Update für unser Essen

Neue Forschungsergebnisse versprechen umweltfreundlicheres Fleisch aus dem Labor, Ersatz für Zucker und Fett sowie Haltbarkeit ohne Chemie. Aber werden die Ideen das Essen wirklich gesünder und nachhaltiger machen?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Dieser Artikel-Ausschnitt ist der Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft 3/2018 ist ab 22.2.2018 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Uma Valeti ist kein gewöhnlicher Vegetarier. Für seine Ernährung muss zwar kein Tier mehr sterben. Trotzdem will er mit seinem Start-up Memphis Meats Fleisch produzieren. Allerdings nicht auf dem klassischen Weg: Memphis Meats wirbt damit, dass seine Produkte ohne Schlachtungen, wachstumsfördernde Antibiotika und Hormone auskommen. Im Vergleich zur herkömmlichen Fleischerzeugung würden zudem rund 90 Prozent weniger Treibhausgase entstehen. Es hätte kurzum keines jener Nachteile, aufgrund derer viele Menschen auf tierische Produkte verzichten. Überdies könnte es den Bedarf einer rasant wachsenden Weltbevölkerung decken, ohne für die nötigen Futtermittel Wälder zu roden und gigantische Monokulturen anzulegen. Geht es nach dem in San Francisco ansässigen Unternehmen, wächst das Fleisch der Zukunft nicht mehr auf der Weide oder im Stall, sondern im Bioreaktor: Es werden keine Tiere mehr gezüchtet, sondern Muskelzellen, die sich zu Fleischstücken vereinen. Vor einem Jahr lud Memphis Meats zu einer ersten Verkostung ein und kredenzte Hühnerschnitzel und Ente à l’orange. Den 25 Testessern schmeckte es. Mit Entenfleisch hat das Unternehmen schon jetzt den riesigen chinesischen Markt im Blick.

Laborfleisch gehört zu den neuesten Trends der Lebensmitteltechnologie, und es bringt auf den Punkt, welche Debatten künftig über unser Essen geführt werden. Denn bisher hat die Branche alles andere als einen guten Ruf. Früher arbeitete sie vor allem an Lebensmitteln, die sich besser verarbeiten lassen, länger schön aussehen oder besser schmecken. Das Resultat waren chemische Konservierungsmittel, Farbstoffe, Geschmacksverstärker, Zuckerzusätze – und Verbraucher, die sich gegen die unnatürlichen Laborschöpfungen wehrten. Mediziner fielen in die Kritik ein und prangerten die krank machende Wirkung vieler Produkte an. Wie groß ihr Einfluss mittlerweile auf unsere Ernährung ist, zeigt die aktuelle Studie eines Teams von brasilianischen und kanadischen Forschern. Sie analysierten Umfragen aus 19 europäischen Ländern. Das Ergebnis war erschreckend: Gesüßte Getränke und Frühstückscerealien, mit Zucker versetzte Brote und Salatsoßen, salzige Snacks und Fertiggerichte machen in Deutschland 46 Prozent der Ernährung aus. In Großbritannien sind es sogar mehr als 50 Prozent. Eine Folge davon ist die zunehmende Zahl der Übergewichtigen in Deutschland. Bereits 59 Prozent der Männer und 37 Prozent der Frauen sind laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu dick. Parallel dazu steigt die Zahl der Diabetiker, die an der nicht angeborenen Zuckerkrankheit leiden. Jedes Jahr kommen etwa 500000 neue Patienten hinzu, die Gesamtzahl beträgt mittlerweile 6,7 Millionen. Kein Wunder, denn der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker liegt bei rund 90 Gramm am Tag – 40 Gramm mehr, als die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt.

Nun aber soll die Technisierung das Gegenteil bewirken: Sie soll unsere Nahrung gesünder und nachhaltiger machen. Im Fokus der Entwickler stehen große Versprechen: Nicht nur „Fleisch ohne Tier“, sondern auch „süß ohne Zucker“, „Geschmack ohne Fett“ oder „haltbar ohne Konservierungsmittel“. Prinzipiell scheinen die meisten Deutschen offen dafür, die Ernährung auf eine neue Basis zu stellen: 54 Prozent sprechen sich für verbindliche Höchstwerte für Zucker, Fett und Salz aus. So das Ergebnis einer im Januar veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Universität Göttingen im Auftrag des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Die Frage jedoch lautet: Ist das Labor Teil der Lösung – oder Teil des Problems? Lösen die neuen Schöpfungen wirklich ein, was ihre Hersteller versprechen?

So unheimlich das als „clean meat“ beworbene Fleisch aus der Retorte zu sein scheint: Zumindest aus ethischer Sicht ist es besser als das billige Fleisch aus der modernen Massentierhaltung. Dort drängen sich die Tiere in engen Ställen, unter dem Einsatz von Wachstumsbeschleunigern wie Antibiotika entstehen vor Muskeln laufunfähige Tiere. Außerdem steht das Fleisch im Verdacht, bei Konsumenten Antibiotikaresistenzen auszulösen. Diese Produktionsbedingungen haben inzwischen viele Verbraucher dazu gebracht, ihren Fleischkonsum einzuschränken oder aufzugeben. Zudem verantwortet die Nutztierhaltung knapp 15 Prozent der weltweit vom Menschen verursachten Treibhausgase, hat die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen ausgerechnet. Diese Menge könnte sich bis 2050 durch den steigenden Fleischkonsum der schnell wachsenden Weltbevölkerung auf mehr als 50 Prozent erhöhen, warnten Experten jüngst auf der Grünen Woche in Berlin.

Clean meat soll nun die Lösung sein. Den Anfang machte MosaMeat aus den Niederlanden. Das Unternehmen warf bereits 2013 den wohl ersten und mit 250000 Euro auch teuersten Hamburger aus dem Labor auf den Grill. Die rund 115 Gramm Fleisch waren Geschäftsführer Peter Verstrate zufolge nach neun Wochen fertig. Zu diesem Zeitpunkt wäre ein Rind noch gar nicht geboren.

Die medienwirksame Verköstigung lenkte den Blick auf eine ganze Reihe derartiger Fleisch-Start-ups, unter ihnen auch Memphis Meats. Gründer Valeti wurde als Medizinstudent selbst zum Vegetarier, weil ihn das hohe Risiko für Lebensmittelinfektionen und die fehlende Nachhaltigkeit bei der Fleischerzeugung störten. Ein Forschungsprojekt brachte ihn auf die Idee, mit der sich beide Probleme angehen ließen: Wenn sich Stammzellen nach einem Infarkt zu Herzmuskelzellen entwickeln können, um abgestorbenes Herzgewebe zu ersetzen, dann müssten sich doch auch normale Muskelzellen züchten lassen, aus denen Fleisch besteht.

(inwu)