Post aus Japan: Neue Ideen für eine alte Transporttechnik

In einem Land, in dem Züge extrem pünktlich fahren, müssen Eisenbahngesellschaft schon kreativ sein, um attraktiv zu bleiben. Der Trend geht dabei in Richtung Entspannung und Genuss.

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Von
  • Martin Kölling
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Ein Fehler eines Zugführers könnte in Tokios U-Bahnen nun Schule machen. Aus Versehen spielte ein Fahrer auf der Hibiya-Linie während der normalen Fahrt klassische Musik in die Abteile, mit der sonst bei Inspektionen die Lautsprecher getestet werden. Das positive Echo der Fahrgäste hat die U-Bahngesellschaft nun dazu veranlasst, aus dem Fehler eine Funktion zu machen.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

In einem Test werden die Fahrgäste auf der Linie nun zu einer bestimmten Zeit in den neuesten, mit Stereo-Lautsprechern ausgestatteten Zügen mit Klassik berieselt. Die Idee ist, die Passagiere zu entspannen. Möglicherweise werden die Melodien europäischer Meister sogar dauerhaft ins bereits reichhaltige musikalische Repertoire der städtischen U-Bahnen aufgenommen.

Schon jetzt bimmeln Jingles, bevor die Türen schließen oder der Zug ankommt. Viele Stationen haben eigene Melodien. In einigen Bahnhöfen spielen Lautsprecher an den Treppen auch Vogelgezwitscher, um Blinden den Weg zum Ausgang zu leiten. Die Ansagen der Bahnsteigschaffner untermalen das Audio-Erlebnis dabei wie Sprechgesang. Musik während der Fahrt ist da nur wie eine logische Fortsetzung einer langen Tradition.

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Doch die Umsetzung dieser Idee ist nur ein Beispiel für die beständige Innovationsliebe der Japaner, die auch vor der guten, alten Eisenbahn nicht halt macht. Und dabei muss es eben nicht nur darum, wie bei der nun geplanten superschnellen Magnetschwebebahn mit neuester Hightech die ohnehin schon schnellen Fernverkehrsstrecken noch schneller zu machen. Mit neuen Produktideen wollen die Japaner auch dem Bevölkerungsschwund in Japans ländlichen Regionen ein Schnippchen schlagen.

Immer wieder warten regionale Bahngesellschaften mit neuen Sonder-, Themen- oder Hotelzügen auf, um mit Touristen sinkende Fahrgastaufkommen wettzumachen. Die südjapanische Bahngesellschaft "Nishi-Nippon" hat gerade angekündigt, ab 2019 einen neuen Restaurantzug auf der südjapanischen Insel Kyushu einzusetzen.

Der "Rail Kitchen Chikugo" wird modernes Ambiente mit alten japanischen Architekturelementen und lokalen Spezialitäten kombinieren. Er konkurriert mit dem "JR Kyushu Sweet Train" (oder "Aru Ressha"), bei dem eine zwei- bis zweieinhalbstündige Fahrt fast 200 Euro kosten, erlesene Süßigkeiten inklusive.

Und dies sind nur zwei Beispiele von vielen, und es sind noch nicht einmal die ambitioniertesten Projekte. Die Bahngesellschaft JR East beispielsweise in der Präfektur Niigata gleist seit zwei Jahren an Wochenenden die schnellste Kunstgalerie der Welt auf. Im "Genbi Shinkansen", einem umgestalteten Superschnellzug, werden nun Bilder ausgestellt.

Die größte Zielgruppe sind Frauen von Ende 20 bis Ende 40, die Zeit, Geld und Bildungshunger haben. Lokale Spezialitäten sorgen auch für kulinarischen Genuss. 105 Plätze bietet jede Fahrt. Ein anderer Shinkansen bietet klassische, japanische Fußbäder an. Das möchte ich gerne mal ausprobieren.

Ein Dauerhit scheint Japans teuerstes Luxushotel auf Schienen zu werden. Mit dem Nanatsuboshi ("Seven Stars in Kyushu") können Bahnfans aus aller Welt seit 2013 zwei bis vier Tage auf der südjapanischen Insel Kyushu reisen. Theoretisch wenigstens. Praktisch müssen sich Interessenten in Geduld üben.

Obwohl die Fahrpreise bei mehr als 2000 Euro pro Person für die kürzere Reise beginnen, ist der Zug in der Regel überbucht. Die Plätze werden daher oft per Lotterie vergeben. Für die Reise zwischen März und September ist die Anmeldezeit bereits abgelaufen. Für mich sind dies interessante Versuche, demographische Probleme durch Innovationen zu lindern.

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