Post aus Japan: Ein aalglattes Problem

Eine Nationalspeise Nippons droht auszusterben: Unagi, gegrillter japanischer Aal. Der Fang von Jungtieren droht dieses Jahr auf ein Rekordtief zu fallen. Ein geschlossener Zuchtkreislauf könnte helfen.

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Von
  • Martin Kölling

Der sogenannte Tag des Ochsen im Sommer wird von vielen Japaner mit einer ganz besonderen Delikatesse begangen: Unagi, gegrillter japanischer Aal auf Reis. Wie sehr der Fisch ein Nationalgericht ist, zeigt der Gesamtkonsum: Fast drei Viertel der weltweiten Fangs landen in japanischen Mägen. Doch dieses Jahr geht unter den Züchtern und Köchen die Angst vor einer richtigen Aalkrise um.

Der Grund: Bis Mitte Januar haben die Fischer nur eine Tonne an Babyaalen gefangen, die dann in großen Aquarien zur Schlachtreife aufgezogen werden. Der Preis für ein Kilogramm Glasaale hat sich daher im Vergleich zu 2016 auf fast 27 000 Euro verdreifacht. Das dürfte die Einzelhandelspreise für Unagi deutlich in die Höhe und damit den Konsum nach unten treiben.

Post aus Japan
Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Dieser Angebotsengpass ist zwar nicht neu für die Japaner. Seit den 1950er Jahren ist der jährliche Fang des Aalnachwuchses in Japan von rund 240 Tonnen jährlich auf unter fünf Tonnen gesunken. Aber so schlecht wie jetzt begann noch keine Fangzeit. Für Forscher ist dies ein klares Zeichen, dass auch der japanische Aal in seinem Überleben bedroht ist.

Zwar machte der japanische Aal-Experte Shingo Kimura vom atmosphärischen und ozeanographischen Forschungsinstitut an einem Graduiertenkolleg der Universität Tokio in der japanischen Zeitung Nikkei eine "Verkettung unglücklicher Ereignisse" für den Notstand verantwortlich. So hat das atmosphärische Phänomen La Niña die Meerestemperaturen und -strömungen verändert. Dies könnte die Reise dieses Jahr unterbrochen haben. Aber Kimura nennt auch ganz klar die eigentlichen Ursachen: Überfischung und die Verschlechterung der maritimen Umwelt. Sein Fazit: Die Population muss auf extrem niedriges Niveau gefallen sein.

Noch ist dies nicht der Untergang einer kulinarischen Tradition. Bislang konnte der Fall der heimischen Fänge durch Importe aus anderen Ländern Asiens ausgeglichen werden. Aber die Verlagerung des Nachschubs verschafft nur Aufschub. Die Japaner wollen sich daher schon lange nicht mehr auf die Natur verlassen. Seit Jahrzehnten versuchen sie, den komplexen Lebenszyklus des Aals in der Gefangenschaft nachzuahmen.

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Es ist nicht der einzige Fall, in dem die Japaner eine durch ihren Appetit geschaffene Umweltsünde mit Hilfe der Wissenschaft sühnen wollen. Die Japaner mit ihrem großen Hunger nach Fisch haben schon mehrere Arten in Gefangenschaft gezüchtet. Selbst beim überfischten Blauflossenthunfisch, einem der Lieblingshappen für Sashimi und Sushi, ist dies gelungen – wenn auch noch nicht im großindustriellen Maßstab.

Beim Aal scheinen die Hürden allerdings höher zu sein, weil der Lebenszyklus des Fisches so komplex ist. Zwar gelang der erste Zuchtzyklus im Jahr 2002, gefolgt von einem zweiten acht Jahre später. Aber die Nachbildung der langen Wanderung des Aals von seinen Laichgebieten nahe dem Mariannengraben im Pazifik über die Philippinen, die Küste Taiwans bis zu seinen Aufwachsschule in japanischen Flüssen und Seen ist so aufwändig, dass sich ein kommerzieller Zuchtzyklus wahrscheinlich noch sehr lange verbietet.

Nicht nur ist es schwer, die Eier zu befruchten, sondern auch für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu sorgen. In Gefangenschaft werden die Nachkommen merkwürdigerweise alle männlich. Also wird mit Hormontherapien nachgeholfen, um genügend weibliche Aale zu züchten.

Dies ist wahrlich keine besonders appetitliche Vorstellung. Nur würde sie die Japaner wahrscheinlich nicht davon abhalten, 100-prozentigen Zuchtaal zu essen. Denn noch schlimmer wäre sie wohl umweltbewusst-logische nächste Schritt: sich selbst ein Aal-Moratorium aufzuerlegen. Schließlich hat dies nicht einmal beim Walfang vollständig geklappt.

Während die meisten anderen Nationen die Wale in Ruhe lassen, nutzt Japan eine Ausnahmeregelung im internationalen Regelwerk. Jahr für Jahr werden einige hundert Wale im Dienste der Wissenschaft harpuniert, deren Fleisch dann im Supermarktregal (oder oft im Tiefkühllager) landet. Und dies will die Regierung offenbar auch in Zukunft fortsetzen.

Einem Bericht der Zeitung Yomiuri zufolge soll das in die Jahre gekommene Fangschiff Nisshin Maru durch einen Neubau oder einen jüngeren ausländischen Trawler ersetzt werden. Diese Beharrlichkeit, selbst eine nur scheinbar nationale kulinarische Tradition wie den Walverzehr aufrechtzuerhalten, lässt nichts Gutes für den notwendigen Schutz japanischer Aale erahnen.

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