Diesel, quo vadis?

Kommentar zum Diesel-Urteil

Die Richter am Bundesverwaltungsgericht haben in der Sache klar entschieden: Die Städte dürfen selbst über Fahrverbote für Dieselautos entscheiden. Doch das Urteil lässt viele Fragen offen. Gleichzeitig ist es ein Signal an die Politik: Handelt endlich! Jetzt! Ein Kommentar

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(Bild: Baumot Group )

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Martin Franz
Inhaltsverzeichnis

Nun ist es also da, das lang erwartete Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes in Leipzig. Die Richter haben, so viel lässt sich schon jetzt sagen, ein mutiges Urteil gefällt. Ob es zu besserer Luft in Städten führt, muss sich zeigen. Denn die Richter haben zwar in einer Sache klar entschieden, spielen den Ball aber ziemlich geschickt zurück zu den Verantwortlichen. Die sitzen nicht nur in der mächtigen Autoindustrie, sondern vor allem in der Politik.

In der Sache klar

Die Entscheidung in der Sache ist klar formuliert: Städte, Gemeinden und Kommunen dürfen ohne bundeseinheitliche Regelung Fahrverbote für Dieselautos verhängen, wenn keine anderen Maßnahmen zur Luftreinhaltung fruchten. Dabei ist die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Besitzer von älteren Dieselfahrzeugen haben Wertverluste hinzunehmen.

Damit ergeben sich mehr Fragen als Antworten, was den Richtern wohl bewusst sein dürfte. Doch es ist nicht ihre Aufgabe, Rahmenbedingungen zu formulieren. Wie es nun konkret weitergeht, liegt mit dem Urteil nicht mehr allein in Hand der Bundesregierung. Die hat sich diesen Kontrollverlust selbst zuzuschreiben. Bereits im von Volkswagen ausgelösten Abgas-Skandal hat sie über weite Strecken hilflos agiert. Kurz vor der Bundestagswahl dann der lächerliche und für jeden durchschaubare Versuch, auf dem „Diesel-Gipfel“ Engagement vorzutäuschen: Wer eine so wichtige Sache derart stümperhaft angeht, darf sich nicht wundern, wenn Radikale einem das Heft des Handels aus der Hand nehmen – mit Mitteln des Rechtsstaats. Anders als die Politik müssen sie keinen Interessenausgleich vornehmen und können so befreit und einseitig argumentieren.

Sieger?

Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe, darf sich als Sieger fühlen, auch wenn das Gericht keineswegs Fahrverbote angeordnet hat. Sie hat den Verantwortlichen schlicht und ergreifend einen erweiterten Handlungsspielraum gegeben. Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister verwies gestern Abend in den ARD-Tagesthemen darauf, dass es ja noch andere Möglichkeiten gäbe, die Stickoxidbelastung in den Städten zu reduzieren. Doch vermutlich werden die Verantwortlichen vor Ort den nun geschaffenen Hebel nutzen – Hamburg dürfte nur eine der ersten von einigen Städten sein, die das durchziehen werden.

Wie umsetzen?

Dabei wird es nun ziemlich spannend. Denn noch ist ungeklärt, wie eventuelle Fahrverbote in der Praxis umgesetzt werden sollen. Mit einer blauen Plakette, die die Bundesregierung – Stand 28. Februar 2018 – nicht möchte, würden zwar die Kontrollen erleichtert werden. Doch wer soll das kontrollieren? Die Polizei hat das im vergangenen Jahr schon abgelehnt. Die Ordnungsämter sind personell vielerorts dafür nicht gerüstet. Dazu kommt, dass in den meisten Städten wohl nur einzelne Straßen betroffen wären. Würden die ausgesperrten Autofahrer dann auf Nebenstraßen ausweichen, wäre das vermutlich nicht so ganz im Sinne der Erfinder. Dazu droht ein föderaler Flickenteppich, in dem jeder Verantwortlicher vor Ort sich überlegen darf, welche Regelung ihm geeignet erscheint. Wohin das führt, sollten Uneingeweihte mal Eltern mit schulpflichtigen Kindern fragen, die in den vergangenen Jahren in ein anderes Bundesland gezogen sind.

Wenn die Bundesregierung sich und ihren Wählern einen Gefallen tun möchte, sollte sie endlich wieder für eine Planungssicherheit sorgen. Nach dem Thema Wohnen gibt der Durchschnittsdeutsche für das Auto am meisten Geld aus. Es ist absolut nicht zu akzeptieren, dass Investitionen eine private Wette auf die Zukunft sind. Privatleute verlieren „nur“ das Vertrauen in Politik und Produkte, für Selbstständige und Firmen kann es existenzbedrohend werden.

Lust am Zerfleischen

Ganz allgemein kann man nur hoffen, dass sich die aufgeregte Debatte nun langsam mal wieder versachlicht. Wir sind dabei, im medialen Trommelfeuer unsere Schlüsselindustrie zu verbrennen – was uns in der Form keiner nachmacht. In Italien und den USA dürfte man sich hinter verschlossener Tür vor Lachen kaum noch halten können, mit welcher Lust wir uns hierzulande zerfleischen, während man andernorts froh über eine ähnliche geringe Luftbelastung wäre. Die NOx-Belastung ist seit 1990 in deutschen Großstädten um rund 60 Prozent gesunken – trotz eines gewaltig angestiegenen Diesel-Anteils im Individualverkehr. Am medialen Pranger steht zudem die deutsche Autoindustrie, während sich Importeure wie FCA der Debatte einfach entziehen.