Wenn Laien Rechtsanwälte schlagen

Ein Forscher-Team hat gezeigt, dass große Gruppen von juristischen Laien Entscheidungen des Supreme Court der USA besser vorhersagen können als Fachleute. Die Weisheit der Masse scheint hier also zu funktionieren.

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Von
  • TR Online

FantasySCOTUS ist eine Fantasie-Liga im Internet, bei der es darum geht, möglichst präzise die Entscheidungen des Supreme Court der USA vorherzusagen. Die Teilnehmer werden wie bei jeder Liga in einer Punktetabelle geführt, und die besten von ihnen können Preise wie den „Goldenen Hammer“ und sogar 10.000 Dollar in bar gewinnen.

Seit 2011 haben dort etwa 7000 Spieler mehr als 600.000 Prognosen über das Ergebnis von 400 Entscheidungen des Supreme Court abgegeben. Eine besondere Qualifikation ist nicht erforderlich, und die Teilnahme ist kostenlos; Preise können allerdings nur US-Bürger bekommen. Mitspieler können nach Belieben kommen und gehen und müssen sich nicht an allen Vorhersagen beteiligen.

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Dadurch entsteht eine interessante Mischung. Sozialwissenschaftler beschäftigen sich seit langem mit der „Weisheit der Masse“, also dem Phänomen, dass große Gruppen, deren Mitglieder unabhängig voneinander agieren, zu überraschend präzisen Ergebnissen kommen – manchmal sind sie sogar besser als die intelligentesten Einzelpersonen darin.

Aus der Forschung ist bekannt, dass die Masse in manchen Fällen sehr treffsicher ist und in anderen nicht besser als der Zufall, manchmal sogar schlechter. Wie gut also gelingt es ihr, Entscheidungen des Supreme Court vorherzusagen?

Um das herauszufinden, hat ein Team um Daniel Martin Katz am Chicago Kent College of Law im US-Bundesstaat Illinois Daten von FantasySCOTUS analysiert. Wie sich dabei zeigte, sind die vielen Teilnehmer der Liga unter verschiedensten Bedingungen ziemlich gut darin, Ergebnisse vorherzusagen.

Die Methode dafür war relativ einfach. Die Forscher entwickelten zunächst das folgende Szenario:

Stellen Sie sich vor, die folgende Geschichte sei real. Im Oktober 2011 wurde ein Preis in Höhe von einer Million Dollar dafür ausgelobt, mit Hilfe von Crowdsourcing-Daten Entscheidungen des Supreme Court in den USA vorherzusagen. Tausende von Teams aus Unternehmen und Universitäten stellten sich dieser Herausforderung, und jedes davon wählte leicht unterschiedliche, aber nachvollziehbare Methoden dafür.

Als Nächstes stellten Katz und Kollegen die Frage, wie die Teams konkret vorgehen würden. Manche könnten der Weisheit der gesamten Masse folgen, andere einer Auswahl von einflussreichen Personen, wieder andere die einzelnen Prognosen nach der Treffsicherheit der Urheber in der Vergangenheit gewichten und so weiter. Mit der Zeit könnten sie ihre Modelle verändern, weil sie Erfahrungen sammeln, welcher Ansatz am besten funktioniert.

Um herauszufinden, wie gut die Modelle werden könnten, erstellten die Forscher eine große Zahl davon – rund 250.000 – und testeten sie mit Daten von FantasySCOTUS. Als Vergleichsmaßstab diente ein so genanntes Nullmodell, in diesem Fall eine Daumenregel, mit deren Hilfe Juristen versuchen, Supreme-Court-Entscheidungen vorwegzunehmen: Sie gehen davon aus, dass das oberste Gericht Entscheidungen von niedrigeren Instanzen stets revidiert. Tatsächlich passiert dies in etwa 60 Prozent der Fälle.

Die Analyse zeigte, dass die Crowdsourcing-Modelle besser sind. Wie Katz und Kollegen schreiben, gilt dies für viele von ihnen – manche kommen sogar auf eine Trefferquote von 80 Prozent. „Wir liefern starke Belege für die Hypothese, dass Crowdsourcing Entscheidungen des Supreme Court robust und präzise vorhersagen kann“, heißt es im Fachaufsatz von Katz.

Als Nächstes will das Team mit derselben Methode versuchen, das Ergebnis von anderen legislativen Prozessen und sogar Wahlen vorherzusagen.

Neue Erkenntnisse über die Schwächen des Ansatzes liefert die Arbeit allerdings nicht. So ist bekannt, dass die Weisheit der Masse oft nicht mehr funktioniert, wenn die Meinungen der Gruppenmitglieder miteinander korrelieren – wenn sie sich also zu sehr gegenseitig beeinflussen. Dies kann unschöne Folgen haben, etwa wenn große Gruppen aufgrund von Gruppendenken zu irrationalen oder falschen Meinungen kommen.

Der interessante Bereich jedoch liegt zwischen den Extremen Dummheit und Weisheit. Die Frage, wie und wann die Weisheit der Masse zu wünschen übrig lässt, könnte also ein Thema für spannende weitere Forschungsarbeiten sein.

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