Mehr Körpereinsatz, bitte!

Im Zuge des Hypes um selbstlernende Algorithmen drohen KI-Forscher heute wieder zu vergessen, was einige Pioniere schon vor über 30 Jahren erkannten: Intelligenz braucht einen Körper.

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Von
  • Christian Wolf

Dieser Artikel-Ausschnitt ist der Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft 3/2018 ist ab 22.2.2018 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Gouvieux-Chantilly, 1985: Rodney Brooks blickt während seines Vortrags auf dem Zweiten Internationalen Symposium der Roboterforschung in viele irritierte Gesichter. Der MIT-Informatiker erzählt, er habe einen intelligenten Roboter namens Allen gebaut – und dabei alles verworfen, was der KI-Forschung heilig ist: In Allens System sei jede Spur von abstrakten Algorithmen und internen

Berechnungen eliminiert. Seine „Intelligenz“ stecke vielmehr im Körper. Allen reagiere allein mithilfe einer intelligenten Mechanik auf sensorisch erfasste Umweltreize mit sinnvollen Bewegungen. Vollmundig behauptet Brooks: Sein Roboter funktioniere besser als alles, was man mit dem alten Ansatz zuvor gebaut habe. Tatsächlich sehen die Zuschauer in einem Video, wie Allen einen Korridor hinuntersaust und geschickt herannahenden Menschen ausweicht.

Später sollte Brooks berühmt werden durch Schöpfungen wie den Staubsaugerroboter Roomba oder eine kollegiale Maschine namens Baxter. Doch damals blickte ihm nur Unverständnis entgegen. Brooks konnte nicht mit seitenlangen Ausdrucken von Gleichungen oder komplexen Algorithmen aufwarten. So was war doch keine ernsthafte Forschung! „Warum wirft dieser junge Mann seine Karriere weg?“, flüsterten sich der Vorsitzende der Konferenz und ein Kollege zu, wie sich Brooks später in seinem Buch „Menschenmaschinen“ erinnert. Mit dem Ansatz einer verkörperten Intelligenz, die Sensorik und Motorik verknüpft (Embodiment), stand Brooks vor mehr als 30 Jahren völlig quer zum Zeitgeist. Die KI war sehr „verkopft“, Intelligenz galt als abstrakte Symbolverarbeitung. Was zählte, war die Software, nicht die Hardware, das „Gehirn“, und nicht der „Körper“, in dem das KI-Programm läuft.

Der Ansatz der klassischen KI war durchaus erfolgreich, besonders dort, wo sich Menschen schwertun, etwa beim Beweisen mathematischer Theoreme oder dem Lösen abstrakter Probleme. Doch er scheiterte an Aufgaben, die Menschen leicht von der Hand gehen: etwa ein Glas zu greifen oder sich in einer unübersichtlichen Umgebung zu bewegen. Denn dafür mussten Bewegungsmodelle aufwendig einprogrammiert und kontinuierlich aktualisiert werden, damit sie mit der sich stets verändernden Welt Schritt halten konnten. Das hatte sich schon bei dem berühmten Roboter Shakey aus den 1970ern gezeigt: Shakeys Umgang mit der Welt beruhte auf endlosen internen Berechnungen. Er lebte in statischen und übersichtlichen Räumen und brauchte Stunden, um einen kurzen Weg zurückzulegen und dabei etwa einen farbigen Klotz von einem Raum in einen anderen zu schieben.

(wst)