Eine Unterlassungssünde der Medien

Über Robin Williams' Suizid wurde viel geschrieben. Doch all die Details führten wohl zu weiteren Selbstmorden. Das hätten Berichte über die Krankheit und die Verzweiflung des Stars vielleicht verhindern können.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Die Kehrseite von Sensationsnachrichten: In den Monaten, die auf den Selbstmord des ebenso bekannten wie beliebten Schauspielers Robin Williams im August 2014 folgten, haben sich in den USA fast zehn Prozent mehr Menschen das Leben genommen als in den Monaten zuvor. Darunter waren nicht nur besonders viele Männer im Alter zwischen 30 und 44 Jahren. Auch die von Williams gewählte Methode der Strangulation wurde mehr als 30 Prozent häufiger benutzt. In seiner vorsichtigen Analyse, die David Fink von der New Yorker Columbia University jetzt im Online-Magazin "Plos One" veröffentlichte, versucht der Epidemiologe den Ursachen auf den Grund zu gehen.

Denn im Unterschied zum Tode Robin Williams' habe es nach dem Selbstmord des ebenfalls außerordentlich populären Sängers Kurt Cobain 1994 kaum Nachahmungseffekte gegeben. Fink und seine Kollegen legen in ihrer Studie nahe, dass die restriktive Handhabung bei den Detailinformationen über den Selbstmord des Musikers hierbei eine positive Rolle gespielt habe. Ebenso wichtig sei aber wohl die Bedächtigkeit der Berichterstattung gewesen, die Selbstmordprävention immer mit im Blick gehabt habe.

Im Covern der beiden Suizide durch die Medien liegt denn auch einer der wesentlichen Unterschiede. Im Gegensatz zum Tod Kurt Cobains wurden 20 Jahre später im Fall von Robin Williams viele Einzelheiten hemmungslos ausgeplaudert. Fink und Kollegen berichten, dass etwa die "Washington Post" am Tage nach dem Tod des Schauspielers titelte, "Robin Williams' Tod zeigt die Macht der Depression und die Impulsivität des Selbstmords", während die "New York Times" schrieb: "Robin Williams starb den Behörden zufolge durch Hängen".

Folgt man den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO, wie Medien durch die Art ihrer Berichterstattung Nachahmungseffekte verhindern können, stößt man in den Artikeln und Nachrufen sehr schnell auf viele Unachtsamkeiten oder gar unlauteren Sensationsjournalismus. So fordert die WHO eine verantwortliche Berichterstattung über Suizide, gerade weil rund 800.000 Menschen weltweit jedes Jahr durch Selbsttötung sterben. Bei den 15- bis 29-Jährigen ist Selbstmord sogar die zweithäufigste Todesursache. Deshalb verlangt die WHO im Kern, dass keine Details über die Methoden oder den Ort veröffentlicht werden. Regeln, die nach Robin Williams' Tod missachtet wurden, wie Fink und seine Kollegen berichten: Auf einer öffentlichen Pressekonferenz habe der mit dem Fall betraute Sheriff etwa Details über den von Williams benutzten Gürtel und die Position seines Körpers publik gemacht.

Die Verantwortung der Medien, aber auch der sozialen Netzwerke für diese Nachahmungseffekte ist also aus diesem Szenario nicht wegzudenken. Es gibt aber noch ein wesentliches anderes Versäumnis: Offensichtlich war die Presse nicht bereit, Williams' Witwe Susan Schneider zuzuhören. Wie die Medizinplattform "STAT" des Boston Globe im Herbst 2016 berichtete, war Williams unheilbar an der Lewy-Körper-Demenz erkrankt – ohne Aussicht auf Heilung. Er hatte zunehmend vehemente Schwierigkeiten, seine Texte zu behalten, und verlor sich immer öfter in Verwirrtheit. Schneider hatte der Presse die immensen gesundheitlichen Probleme ihres Mannes geschildert, aber die Berichterstattung schwieg sich zunächst darüber aus. Eine Unterlassungssünde. Denn Williams' Akt der Verzweiflung wäre nicht als Tat eines Lebensmüden betrachtet worden. Sein Suizid hätte anders begriffen, partizipiert und vor allem – auch akzeptiert werden können. (inwu)