Brustkrebs-Gentests für jede Frau?

Ein US-Unternehmen bietet an, anhand einer Vielzahl von genetischen Indizien einen Risikowert für Brustkrebs zu ermitteln. Allerdings ist der Tests bislang weniger aussagekräftig, als die präzisen Angaben annehmen lassen.

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Von
  • Antonio Regalado

Im Jahr 2013 erklärte die Schauspielerin Angelina Jolie, sie trage ein „fehlerhaftes Gen“ namens BRCA1 in sich, das bedeute, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 87 Prozent Brustkrebs bekommen werde. Damit brachte sie Scharen von Frauen dazu, sich genetisch testen zu lassen.

Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit hatte Jolie entschieden, ihre Brüste entfernen zu lassen. „Ich wollte meine Geschichte nicht geheim halten, denn es gibt viele Frauen, die nicht wissen, dass sie vielleicht im Schatten von Krebs leben“, erklärte die Oscar-Gewinnerin.

Die anschließende Welle von Frauen, die DNA-Tests vornehmen ließen, wurde als „Angelina-Effekt“ bezeichnet. Doch die meisten erfuhren nie, was sie wissen wollten. Denn nur bei 10 Prozent der Frauen mit einer Familien-Historie von Brustkrebs wird festgestellt, dass sie ein ererbtes Krebs-Gen haben.

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Das Genom von Jolie wurde von Myriad Genetics getestet, einem Unternehmen aus dem US-Bundesstaat Utah. Jetzt gibt es an, einen neuartigen DNA-Test entwickelt zu haben, durch den irgendwann jede Frau ihr Brustkrebs-Risiko erfahren könnte.

Der neue Test funktioniert ganz anders als bisherige. Mit ihm wird nicht nur nach den verdächtigen Mutationen bei den Genen BRCA1 und BRCA2 gesucht, sondern nach kleinen Risiko-Indizien, die über das gesamte Genom verteilt sind. In der Gesamtheit lässt sich damit ein „polygener“ Risikowert bestimmen. In manchen Fällen erfahren Frauen dadurch, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, Brustkrebs zu bekommen, bei ihnen 60 Prozent oder mehr beträgt.

„Es ist so, als hätten wir eine weiteres BRCA-Mutation entdeckt, aber sie betrifft nicht nur ein Gen“, sagt Peter Kraft, ein Epidemiologe an der Harvard University, der an genetischen Studien über Brustkrebs beteiligt ist.

Wissenschaftler sehen solche polygenen Risikowerte als mögliche Kristallkugel. Derzeit wird auch an Tests gearbeitet, die das Risiko für Alzheimer oder Herzinfarkte bestimmen sollen. Nach Angaben mehrerer Ärzte ist Myriad aber das erste große Unternehmen, das einen solchen Test vermarktet.

Die neuen Möglichkeiten sind das Ergebnis von Milliarden Dollar, die im vergangenen Jahrzehnt von der Regierung der USA und anderen Ländern für riesige Bevölkerungsstudien ausgegeben wurden, um die genetischen Ursachen von Krankheiten zu erforschen. Durch den Vergleich der DNA vieler Menschen konnten Wissenschaftler beginnen, unter den Milliarden von genetischen Buchstaben im Genom einzelne zu identifizieren, die statistisch gesehen bei bestimmten Krankheiten wie Brustkrebs häufiger vorkommen.

„Ein Poly-Gen ist ein Gen, das zusammen mit anderen agiert. Es hat nur eine kleine Wirkung, aber wenn man alle zusammennimmt, so haben wir festgestellt, kann man damit das Risiko für Brustkrebs vorhersagen“, sagt Jerry S. Lanchbury, Chefwissenschaftler von Myriad.

Bei seinem neuen Test berücksichtigt das Unternehmen 86 DNA-Varianten sowie die persönliche Geschichte, unter anderem die Information, wann eine Frau in die Pubertät gekommen ist. Die Ergebnisse können das Risiko für Brustkrebs so deutlich vorhersagen wie eine Mutation im BRCA-Gen, doch sie haben Bedeutung für weitaus mehr Frauen.

Myriad bietet den Risikowert seit vergangenem September im Rahmen seines Standard-Krebstests an. Er ist bislang nur für Frauen mit europäischer Abstammung verfügbar, in deren Familie es bereits früher Fälle von Krebs gegeben hat.

Um genetische Indikatoren auch für Menschen afrikanischer oder hispanischer Herkunft zu finden, ist weitere Arbeit erforderlich, die Myriad nach eigenen Angaben angehen will. Ein kleines Unternehmen namens Phenogen Sciences gibt an, sein für 199 Dollar angebotener Test sei für alle Ethnien verwendbar, doch bislang wird er nicht viel genutzt.

Ora Karp Gordon, eine Krebsärztin aus Los Angeles, sagt, die Risikowerte seien hilfreich für Patientinnen, die zwar keine BRCA-Mutation haben, aber eine Besorgnis erregende familiäre Krebs-Historie. Bei ungefähr jeder fünften dieser Frauen lasse die zusätzliche Information erkennen, ob sie tatsächlich zur Hochrisiko-Gruppe zählen oder nicht. Falls ja, kann die Ärztin ihnen empfehlen, in jüngerem Alter Mammografien oder MRT-Tests vornehmen zu lassen.

Laut Gordon sind die Prognosen noch nicht sicher genug, um irgendjemanden zu veranlassen, sich wie Jolie vorsorglich die Brüste entfernen zu lassen. Wie sie berichtet, wurde bei einer jungen Patientin ein außergewöhnlich hohes Krebsrisiko von 72 Prozent ermittelt. „Es wäre schrecklich, wenn sie sich präventiv operieren lassen würde“, sagt die Ärztin. Denn solange keine weiteren Forschungsergebnisse vorliegen, könnten die neuen Risikowerte nicht unbedingt als Hinweis auf das „absolute Risiko“ einer Person verstanden werden.

Die große Frage für die Zukunft lautet, ob jede Frau einen solchen Tests vornehmen lassen sollte. „In diese Richtung wird uns die Technologie drängen, aber ich glaube nicht, dass wir im Gesundheitswesen schon die Infrastruktur haben, um personalisierte und korrekte Risikoeinschätzungen für alle erstellen zu können“, sagt Sara Pirzadeh-Miller, stellvertretende Leiterin für Krebsgenetik am Southwestern Medical Center der University of Texas.

Bei jeder Frau, deren Genom analysiert wurde, lassen sich leicht Risikowerte ermitteln. Damit wird es möglicherweise nicht mehr lange dauern, bis Unternehmen damit beginnen, Tests auf schwere Krankheiten direkt an Verbraucher zu vermarkten. Auch Gen-Sequenzierungen bei Neugeborenen oder künstlichen Befrüchtungen werden häufiger. Mindestens ein Unternehmen gibt an, bald Krankheitsrisiken bei noch nicht geborenen Menschen vorhersagen zu können.

(sma)