Motten gegen Maschinen

Forscher haben ein neuronales Netzwerk entwickelt, das simuliert, wie Tabakschwärmer Gerüche erkennen. Es zeigt, dass die Künstliche Intelligenz noch einiges zu lernen hat.

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Tiefe neuronale Netzwerke, die mit Hilfe von maschinellem Lernen aufgebaut wurden, unterscheiden sich deutlich von ihren Vorbildern in biologischen Systemen. Zwar gibt es einige Ähnlichkeiten, doch verschiedene kritische Mechanismen des maschinellen Lernens haben in der natürlichen Welt keine Übereinstimmung – hier wird offenbar ganz anders gelernt.

Diese Unterschiede sind vermutlich der Grund dafür, warum das maschinelle Lernen in einigen Leistungsaspekten gegenüber der Natur noch so weit hinterherhinkt. Insekten können Gerüche beispielsweise schon wiedererkennen, wenn sie diesen eine Hand voll Male ausgesetzt waren. Maschinen benötigen hingegen riesige Trainingsdatensätze. Computerwissenschaftler hoffen nun, dass ein größeres Verständnis für die natürlichen Formen des Lernens diese Performancelücke schließen könnte.

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Charles Delahunt und seine Kollegen an der University of Washington in Seattle haben dazu ein künstliches neuronales Netzwerk entwickelt, das die Struktur und das Verhalten des olfaktorischen Lernsystems der Mottenart Manduca sexta, auch Tabakschwärmer genannt, nachbildet. Das Modell soll wichtige Hinweise liefern, wie in der Natur gelernt wird – was wiederum Auswirkungen auf maschinelles Lernen haben könnte.

Das Riechsystem der Motten ist vergleichsweise einfach und von Neurowissenschaftlern bereits gut kartographiert. Es besteht aus fünf unterschiedlichen Einzelnetzwerken, die Informationen von einem ins andere einspeisen.

Der erste Teil des Systems besteht aus 30.000 chemischen Rezeptoren, die Gerüche erkennen und weitgehend ungefilterte Signale an den zweiten Bereich, die Antennenlappen, weitergeben. Diese bestehen aus 60 Einheiten, den sogenannten Glomeruli, die sich jeweils auf bestimmte Geruchsarten konzentrieren.

Der Antennenlappen gibt die Geruchssignale dann an den Pilzkörper, der aus 4000 Kenyon-Zellen besteht und von dem angenommen wird, dass er Gerüche zu Erinnerungen codiert. Zum Schluss wird das Ergebnis von einer Schicht aus extrinsischen Nervenzellen ausgelesen, von denen es einige Dutzend gibt. Diese interpretieren die Signale des Pilzkörpers in Aktionen um, etwa: "Fliege gegen den Wind."

Verschiedene Aspekte dieses Systems sind vollkommen anders als das, was man vom maschinellen Lernen kennt. Beispielsweise codiert der Antennenlappen Informationen in einem niedrig dimensioniertem Parameterraum, doch der Pilzkörper, der sie erhält, kodiert sie wiederum in einem hoch dimensioniertem. Maschinelles Lernen arbeitet hingegen normalerweise mit einem gleichförmigen Parameterraum.

Bei den Motten führt eine erfolgreiche Erkennung eines Geruchs zudem zur Ausschüttung eines Belohnungsstoffes. Der chemische Neurotransmitter namens Octopamin wird von Nervenzellen in den Antennenlappen und den Pilzkörper ausgeschüttet.

Das ist ein zentraler Teil des Lernprozesses. Das Octopamin scheint dabei zu helfen, die neuronalen Verbindungen zu verstärken, die zum Lernerfolg führten. Dies entspricht der Hebbschen Lernregel, die besagt, dass je häufiger ein Neuron gleichzeitig mit einem anderen Neuron aktiv wird, umso stärker werden die beiden Neuronen später aufeinander reagieren – "cells that fire together wire together", heißt es. Neurowissenschaftler wissen seit langem, dass Motten ohne Octopamin nicht lernen. Welche konkrete Rolle der Stoff hat, ist aber noch nicht abschließend geklärt.

Das maschinelle Lernen arbeitet ganz anders. Es setzt auf einen Prozess namens Backpropagation, der neuronale Verbindungen so verändert, dass das Endresultat besser wird. Doch dabei wandern Informationen rückwärts durch das Netzwerk, was es in der Natur so nicht gibt.

Um besser zu verstehen, wie Motten lernen, schufen Delahunt und sein Team ein künstliches neuronales Netzwerk, dass das Verhalten des natürlichen nachahmt. "Wir schufen ein Ende-zu-Ende-Computermodell des olfaktorischen Systems von Mandura sexta, das auch die Interaktionen von Antennenlappen und Pilzkörper während der Octopamin-Stimulation abbildet."

Das Modell ist speziell dafür entwickelt, das Verhalten des natürlichen Systems in seinem Anfangsstadium zu simulieren. So wird das anfangs weitgehend ungefilterte Signal der Geruchsrezeptoren ebenso nachgeahmt wie die Veränderung des Parameterraums zwischen Antennenlappen und Pilzkörper. Auch die Rolle, die das Octopamin spielt, wird abgedeckt.

Die bisherigen Ergebnisse sind spannend. So zeigt sich, wie die Veränderung des Parameterraums bei der Übergabe der Informationen zum Pilzkörper unnötige Daten reduziert und ein spezifisches, eindeutiges Aktionssignal generiert – etwa besagtes: "Fliege gegen den Wind."

Auch die Rolle des Octopamins scheint klarer. Die Simulation zeigt, dass ein Lernen auch ohne den Belohnungsstoff erfolgt, doch so langsam, dass es quasi nicht mehr hilfreich ist. Der Neurotransmitter ist also ein mächtiger Lernbeschleuniger.

Wie genau das funktioniert, ist aber noch unklar. Delahunt und Kollegen haben erste Ideen. "Vielleicht ist es ein Mechanismus, der der Motte erlaubt, innere organische Einschränkungen zu umgehen, die das Wachstum neuer Synapsen nach Hebb beschränken, was sonst zu inakzeptabel langsamen Lernraten führen würde."

Octopamin spielt wohl auch noch eine weitere Rolle. Die Hebbsche Lernregel verstärkt nur Verbindungen, die bereits existieren. Es stellt sich die Frage, wie neue Verbindungen entstehen. Delahunt und sein Team glauben, dass der Belohnungsstoff auch Übertragungskanäle für neue Synapsen öffnet. "Dies erweitert den Lösungsraum, den das System während des Lernens erforschen kann." Beeindruckend ist außerdem, dass das simulierte Netzwerk ähnlich lernt wie das natürliche.

"Unser Modell kann neue Gerüche robust erlernen und die Simulation der sich integrierenden und miteinander interagierenden Nervenzellen hat die gleichen statistischen Eigenschaften wie die bei lebenden Tieren." Die Erkenntnisse der Forscher könnte helfen, synthetische neuronale Netzwerke schneller lernen zu lassen. "Aus der Perspektive des maschinellen Lernens ergeben sich bioinspirierte Mechanismen, die bei Aufbau neuronaler Netzwerke helfen könnten, die mit nur wenigen Trainingsdaten schnell lernen."

Ergo: Maschinelles Lernen könnte in Zukunft davon profitieren, Octopamin und andere Neurotransmitter gleich mitzusimulieren. Diese spielen bekanntlich auch in anderen Bereichen eine wichtige Rolle, sei es bei Gefühlen oder der Regulierung von Stimmungen. Auch hier ergeben sich für die KI ganz neue Forschungsplätze.

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