Abhörstandard für Europa

Behörden und Industrie arbeiten an Schnittstellen zur Überwachung sämtlicher digitaler Netze.

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Von
  • Florian Rötzer

Aus internen Unterlagen einer internationalen Arbeitsgruppe namens "Lawful Interception" geht hervor, dass das European Telecom Standards Institute (ETSI) mit Hochdruck daran arbeitet, einen Standard für die geografische Ortung von Handys in Echtzeit festzulegen. Die Technik ist für "Strafverfolger und Staatssicherheitsbehörden", also auch für die Geheimdienste, vorgesehen.

Bei diesen Bestrebungen, die von der EU gemeinsam mit der US-Bundespolizeibehörde FBI konzipiert wurden, geht es allgemein darum, Schnittstellen zur Überwachung sämtlicher digitaler Netze von ISDN über das Internet bis hin zu UMTS zu entwerfen. Zu diesem Zweck wird ein Meta-Standard namens ETSI ES 201 671 laufend erweitert und entlang der technologischen Entwicklung fortgeschrieben. Auf ES 201 671 basieren sowohl die deutsche als auch die österreichische Verordnung zur Überwachung des Telekom-Verkehrs, die beide jüngst neu aufgelegt worden sind.

Die Arbeitsgruppe, die aus Vertretern von Behörden und Industrieunternehmen besteht, traf zuletzt am 21. und 22. Februar auf Einladung der französischen Firma Aqsacom zusammen. Dieses Unternehmen aus dem militärisch-elektronischen Komplex Frankreichs hat sich auf Überwachungslösungen an Roaming Gateways und auf Geräte zur sekundenschnellen Ortung von Handys in GSM-Netzen spezialisiert. Siemens präsentierte bei dem Treffen einen Vorschlag, wie das geografische Koordinatensystem von UMTS in den Standard ETSI ES 201 671 zu integrieren sei. Nokia und Deutsche Telekom haben eine Möglichkeit entwickelt, wie sich Handy-Logfiles an Polizei und andere Behörden via FTP übermitteln lassen.

Die internationale Zusammenarbeit zur Etablierung eines umfassenden Überwachungssystems reicht offenbar bis in das Jahr 1993 zurück. Im Januar 1997 hatte die britischen Bürgerrechtsgruppe Statewatch eine Untersuchung unter dem Titel "Das EU-FBI Überwachungssystem" veröffentlicht, der eine Neufassung der so genannten "International User Requirements" (ENFOPOL 90) der "Police Cooperation Working Group" (PCWG) zu Grunde lag. Telepolis publizierte im November 1998 mit den ENFOPOL-Papieren eine ganze Serie von Dokumenten der Ratsgruppe Polizeiliche Zusammenarbeit (PCWG) im Volltext. Zunächst herrschten Zweifel an der Echtheit der Dokumente, doch schließlich griffen die Medien im westlichen Europa das Thema auf, ENFOPOL wurde zum Synonym für die drohende Überwachungsunion. Der Versuch, die "Benutzeranforderungen" um das Internet-Protokoll und GSM zu erweitern und dies auch parlamentarisch absegnen zu lassen, scheiterte in letzter Minute am Druck der Öffentlichkeit.

Daraufhin wurden alle brisanten Punkte aus dem Entwurf eines Ratsbeschlusses eliminiert und verschwanden in einem Annex mit technischen Erläuterungen. So blieb von 42 Seiten nur ein sehr abstrakter, vierseitiger Forderungskatalog (ENFOPOL 19/99) übrig. Die runderneuerte IUR wurde schließlich statt in der Form eines Ratsbeschlusses der EU wieder am Parlament vorbei als europäischer Telekommunikations-Standard eingeführt. Am 29. Mai 2000 unterzeichneten die Justizminister der EU-Mitgliedsländer während der Ratstagung in Brüssel ein Rechtshilfeübereinkommen, das "den Informationsaustausch und die Vernetzung bei Ermittlungen vereinfachen" soll.

Das EU-Parlament hatte im Frühjahr zwar mehrheitlich verlangt, den Paragraphen zum grenzüberschreitenden Abhören aus dem Übereinkommen zu streichen (Europäisches Parlament stimmt gegen unkontrolliertes grenzüberschreitendes Abhören). Doch damit wurde dem Parlament nur sein Anhörungsrecht zugestanden, mehr nicht. Die Endfassung entsprach der vom 15. Mai (Fassung 32), wurde dem Parlament nicht mehr vorgelegt und auch sonst bis zuletzt geheim gehalten (Europäisches Rechtshilfeabkommen verabschiedet). (Erich Möchel)

Mehr zu diesem Thema in dem Artikel "Lauschangriff: Abhörstandard für Europa" in der aktuellen c't 7/2001 sowie in Telepolis: Die ETSI-Dossiers. (fr)