Erschütterung in den Grundfesten

Die lange verfemte Elektrokrampftherapie ist zurück – bei therapieresistenten Depressionen. Ist sie ein verzweifelter Versuch, oder kann sie wirklich helfen?

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Von
  • Inge Wünnenberg
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Die Vorstellung, den menschlichen Körper unter Strom zu setzen, ist unheimlich. Unter dem Namen Elektroschocktherapie wurde das in den 30er-Jahren entwickelte Verfahren eingeführt – damit dürfte kaum jemand etwas Positives verbinden.

Selbst der Erfinder, Ugo Cerletti, empfand es als brutal, Patienten bei vollem Bewusstsein Elektroimpulse durchs Gehirn zu schicken: Die Therapierten bäumten sich wie vom Blitz getroffen auf, fielen dann in Ohnmacht und wachten am Ende oft mit Knochenbrüchen wieder auf. Dennoch ist die Elektrokrampftherapie (EKT) zurück, auch weil moderne Methoden sie deutlich angenehmer für Patienten gemacht haben.

Gerhard Gründer, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen, empfindet zwar auch die heutige Praxis als "grobe Erschütterung, die das gesamte Gehirn durcheinanderwirbelt". Inzwischen erfolgt die Behandlung jedoch unter Narkose und der Gabe von muskelentspannenden Mitteln. Wichtiger noch ist aber: Viele Studien und die klinische Praxis haben gezeigt, dass die EKT gerade bei schweren therapieresistenten Depressionen wirkt.

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Wie es zu dem Behandlungserfolg kommt, konnte zwar noch nicht geklärt werden. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass die Elektrokrampftherapie die Ausschüttung des Wachstumsfaktors BDNF fördert, an dem es depressiven Patienten mangelt. Außerdem werden die Regeneration von Hirngewebe sowie die Neubildung von Nervenzellen angeregt.

Ein großer Verfechter der Methode bei therapieresistenten Depressionen ist Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung Interventionelle Biologische Psychiatrie am Universitätsklinikum Freiburg: "Die Elektrokrampftherapie ist extrem schnell und gut wirksam." Für Schläpfer ist das Verfahren heutzutage "Goldstandard".

In Tübingen wird die Therapie mit zehn bis zwölf Behandlungen über den Verlauf von mehreren Wochen angeboten. "80 Prozent der Patienten sprechen darauf an", berichtet der Psychiater. Meist sei der Erfolg zeitlich limitiert. Schließe sich allerdings eine Erhaltungstherapie mit regelmäßigen EKT-Anwendungen an, hätten die Patienten in vielen Fällen keine Symptome mehr.

Ganz frei von Nebenwirkungen ist die Elektrokrampftherapie indes nicht. "Viele Patienten haben Gedächtnisprobleme", berichtet Schläpfer. Auch über Kopfschmerzen wird häufig geklagt. Deshalb hat der Mediziner vor einigen Jahren an der Universitätsklinik Bonn die Magnetkrampftherapie mitentwickelt, bei der Magnetfelder den therapeutischen Krampf auslösen.

Dieses Verfahren hat im Gegensatz zur EKT keine Nebenwirkungen, denn die magnetischen Pulse lassen sich besser kontrollieren. Trotzdem hat sich bisher niemand gefunden, der Methode und Gerät zur Marktreife entwickelt. "Es scheint nicht profitabel genug zu sein", beklagt Schläpfer die "traurige Realität". So kann die Therapie in Freiburg bis heute nur im Rahmen von Studien angeboten werden.

Schläpfer selbst aber arbeitet schon am nächsten Ansatz. Als Leiter der "Brain Stimulation Group" erforscht er unter anderem die tiefe Hirnstimulation. Dabei handelt es sich im Gegensatz zu den Krampftherapien um ein invasives Verfahren, für das Elektroden an bestimmten Stellen im Gehirn implantiert werden.

Ein Stimulator, der im Bereich des Schlüsselbeins eingesetzt wird, steuert ihre Aktivität. Schläpfer zufolge wirkt dieses Verfahren innerhalb von wenigen Tagen. Aufgrund der nötigen OP stellt es allerdings nur eine letzte Rettung für all jene therapieresistenten Patienten dar, "die nicht mehr auf die Elektrokrampftherapie ansprechen".

(inwu)