OOP 2018: Renaissance der Softwarearchitektur

Die OOP-Konferenz setzte dieses Jahr erneut auf thematische Vielfalt. Trendthemen wollten die Programmgestalter bewusst nicht zu stark in den Fokus stellen. Dass viele neue Besucher kamen, ist für sie ein Zeichen, dass der Beruf des Softwarearchitekten wieder cool ist.

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OOP 2018: Renaissance der Softwarearchitektur
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Von
  • Rainald Menge-Sonnentag
Inhaltsverzeichnis

Die OOP in München fand im Februar bereits zum zwanzigsten Mal im ICM innerhalb des Münchner Messegeländes statt. Insgesamt ist es die 27. Auflage der Veranstaltung, die ihren Namen von dem in ihren Anfängen großen Trendthema der objektorientierten Programmierung hat. Bjarne Stroustrup hatte damals das Standardwerk zu C++ in der zweiten Edition veröffentlicht, und Java stand in den Startlöchern, um Mitte der neunziger Jahre seinen Siegeszug anzutreten. Den Namen OOP hat die Konferenz behalten, aber gerade die jüngeren Teilnehmer werden ihn kaum mit der ursprünglichen Bedeutung verbinden.

Dennoch darf sich die Konferenz über Zulauf freuen: Die Veranstalter meldeten einen wachsenden Anteil an Erstbesuchern. Unter dem Strich gab es sowohl mit 100 Ausstellern als auch bei den Teilnehmern einen neuen Rekord. Die Teilnehmerzahl von 2300 entspricht einem Wachstum von 15[ ]Prozent, schließt jedoch neben den Konferenzteilnehmern auch die Besucher der Ausstellung ein. Jutta Eckstein, die zum siebten Mal als Program Chair die Hauptverantwortung für die inhaltliche Gestaltung der Konferenz hat, und Nicolai Josuttis, der für den Track "Modern Programming" verantwortlich ist, sahen im Gespräch mit heise Developer in der hohen Zahl der neuen Besucher ein Anzeichen für eine Renaissance der Softwarearchitektur.

Im Verlauf des letzten Jahres haben die Konferenzverantwortlichen der OOP einen neuen Anstrich verpasst. Das neue Design zeigt sowohl auf der Website als auch vor Ort vor allem frische Farben. Ein auffälliges Stilmittel sind im gelben Textmarker-Look gestaltete Hervorhebungen, die sich dank des sparsamen Einsatzes als Orientierungshilfe erwiesen.

Jutta Eckstein präsentiert das Motto unter dem neuen Design der OOP.

(Bild: OOP)

Das Motto der OOP 2018 "Test the Waters" war als eine Einladung zum Experimentieren gedacht. Neues wagen und kontinuierlich lernen gehört demnach zu den gelegentlich übersehenen Tugenden für Softwarearchitekten. Die Konferenz selbst wagte ebenfalls Neues, indem sie wieder einen frischen inhaltlichen Track ins Feld schickte: "Formal Methods & Emerging Technologies" steht für praktisch anwendbare Techniken der theoretischen Informatik. Die Vorträge widmeten sich der abstrakten Interpretation, Constraint Solving, Modelchecking und Theorembeweisen.

Den Hypes und Trends möchten die Veranstalter der OOP explizit nicht folgen, und konsequenterweise sieht Jutta Eckstein das aktuelle Programm nicht auf einzelne Highlights ausgerichtet, sondern breit gefächert. Dazu gehören freilich durchaus Vorträge zu Trendthemen wie Machine Learning oder Blockchain.

Der 2017 eingeführte Track "SocIty", der die Verknüpfung von Informationstechnologie und Gesellschaft beleuchtet, ist weiter im Programm zu finden. Dem Thema widmete sich prominent der Philosoph Richard David Precht mit seiner Keynote "Die digitale Revolution und die Zukunft der Arbeit". Er betonte, dass das reale Leben statt die Visionen des Machbaren die digitalen Anforderung bestimmen sollte.

Einige Diskussionen gehen aus seiner Sicht an den wahren Problemen vorbei. Statt beispielsweise über ethische Programmierung für autonomes Fahren zu debattieren, sollte die erste Überlegung sein, wie intelligent die Systeme überhaupt sein sollten. Vielleicht sei es sinnvoller, dass die Autos Gesichter gar nicht erkennen, um daran keine ethischen Entscheidungen festmachen zu können und müssen, die unvorhersehbare Entscheidungsketten zur Folge haben.

Nach seiner Keynote hatten die Teilnehmer viele Fragen an Richard David Precht.

(Bild: OOP)

Den Handel mit personenbezogenen Daten sieht er nicht nur aus ethischer, sondern auch wirtschaftlicher Sicht kritisch: Davon würden einzelne Firmen reich, aber die Volkswirtschaft als Ganzes hat davon keinen Gewinn, sondern es handelt sich aus volkswirtschaftlicher Sicht um eine reine Umverteilung. Den Konferenzteilnehmern gab er folgenden Satz mit: "Die messbare Seite der Welt ist nicht die Welt".

Jez Humble widmete seine Keynote dem Konferenzmotto "Test the Waters" und wollte mit "Growing a Culture of Experimentation" Softwareentwickler und -architekten zu mehr Experimentierfreude einladen. Man müsse Fehler nicht verstecken, sondern den Umgang mit ihnen lernen, damit sie normal werden. Außerdem seien Teams umso erfolgreicher, je freier sie in der Gestaltung der Spezifikationen seien, statt von außen alle Vorgaben übernehmen zu müssen. Wenn ein Team nicht gut funktioniert, seien meist nicht die Menschen, sondern das Unternehmen daran Schuld: "If you hire good people in a bad system, it doesn't repair the system, but breaks the people".

Humble verwies dabei auf das Kata-Modell, dem sich ein eigener Vortrag widmete: Kevlin Henney, erklärte darin, wie sich Entwickler durch ständige Übung und Hinterfragen ihres Ansatzes verbessern können. Als Beispiel, wie zahlreiche Wege ans Ziel führen, führte er den Satz des Pythagoras ins Feld, für den mehrere hundert unterschiedliche Beweise existieren. Ebenso gibt es in der Programmierung nicht den einen, richtigen Weg. Unter anderem erläuterte er mehrere Ansätze zum Umwandeln von arabischen in römische Zahlen, die alle zum selben, korrekten Ergebnis führen, aber unterschiedliche Qualitäten aufweisen von schnell zu schreiben über gut nachzuvollziehen bis zu besonders effizient umgesetzt.

Jez Humble plädiert für eine Kultur, die Experimente fördert und Fehler nicht bestraft.

(Bild: OOP)

Zum Umdenken forderte auch ein Vortrag mit dem provokanten Titel "Die Schleife ist tot..." auf. Der Sprecher betonte, er habe sich seit einiger Zeit von herkömmlichen Schleifen verabschiedet, da sie beliebte Fehlerquellen sind. Er ersetzt sie möglichst durch Listengeneratorfunktionen und im Zweifel durch Rekursion. Die anschließende Diskussion brachte durchaus kritische Stimmen, zumal unter anderem in der Rekursion neue Probleme lauern, aber die Anregungen passten hervorragend zum Konferenzmotto.

Eine ebenso provokante Überschrift hatte der Vortrag "Was kostet eine Line of Code?" Wohl kaum ein Zuhörer erwartete sich eine tatsächliche Antwort auf die Frage. Allerdings konnten alle dem Fazit zustimmen, dass die Arbeit von Entwicklern messbar sein muss. Die einzelne Codezeile lässt sich weniger an ihrem Nutzen, aber durchaus gelegentlich an ihrem potenziellen Schaden messen. So erzählte der Sprecher von einem vergessenen Komma in einer Abrechnung, das unzähligen Kunden eine hundertfach höhere Rechnung bescherte. Er wiederholte zudem die Geschichte der Venussonde Mariner, die sich wenige Minuten nach dem Start selbst zerstörte. Eine verbreitete Erklärung für die Ursache ist ein fehlerhaftes Zeichen im Fortran-Programm, die damit gemessen am Schaden wohl zu einer der teuersten Codezeilen gehören dürfte.

Aus dem gewohnt breiten Vortragsprogramm ließen sich noch zahlreiche einzelne herauspicken, jedoch liegt die Stärke der OOP tatsächlich in der Breite, die gleichzeitig ein Fluch ist, da die Entscheidung bei jeweils acht parallelen Vorträgen immer wieder schwer fällt. Erwähnenswert ist noch ein Talk, in der die Zuhörer zu Teilnehmern einer Art Impro-Theater wurden und damit einen guten Beleg für das Fazit fanden: Mitarbeiter können nur gut in einem Team arbeiten, wenn sie sich psychisch sicher fühlen und keine Angst haben, sich einzubringen.

Auch die weiteren Keynotes deckten ein breites Spektrum ab. Debra Lavell berichtete über die Kunst des Projektmanagements, und Gabriel Dos Reis widmete sich der Tugend der generischen Programmierung, die er vor allem demokratisieren möchte: Sie soll nicht nur erfahrene Informatiker, sondern auch Hobbyprogrammierer erreichen.

Eine amüsante Mischung brachte die Keynote von Atilim Siegmund und Werner Lieblang für das German Testing Board. Sie vermischten Projektanforderungen mit dem Mixen von Cocktails und zeigten dabei anschaulich die Fallstricke, wenn Projektleiter die Farben der Strohhalme wichtiger nehmen als die Zutaten. Im Abschluss erstellten sie mit dem Publikum gemeinsam einen Wunsch-Cocktail, bei dem freilich erneut das Experimentieren im Vordergrund stand.

Keynote-Cocktail aus Projektmanagement und Caipi

(Bild: OOP)

Michele Leroux warf einen durchaus kritischen Blick auf Microservices und die Herausforderungen, die mit dem Wunderheilmittel gegen Monolithen verbunden sind. Ihre Keynote "Surviving Microservices" hat den Tenor: Der Einsatz lohnt sich durchaus, aber der Weg in die gelungene Microservice-Architektur hat zahlreiche Fallstricke. Aus dem Nähkästchen plauderten Donovan Brown und Abel Wang, die von den massiven Veränderungen bei Microsoft für eine DevOps-Kultur berichteten, mit denen die Release-Zyklen von drei Jahren auf drei Wochen gesunken sind.