Blockchain: "Manche verstehen nicht, wofür es Gesetze gibt"

Der Systemadministrator und frühere Journalist David Gerard sieht die aktuelle Begeisterung für Smart Contracts kritisch – ohne menschliche Korrekturen und Urteilsvermögen geht es einfach nicht, sagt er.

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Von
  • Sascha Mattke

Gerard, geboren in Australien und jetzt in London ansässig, ist Unix-Systemadministrator und ehemaliger Musikjournalist. Im Sommer 2017 hat er im Eigenverlag das E-Book "Attack of the 50 Foot Blockchain" veröffentlicht, in dem er sich kritisch mit der Aufregung um Bitcoin und Co. auseinandersetzt.

TR: Im Zusammenhang mit Blockchain-Technologien ist zunehmend auch von Smart Contracts die Rede. Inwiefern hat beides miteinander zu tun?

David Gerard: Anfangs gar nichts. Die Idee bei Smart Contracts ist, vertragliche Vereinbarungen zu automatisieren, um Recht und Wirtschaft effizienter zu machen. Das Konzept entwickelte der Informatiker Nick Szabo bereits Anfang der 1990er-Jahre. Seine Idee blieb jedoch 20 Jahre lang rein hypothetisch.

Als dann Bitcoin mit seiner unveränderlichen Blockchain kam, dachten die Leute: "Das bietet Unveränderlichkeit, das können wir benutzen." Allerdings bietet die Skriptsprache von Bitcoin nur begrenzte Möglichkeiten. Das änderte sich erst, als Vitalik Buterin später Ethereum gründete. Es wurde zur ersten praktisch nutzbaren Plattform für Smart Contracts.

Gibt es schon konkrete Beispiele für Smart Contracts?

Wir haben andauernd mit Systemen zu tun, die soziale Interaktionen oder Verfahren automatisieren. Jede Art von automatisierter Datenverarbeitung geht im Prinzip in diese Richtung – auch wenn solche Systeme meist nicht als Smart Contracts bezeichnet werden und nicht die Garantie der Unveränderlichkeit besitzen. Der Grund für die Entwicklung ist offensichtlich – wenn man das menschliche Element entfernen kann, spart man Geld.

Wird die Blockchain Menschen also bald komplett aus diesen Prozessen eliminieren?

Dann wird es schnell kompliziert. Es ist leicht, einfache Sachen zu automatisieren. Aber die größten Kosten bei solchen Systemen fallen beim Umgang mit Ausnahmen an. Zum Konzept von Smart Contracts gehört, dass sie unveränderlich sind – damit niemand von außen intervenieren kann. Aber das bedeutet auch, dass man keine Fehler in der Programmierung korrigieren und nicht auf veränderte Umstände reagieren kann.

TR 10/2017

(Bild: 

Technology Review 10/2017

)

Dieser Artikel stammt aus der Oktober-Ausgabe von Technology Review. Das Heft war ab dem 14. September 2017 im Handel und ist im heise shop erhältlich.

Schon Nick Szabo sprach sich daher dafür aus, dass in Extremfällen weiterhin menschliche Interventionen möglich sein sollten. Die meisten Menschen erwarten, dass jemand persönlich kommt und korrigieren kann, wenn das Ergebnis nicht den Erwartungen entspricht. Ich glaube deshalb, dass es absolut notwendig ist, für solche Fälle einen Menschen im System zu haben.

Viele Befürworter der Smart Contracts scheinen diese Notwendigkeit nicht zu sehen.

Ich glaube, manche Leute verstehen nicht richtig, wofür es Gesetze und Rechtssysteme gibt. Sie wollen buchstäblich Richter und Rechtsanwälte durch Computercode ersetzen. Das grundlegende Problem dabei ist: In realen Rechtssystemen landen immer nur die schwierigsten Fälle vor Gericht – Fälle, bei denen es Streit gibt und menschliches Urteilsvermögen erforderlich ist. Bei Verträgen geht es um die Absichten von Menschen und darum, was sie gemeint haben, als sie einen Vertrag unterzeichnet haben.

Nehmen wir zum Beispiel eine Warenlieferung: Ein Smart Contract kann sie nicht wirklich erfassen. Ein Computer kann zwar erkennen, dass Waren eingetroffen sind, aber nicht, ob sie der Bestellung oder der vereinbarten Qualität entsprechen.

Bei Softwaretests spricht man hier vom Orakel-Problem – wie lässt sich ohne menschlichen Eingriff feststellen, ob ein bestimmter Zustand eingetreten ist? So ziemlich jeder Smart Contract mit Bezug zur realen Welt wird dieses Problem haben. Wirklich interessante Anwendungen werden nicht auf menschliche Urteile verzichten können.

(bsc)