Das Gel für den Mann

Im kommenden Frühjahr soll eine Großstudie zur Überprüfung der Wirksamkeit eines Hormon-Gels zur männlichen Verhütung beginnen. Funktionieren dürfte das Mittel, aber wird es auch akzeptiert?

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Von
  • Emily Mullin

Nach mehr als einem Jahrzehnt Arbeit sind staatliche Forscher in den USA jetzt bereit, eine ungewöhnliche Verhütungsmethode für Männer zu testen: ein lokal anzuwendendes Gel, das die Produktion von Spermien verhindern soll. Die klinische Studie soll im April 2018 beginnen und etwa vier Jahre dauern. Sie ist das bislang größte Projekt in den USA zum Test einer hormonellen Verhütung für Männer.

Derzeit haben Männer, die kein Kind zeugen wollen, nur die Auswahl zwischen Kondomen und einer Vasektomie. Die jüngste große Studie mit hormoneller Verhütung für Männer fand von 2008 bis 2012 in Europa statt; die Teilnehmer erhielten alle zwei Monate eine Hormon-Spritze. Durch die Injektionen wurde die Sperma-Produktion unterdrückt, und die Partnerinnen der Probanden wurden nicht schwanger. Aber die Männer litten unter Stimmungsschwankungen und anderen schweren Nebenwirkungen.

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Das neue Gel enthält zwei synthetische Hormone, Progestin und Testosteron. Progestin hält die Hoden davon ab, genügend Testosteron für eine normale Spermien-Produktion zu produzieren. Das Ersatz-Testosteron wird benötigt, um das durch Progestin verursachte Hormon-Ungleichgewicht zu beheben, löst aber keine Sperma-Produktion im Körper aus.

Mehr als 400 Paare werden an der Studie teilnehmen, die an mehreren Orten in den USA, Großbritannien, Italien, Schweden, Chile und Kenia durchgeführt wird. Die teilnehmenden Männer nehmen eine Pumpflasche mit dem Geld mit nach Hause und verreiben jeden Tag etwa einen halben Teelöffel davon auf ihren Oberarmen und Schultern. Das Gel trocknet innerhalb einer Minute.

„Es ist nicht sehr aufwendig. Man muss nur daran denken, das Mittel jeden Tag zu benutzen“, sagt Diana Blithe, Programmleiterin für Verhütungsmittelentwicklung am National Institute of Health and Human Development in den USA.

Das Gel kann die Sperma-Produktion ungefähr 72 Stunden lang hemmen. Wenn Männer eine Dosis vergessen, „gibt es also eine gewisse Toleranz“, sagt Régine Sitruk-Ware, Wissenschaftlerin beim Population Council, einer nicht-kommerziellen Organisation, die zu den Geldgebern für die Studie zählt.

Die Männer in der Studie sollen das Gel zunächst mindestens vier Monate lang nutzen, während ihre Partnerin ebenfalls eine Form der Verhütung für Frauen einsetzt. Forscher kontrollieren währenddessen die Sperma-Produktion. Laut Blithe muss sie auf weniger als eine Million pro Milliliter sinken, um effektiv eine Schwangerschaft zu verhindern. Wenn die Spermienzahl weit genug gesunken ist, können die Frauen die Verhütung einstellen. Anschließend soll das Gel für ein weiteres Jahr die einzige Verhütungsmethode der Paare sein.

In einer ersten Studie über sechs Monate hat sich die Methode bereits als wirksam erwiesen. Allerdings wurden dafür zwei unterschiedliche Gels eingesetzt, die an unterschiedlichen Stellen des Körpers aufgetragen werden mussten. Zusammen mit Forschern am Population Council hat das Team von Blithe deshalb an neuen Formeln für die Hormone gearbeitet, um sie in einem Gel zusammenzubringen. Nach ihren Angaben funktioniert es besser als Hormontabletten, weil im Labor hergestelltes Testosteron vom Körper rasch abgebaut wird. In Gel-Form wird es von der Haut absorbiert und bleibt so länger im Blutkreislauf.

Trotzdem bleibt eine wichtige Frage: Werden Männer das Gel auch benutzen?

In der Vergangenheit haben Pharmafirmen nicht viel Interesse an Verhütungsmitteln für Männer gezeigt. Klinische Studien dauern Jahre und sind enorm teuer, also sind sie ein riskantes Unterfangen, zumal es schon viele Verhütungsmittel für Frauen gibt.

Forscherinnen wie Sitruk-Ware glauben allerdings, dass sich die Ansichten dazu verändern. Männer, insbesondere jüngere, seien heutzutage offener für die Einsatz von Verhütungsmitteln. „Es geht hier um Geschlechtergleichheit“, sagt sie. „Männer wollen in der Lage sein, ihre eigene Fruchtbarkeit zu kontrollieren und nicht zu einer Vaterschaft gezwungen zu werden.“

Hinzu kommt, dass manche Frauen aus medizinischen Gründen keine hormonellen Verhütungsmittel nehmen können. In einer Partnerschaft wäre es nützlich für sie, wenn es eine andere Option gäbe.

Die Einstellung von Männer gegenüber Verhütung unterscheiden sich von Land zu Land. Laut einer weltweiten Studie aus dem Jahr 2010 käme jedoch für mindestens 25 Prozent aller Männer die Einnahme eines hormonellen Verhütungsmittels in Frage.

Das größte Problem könnte deshalb nicht in mangelnder Bereitschaft liegen, sondern in Vergesslichkeit. Bei einer kleineren Befragung 2011 in Großbritannien gaben 42 Prozent der Teilnehmer an, die Sorge zu haben, dass Männer ihr Verhütungsmittel vergessen könnten – bei den Frauen war der Anteil sogar höher. Dass die Einnahme jeden Tag zur selben Zeit vergessen wird, ist bei Frauen der wichtigste Grund dafür, dass oral eingenommene Verhütungsmittel ihren Zweck nicht erfüllen. Die typische Versagensrate bei diesen Methoden beträgt laut einer aktuellen Studie 7 Prozent, bei Kondomen sind es 13 Prozent.

„Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Gel effektiv sein wird, wenn Männer es jeden Tag auftragen und korrekt anwenden“, sagt Stephanie Page, Medizin-Professorin an der University of Washington und leitende Wissenschaftlerin bei der Studie.

Allerdings: Selbst wenn die Tests erfolgreich verlaufen, würde es laut Blithe noch einige Jahre dauern, bis das Gel öffentlich verfügbar ist.

(sma)