation müssen Patienten selbst bezahlen. Nur einige private Kassen übernehmen sie.

Die Verbraucherschutzzentrale findet solche Angebote generell gut, sagt Susanne Mauersberg. Sie würde es auch unterstützen, wenn die gesetzlichen Krankenkassen solche Sprechstunden bezahlen und es Online-Praxen auch in Deutschland geben würde.

In Deutschland bieten erst einige Hundert der knapp 379.000 zugelassenen Ärzte Videosprechstunden an, wie es von den zertifizierten Anbietern von entsprechender Software heißt. Der Hauptgrund dafür liegt aus Sicht der Ärztekammern bei den Krankenkassen, die zu wenig für Videosprechstunden bezahlen würden. Für eine Software, die Mediziner sicher mit Patienten sprechen lässt, müssen diese 30 bis 70 Euro pro Monat bezahlen. Gleichzeitig dürfen sie höchstens 800 Euro pro Jahr abrechnen und auch nur für vergleichsweise günstige Folgebehandlungen.

Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Martina Wenker, meint außerdem: "Viele ältere Kollegen bezweifeln noch den Sinn von Telemedizin." Jüngere Ärzte seien hingegen offener für die Technik und dafür, dass sich damit ihr Berufsbild ändere. "Für viele Landärzte wie mich ist das Internet aber noch zu schlecht, um Videosprechstunden anzubieten", sagt Kinderarzt Voigt aus Melle in der Nähe von Osnabrück. Der Osnabrücker Hausarzt Micha Neubert ist da schon einen Schritt weiter: Er bietet seit Jahresanfang eine Online-Sprechstunde an. "Ich will meinen Patienten einen Service bieten, aber zurzeit mache ich damit noch Verluste." (hos)